Ein Gipfel jagt den anderen. In immer neuen ergebnislosen Runden vertagen sich Verbände, Molkereien und der Handel, Agrarminister geben Versprechen, die sie nicht halten können, und Verbraucherzentralen Einkaufstipps, weil der Griff zum teureren Produkt allein den Landwirten das Überleben noch lange nicht sichert. Zugleich zeigt eine Aufschlüsselung der Preise von Discount-Milch durch das Kieler Institut für Ernährungswissenschaften aber auch, wie katastrophal die Lage ist. Würde die Milch eines Bauern nur noch für den Billigmarkt verarbeitet, bekäme der mit 15,3 Cent nicht einmal die Hälfte dessen, was wirtschaftlich geboten ist. Allein acht der 46 Tiefpreiscent gehen übrigens für die Verpackung drauf. Und ein Augenöffner ist der in diesen Tagen oft angestellte Preisvergleich mit Scheuermilch: Die gibt es nicht unter drei Euro für den Liter.
Deutsche Bauern fühlen sich als Opfer der EU, weil die Quote vor einem Jahr ausgelaufen ist, der Sanktionen gegen Russland, der Chinesen, weil die ihre Importe drosseln. Nicht wenige sind aber zugleich als Täter am Werk. So haben sie in der Hochpreisphase der vergangenen Jahre versucht, mit hochgezüchteten Tieren ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzubekommen. Jedenfalls ist die deutsche Durchschnittskuh alles andere als glücklich: Sie bringt es nur noch auf 2,7 Laktationsperioden, also etwa zwei Jahre, in denen sie gemolken werden kann, sie ist vollgestopft mit Kraftfutter und besonders anfällig für Krankheiten. Das macht sie teurer für ihre Besitzer, weil sie viele teure Medikamente benötigt. Aber sie muss eben auch 10 000 Liter pro Jahr geben. Doch selbst bei dieser Leistung rechnet sich der Stallplatz nicht. Fast 6000 der noch 91 000 Milchbauern bundesweit haben 2015 das Handtuch geworfen, Tendenz steigend.
Den neuen Teufelskreis in Schwung gebracht hat Aldi mit einer Preissenkung gleich um 13 Cent pro Liter auf ebenjene 46 Cent. Aktuell steht in Stuttgarter Supermärkten fettarme Frischmilch bereits für 42 Cent im Regal. Dabei ist vielfach festgestellt worden, dass selbst Familien mit einem Kleinstbudget davon nicht profitieren. Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von etwa 90 Liter pro Jahr schlägt die Ersparnis kaum zu Buche. Aber den Markt mit seiner Übersättigung und den fehlenden Abnehmern treibt der Abschlag immer weiter in Richtung Ruin. Und alle, die an Stellschrauben sitzen, zeigen immer auf die anderen. Dass Russland oder China weniger importieren, ist sattsam bekannt. Dass aber alle großen Speiseeishersteller in Europa aus Kostengründen von Milch auf Pflanzenfett umgestellt haben, wissen viel zu wenige Eisliebhaber. Auch, weil EU-weit über eine wirklich transparente Kennzeichnungspflicht inzwischen seit Jahrzehnten immer nur ohne Ergebnis geredet wird. So kommen selbst jene Regionen immer weiter unter Druck, die sich bisher vergleichsweise ordentlich behaupten konnten. Molkereien in Bayern bekommen noch immer bis zu 23 Cent, was allerdings zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig ist.
Viele Stellschrauben zu drehen
Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk (CDU) ist nicht nur auf einer Zeitreise in die eigene Vergangenheit, weil er seit Anfang Mai ein Amt bekleidet, das er schon zwischen 2005 bis 2010 innehatte. Hauk kennt sich mit Milchkrisen aus, denn 2008 waren die Preise ebenfalls eingebrochen. Damals gab er eine Losung aus, die bis heute Wirkung zeigt: Aus dem Slogan der Grünen "Klasse statt Masse" machte der gelernte Forstwirt "Klasse und Masse". Das Gebot der Stunde sei, so Hauk in einer Landtagsdebatte im April 2008, "klasse Produkte und massenhaft Produkte auf den Märkten". Doch gerade wegen des Hungers und der Mangelprobleme in der Welt dürfe man sich nicht nur auf Klasse konzentrieren, nicht "vom hohen Ross herunter argumentieren".
3 Kommentare verfügbar
Fred Heine
am 18.06.2016Was ist denn das für eine Aussage? Der Markt regelt immer alles – nur eben nicht immer so, wie man es gerne hätte. Deshalb enden ja alle…