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Auch ein Abbau ist ein Umbau

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Rechtzeitig zu Weihnachten verkündete Rüdiger Grube die frohe Botschaft: den "größten Konzernumbau in der Geschichte der Deutschen Bahn". Das klingt vielversprechend, ist aber nur Marketingsprech, kommentiert unser Gastautor.

Erstmals seit einem Jahrzehnt verbucht der Konzern einen Verlust (minus 1,3 Milliarden Euro) – inmitten wirtschaftlichen Wachstums und trotz jährlich gut acht Milliarden Euro an staatlicher Unterstützung. Da muss also etwas geschehen. Und wieder einmal verspricht Grube Verbesserungen in Service und Pünktlichkeit, dann sollen Kunden endlich auch im Zug Funkloch-frei mobil kommunizieren können, digitale Technik soll die Infrastruktur zuverlässiger machen, und im Güterverkehr werden Stellen abgebaut.

Was ändert sich durch diesen größten Konzernumbau aller Zeiten (kurz GröKaZ)? Die "doppelstöckige Holdingstruktur" wird aufgelöst, die "Markenarchitektur" wird "drastisch vereinfacht", die Beschäftigten müssen "eine größere Flexibilität beim Einsatz" gewährleisten. Letzteres ist besonders bemerkenswert, nachdem jüngst mit der GDL ein Tarifvertrag zur Reduktion der menschenunwürdigen "Flexibilität" geschlossen wurde.

Die Lackierbranche wird ein gutes Geschäft machen

Im Güterverkehr beschränkt man sich auf ein "Kernnetz" und will dennoch ein Prozent über dem Markt wachsen. Wie bleibt offen. Grube schreibt seinen Mitarbeitern: "Wir wollen und müssen von nun an unsere Zusagen bei unseren Kunden erfüllen", und muss sich fragen lassen, warum das erst von nun an gilt? Es sollen "durchgehende Verantwortlichkeiten" geschaffen werden, womit zu vermuten ist, dass bisher Defizite gepflegt wurden. Immerhin tut sich etwas beim Namen: Ab 1993 hieß der Güterverkehr "DB Cargo", ab 2000 "Railion", ab 2009 "DB Schenker Rail", und der GröKaZ bringt uns wieder "DB Cargo". Das nennt man eine Nullrunde und ein gutes Geschäft für die Lackierbranche.

Neuerdings werden "nächtliche Standzeiten" zur Reparatur genutzt. Erst jetzt? "Werkstattkapazitäten" werden ab sofort "konsequent" genutzt. Bisher nicht? "Mobile Entstörungsteams" bringen Störungen nun schnell in Ordnung. Mussten bisher die Störungen zu den Teams kommen? Ein "Schlepplokdienst für liegen gebliebene Züge" macht Strecken schneller frei. Ließ man bisher gerne länger liegen? Künftig wird es Mitarbeiter geben, die sich eigens "um die pünktliche Abfahrt von Zügen kümmern". Bisher nicht? Mit dem "Sonderprogramm zur kompletten Beseitigung aller Mängel in allen Fernverkehrszügen" betont Grube, dass er seine Kunden bis dato geradezu mutwillig mit defekten Toiletten, nicht funktionierenden Reservierungsanzeigen und einem "eingeschränkten gastronomischen Angebot" piesackte.

Fernbusse bieten kostenloses WLAN. Jetzt will die Bahn das "größte WLAN-Netz Deutschlands" bringen, aber nur mit bestimmten "abrufbaren kostenlosen Inhalten" und einem "kontingentierten" Zugang. Also bloß nicht den Fernbussen die junge Kundschaft abjagen, es könnte ja am Ende eine neue Generation von Bahnfahrern heranwachsen. Saubere Bahnhöfe werden uns versprochen, wie schon so oft. Mit dem GröKaZ sollen die Toiletten endlich sauber werden, Fahrstühle und Rolltreppen wieder fahren. Und 52 Stationen werden renoviert, was rein rechnerisch bedeutet, dass in einem Jahrhundert alle Stationen an die Reihe kommen.

"Vor hoch belasteten Eisenbahnknoten" sollen "mehr zeitliche Puffer" geplant werden. Das klingt vor dem Hintergrund von Stuttgart 21 besonders gut. Wir erinnern uns: Bei Puffer- und Haltezeiten werden selbst Mindestwerte unterschritten für ein Leistungsplus auf dem Papier. Gerichtlich wurden zuletzt nur 32 Züge pro Stunde als Kapazität bestätigt, gegenüber 39 Zügen, die im heutigen Kopfbahnhof fahren.

Grube will aufräumen und angreifen. Nur wo?

Grube kündigt an, "wir räumen auf und greifen an". Aber was räumt Grube auf? Das, was er in knapp sieben Jahren an der Spitze angerichtet hat? Was greift er an? Was er sieben Jahre hat liegen lassen? "Offensiv" will Grube den Fernbussen entgegentreten, nachdem er erst diesen Sommer mit dem Zukauf eines großen Busunternehmens für die Schlagzeile gesorgt hatte: "Die Bahn setzt auf den Bus." Mit einem unnötig provozierten Megastreik wurden Kunden zu Millionen in die Fernbusse getrieben. Unnötig war dieser Arbeitskampf, weil die strittige Tarifpluralität verfassungsmäßig verbrieft ist. Der Bahnvorstand half damit nur der Bundesregierung, das Tarifeinheitsgesetz (gegen das jetzt Verfassungsbeschwerden laufen) durchzubringen. Aber ist das seine Aufgabe?

Schon 2012 wollte Grube, dass sich seine "Bahn neu erfindet", beim Service und der Pünktlichkeit sollte "alles besser werden" – mit dem Programm "Zukunft 2020". Heute heißt das Programm "Zukunft Bahn" oder GröKaZ und ist nur inhaltsleerer Marketingsprech. Als "Erneuerung der Eisenbahn in Deutschland" wird verkauft, was seit Jahren die Abwicklung der Eisenbahn in Deutschland ist. Grundlegende Angebote wie Nacht- und Autozüge werden eingestellt, Halte werden gestrichen, die Fernbuskonkurrenz wird gestärkt.

Im Güterverkehr ist die Bahn mit der größten Lkw-Flotte Europas ihr eigener größter Konkurrent und steckt seit einem jahrelangen flächendeckenden Abbau von Gleisanschlüssen in der Abwärtsspirale. Grundlegende politische Fehlsteuerungen wie die fehlende Busmaut und das steuerfreie Flugbenzin werden von Grube & Co erst gar nicht benannt. Auch die Mitarbeiter vermissen eine Strategie, sie fürchten die Abwicklung ihres Unternehmens und schreiben, das "System Bahn werde vom Konzernvorstand derzeit in Frage gestellt". Ursache für die Misere seien die "vielen Managementfehler in den letzten Jahren".

Aber muss das ein Nachteil sein für Grube, der 2009 von Kanzlerin Merkel als "Vollstrecker" an der Bahnspitze installiert worden war? Dazu ein Blick auf Stuttgart 21: Im Dezember 2012 mussten Grube und sein Technikvorstand Volker Kefer eingestehen, dass allein 1,1 Milliarden Euro Kostensteigerung beim Bahnhofsneubau ihrem eigenen Fehlmanagement zuzuschreiben sind. O-Ton damals: "Notwendige, aber nicht budgetierte Leistungen, nicht realisierte Einsparpotenziale." Es kam nicht die leiseste Kritik auf. Vielmehr wurde Grubes Vertrag just am selben Tag vorzeitig verlängert und Kefers kurz zuvor.

Ehrbare Kaufleute sehen anders aus

Ein "ehrbarer Kaufmann", der sich so grob zu Ungunsten der Bahn und ihrer Finanzierungspartner verrechnet, ist offenkundig kein Problem. Im Kanzleramt musste Grube später "die politische Bedeutung" des Infrastrukturprojekts anerkennen, "zu dem sich die Bundeskanzlerin explizit bekannt hat". Obwohl auch in Bundesministerien keine finanzielle Perspektive für S 21 mehr gesehen wurde und weitere Milliardenkosten schon in den Büchern standen, winkte der Aufsichtsrat den Weiterbau dann im März 2013 auf Druck des damaligen Kanzleramtsministers Pofalla durch.

Pofalla wurde inzwischen belohnt. Er ist Bahnvorstand und wird als potenzieller Grube-Nachfolger gehandelt. Die Boni des Vorstands wurden zuletzt weitgehend vom Erfolg entkoppelt und wesentlich an die Wahrnehmung von Kontakten zur Politik geknüpft. Es schadet also Grube nicht, wenn er jetzt selbst ein verheerendes Fazit seiner bisherigen Amtszeit zieht: "Eine Schieflage der Eisenbahn in Deutschland." Doch damit schafft er mutmaßlich die besten Voraussetzungen, dass ihn die Bundesregierung sein Werk fortsetzen lässt.

Was wäre denn, wenn die Deutsche Bahn wirklich erfolgreich werden würde? Wenn sie ein einfaches Tarifsystem hätte mit niedriger Einstiegshürde für breite neue Kundenschichten statt hohen Normalpreisen und den Super-Sparpreis-Schnäppchen für die Stammkunden? Wenn sie nicht auf Verschleiß führe, sondern das offensichtlich Notwendige schon lange tun würde? Wenn sie mit den bewährten Mitteln pünktlich führe? Was wäre, wenn an der Bahnspitze Leute säßen mit Herzblut für die Bahn, die vom Fach kämen und nicht von der Konkurrenz? Wenn sie Marktanteile gewinnen würde, nur ein bisschen und noch weit weg von dem doppelt so hohen Marktanteil der Bahn in der Schweiz – einem Land ohne Automobilhersteller?

Die Autoindustrie sitzt der Kanzlerin auf dem Schoß

Das wäre der GAU, der Autoabsatz würde einbrechen. Es wäre schlecht fürs Image dieses Autolands, wenn ausgerechnet die Deutschen die Schiene entdecken würden. Und so sitzt die deutsche Autoindustrie der Kanzlerin auf dem Schoß und tauscht mit ihr Parteispenden und Subventionen, Personal und Gesetze. Zuwendungen an die Regierungsparteien in Millionenhöhe werden in zehnfacher Höhe als Subventionen rückvergütet und gesenkte CO2-Anforderungen aus Brüssel mit Vorstandsposten bei Daimler entschädigt. Siehe Eckart von Klaeden.

Der Vollstrecker Grube kommt aus der Branche. Als Chefstratege von Daimler hatte er die Übernahmen von Chrysler und Mitsubishi eingefädelt, was als Multi-Milliarden-Desaster endete. Bei der Bahn verantwortete er zweifelhafte Zukäufe im Ausland, die in Summe nicht einmal ihre Kapitalkosten verdienen. Der Schuldenberg der Bahn soll nun mit dem GröKaZ auf exakt den Wert ansteigen, der schon einmal vor der Bahnreform angehäuft worden war: auf 22 Milliarden Euro oder 44 Milliarden DM. Die Bundesbahn hatte diesen Schuldenberg in vier Jahrzehnten angehäuft. Die Dürr-Mehdorn-Grube-Bahn schafft das in 23 Jahren. Bereits heute ächzt der Konzern unter einer Zinslast von jährlich 824 Millionen Euro. Und im Hintergrund wird die Bahn weiter abgewickelt. Auch ein Abbau ist ein Umbau.

 

Christoph Engelhardt (50), promovierter Physiker und ehemals Konzernstratege bei Siemens, betreibt heute die Plattform "WikiReal.org". Für die S-21-Gegner saß er in der Schlichtung von Heiner Geißler.


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18 Kommentare verfügbar

  • Bahnsinniger
    am 13.01.2016
    Antworten
    Herr Müller,

    worin besteht denn Ihrer Meinung nach der "Unfug" in der Aussage im Beitrag, die Sie für ausschließlich Kontext-würdig halten?

    Man sollte, was man schreibt, schon belegen können, ansonsten läuft man Gefahr als Prolet zu gelten.
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