Abstand halten ist in den Kandil-Bergen das oberste Gebot. Als im Aufstieg in den Bergen im Dreiländereck des Irak, des Irans und der Türkei ein Auto überholt, kommt sogleich der Hinweis, mindestens 300 Meter Distanz zu schaffen. Zu groß ist die Angst, dass das andere Auto zum Ziel eines türkischen Drohnenangriffs werden könnte. Seit Jahren greift die Türkei regelmäßig aus der Luft vermeintliche Kämpfer:innen und Stellungen der kurdischen Autonomiebewegung PKK an. Die PKK nutzt das schwer durchdringliche Gebiet als Rückzugsraum von ihren Kämpfen gegen die türkische Zentralregierung.
Das umkämpfte Berggebiet, das in besseren Zeiten auch viele Tourist:innen anziehen könnte, ist Heimat für einige Menschen, die in den kleinen Dörfern verwurzelt sind. Für die Landwirtschaft bietet die unberührte Natur beste Bedingungen. Nicht jedoch, wenn ständig ein Angriff droht. "Wir leiden darunter, in diesem Gebiet zu leben", sagt ein Schafhirte. "Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, habe ich Angst." Sein Nachbardorf sei von der Türkei so oft bombardiert worden, dass dort heute niemand mehr lebe.
Ständige Bedrohung aus der Luft
Hier zu leben, sei ein "ständiger Überlebenskampf", sagt der Hirte, der namentlich nicht genannt werden will. Warum er trotzdem bleibt? "Ich habe eine große Schafherde. Sonst habe ich nichts, um woanders neu anzufangen." Trotzdem überlege er öfters wegzugehen, aber die Kandil-Berge sind seit Jahrzehnten seine Heimat und die seiner Familie. Doch wenn er im Sommer seine Bienen zu den Gipfeln der Berge bringen muss, wo sich viele Kämpfer:innen der PKK verstecken, hat er bei jedem Schritt und ohne Schutz die größte Angst.
Alleine in den vergangenen zwei Monaten sei sein Dorf zehn Mal aus der Luft vom türkischen Militär angegriffen worden. Während der Hirte berichtet, kommen andere Dorfbewohner hinzu. "Als es vor einigen Tagen bei einem Gewitter donnerte, sind wir alle in den Keller gerannt."
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