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Covid-19-Impfung

Die Lehren eines Impf-Meisters

Covid-19-Impfung: Die Lehren eines Impf-Meisters
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Die Welt blickt auf Chile: Das südamerikanische Land scheint mit Lichtgeschwindigkeit zu impfen. Viele Faktoren tragen zum Erfolg bei. Dennoch ist die Lage dramatisch. Kontext fragt nach, wie die Situation vor Ort ist – und ob man in Sachen Corona-Impfung von Chile lernen kann.

Der diplomatische Weg brachte nichts. Während einer Konferenz im August 2020 bat der chilenische Präsident das Coronavirus, "uns in Ruhe zu lassen, das Land zu verlassen". Die satirische Steilvorlage von Staatschef Sebastián Piñera wurde zum viralen Hit. Das Problem hierbei: Der Erreger scheint der spanischen Sprache nicht mächtig. Er wütete weiter. Inzwischen sorgt der Staat zwischen Anden und Pazifik allerdings für positive Schlagzeilen. Den ersten Piks gab's am 3. Februar. Seitdem schnellt die Impf-Kurve rasant nach oben: Nach knapp zwei Monaten haben 6,5 der 19 Millionen EinwohnerInnen die erste Dosis erhalten, 3,4 Millionen sind vollständig geimpft.

"Das hat 30 Sekunden gedauert"

Die Einstichstelle schmerze ein bisschen, das sei alles. Caterina Matta spricht im Videotelefonat über ihre Erstimpfung, die sie erhielt. Matta bekam Sinovac aus China. Viel zu erzählen gibt es allerdings nicht: "Das hat ungefähr 30 Sekunden gedauert." Mit drei weiteren KollegInnen ist sie in einem Van zu einer mobilen Impfstation gefahren. Mensch raus, Nadel rein, Mensch wieder rein ins Auto, 30 Minuten Beobachtungszeit nach der Impfung – fertig. Die Fernsehjournalistin aus Santiago de Chile hat viel Kontakt mit Menschen, führt Interviews auf der Straße, macht Beiträge vor und hinter der Kamera.

Der erste Schritt in Chile: ein Blick auf den Kalender. Und zwar den "Impfkalender", den die chilenische Regierung zur Eindämmung der Coronapandemie veröffentlicht hat. Caterina Matta erklärt den Prozess: Jeden Tag ist eine andere Altersgruppe dran. Wie auch hierzulande waren medizinisches Personal und Hochbetagte zuerst an der Reihe. Chronisch Kranke und Berufsgruppen, die zu viel Kontakt mit Menschen gezwungen sind, priorisierte man ebenfalls.

Wer laut Kalender das Glück hat, muss nur seinen Personalausweis mitnehmen, vorbeikommen, fertig. Geimpft wird in Kirchen, Supermärkten, auf Parkplätzen. Während sich etwa BürgerInnen aus Baden-Württemberg nicht in Bayern impfen lassen können, kann in Chile quer durch die Landkarte immunisiert werden. Terminvergabe, Hotline-Frust, Kreisimpfzentrum – alles Fremdwörter; die 23-Jährige zieht die Augenbrauen hoch.

Gesundheitssystem am Limit

Schnell entsteht der Reflex, in stammtischartigen Parolen das Impf-Management hierzulande niederzumachen und den langsamen Fortschritt auf einen einzigen Faktor festzunageln: die Bürokratie. Doch das ist zu kurz gegriffen. Der Erfolg Chiles beim Impfen ist eine Mischung aus gelungener politischer Strategie, großem Aufwand und vorhandener Erfahrung mit derartigen Kampagnen. So hat das Land mit seinen knapp 19 Millionen EinwohnerInnen bereits früh Verträge zur Beschaffung der Vakzine geschlossen: BioNTech/Pfizer, Sinovac aus China sind schon da, demnächst kommen auch Johnson & Johnson und AstraZeneca. Für letztgenanntes Präparat wurde auch in Chile im Rahmen einer Studie geforscht. Politische Vorbehalte sucht man vergebens: Aus welchem Land der Stoff kommt, ist den Menschen dort egal.

Eine straff organisierte Impf-Infrastruktur hat das Land dank früherer Kampagnen, etwa gegen das Influenza-Virus, erzählt Claudio Soto Vicencio. Der 58-Jährige arbeitet bei der Comisión de Medicina Preventiva e Invalidez (COMPIN). Das ist eine Behörde, die dem Gesundheitsministerium untersteht und laut Regierungswebsite "die Einhaltung der gesetzlichen medizinischen Standards" gewährleisten will.

Soto betont, dass das Land gerade massiv mit dem Coronavirus zu kämpfen hat – erfolgreiche Impfkampagne hin oder her. "Es wurde nicht aus den Erfahrungen der Europäer gelernt", sagt Soto. Dort habe sich gezeigt, sagt er, dass wildes Herumreisen förderlich zur Verbreitung von Infektionen und Mutationen sei. Dennoch habe man in Chile keine Grenzen geschlossen. Momentan steuert der südamerikanische Staat auf einen kompletten Kollaps des Gesundheitssystems zu. Intensivbetten seien fast alle belegt. "Die Belastung für das Pflegepersonal ist enorm", betont Soto.

Medienberichten zufolge ist der Druck so groß, dass einige bereits ans Aufhören denken – eine traurige Gemeinsamkeit, die Chile mit Deutschland teilt. Die zweite Welle schwappt dort gerade auf ihren Höhepunkt zu. Ein Denkfehler mancher BürgerInnen treibt die Zahlen in die Höhe: "Einige denken leider, dass sie direkt nach ihrer ersten Dosis immun sind. Diese falsche Sicherheit ist natürlich ein Irrtum", sagt Claudio Soto Vicencio. Er kritisiert dieses Verhalten, erzählt auch von "heimlichen Partys" in der Hauptstadt Santiago, in der er wohnt. Hier müsse mehr Bewusstsein her – dass eine Impfung noch kein sofortiger Freifahrtschein für alles sei.

Vakzin-Wunder Chile?

Hierzulande wird über Detailfragen bis in die Nacht gestritten. Krankenhäuser werden dank den warmherzigen Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung auch während der Pandemie geschlossen. Die Krisenkommunikation der Regierung besteht mitunter darin, ein Blatt Papier in die Kameras zu halten.

In Chile zeigt die Kampagne "Yo me vacuno" ("Ich lasse mich impfen") kurze Videoclips von ÄrtzInnen, die häufige Fragen rund um die Coronavirus-Impfung klären. Auch eine Information über gängige Mythen erklärt in einfacher Sprache, weshalb etwa mRNA-Vakzine nicht die DNA verändern. Das Design ist bunt, das Peace-Zeichen etablierte man als Symbol für die Kampagne. Keine kreative Höchstleistung – dennoch sucht man so etwas in Deutschland vergeblich.

Was in Chile passiert, ist kein Wunder, kein Zufall, keine göttliche Fügung. Gerade die Tatsache, dass trotz des gelungenen Impf-Managements die Zahl der Infizierten vor Ort auf einem Höchststand ist, die Krankenhäuser am Limit – all das ist eine Warnung an andere Länder. Die Botschaft lautet: Bis zur Herdenimmunität bleibt das Gesundheitssystem fragil. Die Regierung in Chile hat sich zum Ziel gesetzt, 80 Prozent der Bevölkerung bis zur Jahresmitte zu immunisieren. Die TV-Journalistin Caterina Matta zeigt sich zuversichtlich: "Ich denke, dass wir die 80 Prozent erreichen." Vielleicht geht das Coronavirus dann endlich – ganz ohne explizite Bitte des Präsidenten.


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