56 Jahre alt ist die Hamburger Künstlerin, sitzt ganz in Schwarz hinter ihrem quadratischen Amtstisch, ein rosa Sparschwein steht links, eine pinkfarbene Postkarte mit "Have a great day"-Print wippt rechts auf einem Kartenhalter, dazwischen ein Häuflein Büroklammern, Spitzer, Tacker, ein Anfeuchtkissen für Briefmarken, Stempel zur Bestätigung von "Kunst!", für "erledigt" oder für "weiter so". Sandmanns Tischchen ist eine freundliche Insel in einem sterilen Raum mit Nadelfilz am Boden und leerem Flipchart in der Ecke.
Die Frau im Rock klagt, wie sehr sie gefangen ist in ihrer Welt. Im engen Korsett von Arbeitszeiten, Vorschriften, Terminen, Uhrzeiten, einfach in den Mühlen des Alltags, die Fantasie und Kreativität zerreiben. Ihr Rücken ist rund, die Finger kneten in dieser typischen Haltung, in der die meisten Menschen auf Ämtern sitzen, gebeugt vor dem Staat, meist als Bittsteller. Auch das gehört zur Performance von Sandmanns Kunstwerks. Diese Amts-Haltung aufzuweichen, aus einem gebeugten Rücken einen geraden zu machen, wenn Körper und Geist erkennen, dass dieses Amt nicht Grenzen fremder Leben verwaltet, sondern Wünsche und Träume bearbeitet.
Privates für die Öffentlichkeit
Sandmann hat Siebdruckerin gelernt, dann an der Kunsthochschule Kassel studiert. Seitdem arbeitet sie als freie Künstlerin, oft mit Schrift, Projektionen, Licht. Sie hat Worte und Texte von Professoren und Studierenden auf die Gebäude der Ruhr-Universität projiziert, um den unzählbaren Gedanken eines solchen Wissensorts die Unigebäude als Körper zu leihen. Sie hat ein Hochhaus in Eindhoven auf eine ähnliche Weise zum "Sprechenden Antlitz" gemacht und einem der zwölf historischen Grindelhäuser in Hamburg-Eimsbüttel zum 50. Geburtstag ein riesiges Transparent über die gesamte Fassade, vom Flach- bis zum Vordach, spendiert: dicht bedruckt mit Interviewauszügen über persönliche Geschichten und Erlebnisse der Bewohner.
Manchmal ist sie auch mit ihrem "Wortfindungsamt" unterwegs. Einem kleinen Bauwagen, knallig pink leuchtend, in dem die Leute Worte abgeben können. Es kämen viele Menschen zu ihr, die sich abgehängt fühlen von der Politik, die fühlen, dass sie nicht mehr gehört werden, sagt Sandmann. Das Kunst-Projekt wird manchmal zum Therapiegespräch. Vor allem, wenn sie in Stadtvierteln Station macht, die als schwach gelten oder als arm. Einmal hatte sie in einem solchen Winkel von Hamburg den pinken Bauwagen des "Wortfindungsamts" aufgestellt, und es kamen viele Kinder. "Alle ohne Eltern, alleine, weil sie gehört hatten, man bekommt bei mir was geschenkt." Es war das eigene Lieblingswort, auf einem Schild zum Aufhängen an selbst gewählten Orten im öffentlichen Raum. "Lieblingsspielplatz" wünschte sich ein Zehnjähriger und hängte es an einen Zaun hinter Schaukeln und einem Klettergerüst.
Was bedeutet "Ehre" im Ehrenamt?
"Als die Flüchtlinge ins Land kamen, war das Ehrenamt das Wort der Stunde", sagt Sandmann. Sie hat mit Menschen in der Flüchtlingshilfe gesprochen, die sagten, sie hätten viel mehr Hartz-IV-Empfänger erwartet, die helfen würden, die hätten doch nichts zu tun. "Hartz IV bedeutet Abschuss in die Armut", sagt Sandmann. "Diese Menschen müssen sich zuerst selbst helfen." Die eigene Würde wiederfinden kommt vor der Ehre eines unbezahlten Amtes. Und so kam es, dass sich Sandmann mit dem Wort "Ehrenamt" befasste. Was bedeutet Ehrenamt in einer Gesellschaft, in der Arbeit immer schlechter bezahlt wird? Was wäre ein Ehrenamt, wenn es bedingungsloses Grundeinkommen gäbe, und wer würde sich dann engagieren? Und so schaffte sie sich selbst ein Ehrenamt an. Das "Temporäre Ehrenamt für die Erforschung sozialer Utopien".
3 Kommentare verfügbar
Lothar Michael Muth
am 31.08.2016"Man braucht nur irgendwann einmal bei sogenannten wohlgesinnten Menschen von der Möglichkeit der Abschaffung des Todes zu sprechen. Da wird man sofort der Reaktion begegnen: Ja, wenn der Tod abgeschafft würde, wenn die Menschen nicht mehr sterben würden, das wäre…