Im dritten Bereich geht es darum, sich lebenslang lernend zu entfalten, das Leben nicht bloß als Konsumentin passiv, sondern tätig zu genießen, und damit auch eine andere Vorstellung vom guten Leben entwerfen zu können. Anders formuliert: Es sollte nicht mehr hingenommen werden, dass die einen so und so viele Sprachen sprechen, tanzen, musizieren, dichten, malen und reisend wie Goethe sich weiter vervollkommnen, während andere froh sein müssen, wenn sie überhaupt lesen und schreiben können.
Alle Menschen verfügen über ein Entwicklungspotenzial, das aus dem Schlummer des Möglichen ins Leben zu holen ist. Die Betätigung aller menschlichen Sinne soll nicht mehr als Luxus erscheinen, den sich nur Reiche leisten können. Vielmehr soll jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten leben können. Und dafür braucht es eigenen Raum und eigene Zeit für Entwicklung.
In der vierten Dimension des Lebens, dort, wo der Mensch ein Gemeinschaftswesen ist, ein politischer Zusammenhang besteht, wird folgender Anspruch erhoben: Gesellschaft zu gestalten ist keine arbeitsteilige Spezialität. Nicht länger sollen die einen Politik machen, während die anderen – und das ist die übergroße Mehrzahl – deren Folgen ausbaden müssen.
Die vier Dimensionen menschlichen Lebens sind in einem Spannungsrahmen zu verknüpfen: Das ist der Umriss eines umfassenderen Begriffs von Gerechtigkeit, der heute vom Standpunkt von Frauen formulierbar ist. Er nimmt seinen Ausgang bei der Arbeitsteilung und der damit verbundenen Zeitverausgabung – er will also das Zeitregime in unserer Gesellschaft grundlegend anders gestalten.
Man könnte sich jetzt vornehmen, die vier Bereiche Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, individuelle Entwicklung und politische Arbeit je für sich zu verfolgen. Das würde wiederum auf eine Arbeitsteilung hinauslaufen, bei der einzelne Gruppen je einen isolierten Bereich als ihr Markenzeichen besetzen. Die einen, gewerkschaftlich orientiert, betrieben klassenbewusst eine Arbeiterpolitik, die für Erwerbstätige greifen kann. Die anderen suchten eine Perspektive aus der Vergangenheit hervor, eine Utopie für Mütter nach rückwärts, die uns Frauen lebendigen Leibes ans Kreuz der Geschichte nagelt, wie der Philosoph Ernst Bloch dies ausgedrückt hat. Die Dritten setzten auf die Entwicklung einer Elite, die olympiareif zeigt, was menschliche Fähigkeiten sein können. Die Vierten verfolgten partizipative Politikmodelle in unwesentlichen Bereichen: Sie würden das Fernsehen zu einer Modellanstalt von Zuschauerwünschen machen, die Belegschaft in die Gestaltung des Weihnachtsfestes miteinbeziehen oder die Bevölkerung an der Mülltrennung beteiligen. In allen Fällen wird man erfahren, dass jeder Bereich, für sich zum Fokus von Politik gemacht, langfristig reaktionär wird.
2 Kommentare verfügbar
Ute Plass
am 24.09.2015doch mit einer repressionsfreien Existenzsicherung für Alle
im Jetzt näher rücken kann. Lesenswerter Beitrag dazu:
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