Tot oder abgefuckt
Hier wird es sehr persönlich, was nicht bei allen so ist. Doch das Persönliche ist in diesem Fall eben auch politisch. "Bei den Eltern oder bei den Vätern stehen bei den Lebenden nur biodeutsche Namen", räsoniert Ida: "Müller, Lamparter, Sprenger. Aber wir erinnern uns an Clay, Liliom und Nikitas Dad: alle abwesend, tot oder abgefuckt. Alle migrantisch oder nicht-weiß. Wie kann einem das nicht sofort ins Auge springen?"
Das Musikprogramm wandert vor und zurück durch die Zeiten: von Janis Joplin bis Robbie Williams. Bei Marianne Faithfulls "Ballad of Lucy Jordan" überlegt Malin, dass 37 das beste Alter zum Sterben sei. Aber ihr Mann habe einmal gesagt: "Wenn man Kinder hat, dann ist Selbstmord keine Option mehr." Als das Blumenduett aus der Oper "Lakmé" von dem französischen Komponisten Léo Delibes ertönt, fragt Ida: "Mama Clay! Wussten Sie etwa, dass der Operntext lesbische Liebe beschreibt?"
Dann fangen wieder alle an, sich zu entschuldigen – und laden das Publikum ein mitzumachen. Was hier nur begrenzt funktioniert, klappt beim Tanzen besser. Zuerst fordert Carina, Profitänzerin, Christian zum Tango auf. Dann steht Max auf dem Tisch und führt vor, wie ihm Carinas Mutter den Twist beigebracht hat: immer abwechselnd links und rechts eine Zigarette austreten. Carinas Mutter geht mit ihren weit über 70 Jahren selbst noch einmal tief in die Knie. Und von Mal zu Mal stehen mehr Zuschauer:innen auf und tanzen mit.
Nein, hier werden zwar nicht alle Probleme unter den Tisch gekehrt, aber es wird auch keine schmutzige Wäsche gewaschen. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil alle ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern haben – von den Abwesenden vielleicht einmal abgesehen. Auf die Frage "Magst du dein Kind" antworten jedenfalls alle Eltern ohne zu zögern mit einem Ja.
"Dickes Blut" wird noch zwei Mal im Stuttgarter Naturfreundehaus Steinbergle in der Stresemannstraße 6 aufgeführt: am 6. und am 14. Dezember. 19 Uhr Essen, 20 Uhr Performance.
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