KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Protest gegen Lithiumabbau in Portugal

"Wir wissen, dass wir nicht allein sind"

Protest gegen Lithiumabbau in Portugal: "Wir wissen, dass wir nicht allein sind"
|

Datum:

Eine britische Firma will im Norden Portugals im großen Stil Lithium abbauen, für Akkus von E-Autos. Doch die Bewohner:innen der angrenzenden Dörfer wehren sich. Sie kämpfen darum, hier weiterhin ihre traditionelle Art der Landwirtschaft betreiben zu können – die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Zurück Weiter

Dass in ihrer Nachbarschaft eine riesige Mine entstehen sollte, erfuhr Aida Fernandes das erste Mal über Umwege. Eine Freundin aus London fragt sie im Jahr 2017, was denn eigentlich bei ihr im Dorf los sei. Sie habe in einer britischen Zeitung gelesen, dass bei Covas do Barroso Berge für den Lithium-Abbau abgetragen werden sollen. Aida lebt in Covas do Barroso. Sie ist Bäuerin mit einigen Kühen. Von den Bergbauplänen bei ihrem Dorf hatte ihr bisher niemand etwas gesagt. Es geht um fast 900 Hektar. "Es ist das Schlimmste, was uns passieren kann."

Covas do Barroso und Romainho sind zwei kleine Dörfer im Norden von Portugal. Es gibt ein Café, Kühe, Schafe, Hunde, Hühner, einen Fußballplatz, zwei Kirchen, alte Steinhäuser, kleine Gärten, Mäuerchen und viele sehr herzliche Menschen. Vor allem aber gibt es Natur. Viel Natur. Auf den fast 30 Quadratkilometern, die zu den Dörfern gehören, leben gerade einmal 260 Menschen. Das Umland besteht aus steinigen Bergen mit Büschen, kleinen und großen Flüssen, Wiesen und Kiefernwäldern. Überall fließt Wasser in kleinen Rinnen. In den Bergen ringsum lassen zahlreiche Hirten von Covas ihre Schafe und Kühe grasen. In den Wäldern sammeln die Bewohner:innen Pilze oder schlagen Holz für ihre Öfen oder um Waldbränden vorzubeugen. Das ist wichtig, denn die eng gepflanzten Kiefernwälder brennen wie Zunder im Sommer. Das Besondere an diesen Bergen ist: Sie gehören dem Dorf. Aber nicht dem Dorf als Gemeinde. Sie gehören den Menschen, die im Dorf leben. Es sind sogenannte "Baldios", auf Deutsch Allmende: Land, das von allen genutzt werden darf. Rund 2.000 Hektar des umliegenden Landes sind Baldios.

Die besonders traditionelle Art der Landwirtschaft hier wurde 2019 von der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Ohne Supermarkt im Dorf produzieren die Bewohner fast alle ihre Nahrungsmittel selbst, und was sie sonst so zum Leben brauchen.

Firma verspricht "verantwortungsbewussten" Abbau

Und genau hier, nur einige hundert Meter entfernt, sollen gleich mehrere der Berge, zum großen Teil Baldio-Land, abgebaggert werden für die größte Lithiummine Europas. Die britische Firma "Savannah Resources" will das begehrte Metall, das vor allem für Akkus verwendet wird, dort in großem Stil abbauen. Die portugiesischen Regierungen haben das Vorhaben in den vergangenen Jahren sehr wohlwollend begleitet, in der Hoffnung auf Millioneninvestitionen und viele neue Arbeitsplätze. Dass Mitte 2023 die Umweltverträglichkeitsprüfung durch die staatliche Umweltbehörde positiv ausfiel, war da nicht überraschend. Wobei sich Savannah Resources auf der eigenen Website ein sehr umsichtiges Vorgehen auf die Fahnen schreibt: Das Lithium werde "verantwortungsbewusst mit konventionellen Techniken gefördert", und der Abbau sei "dem Ziel verpflichtet, den CO₂-Fußabdruck zu minimieren".

Diogo Sobral sieht das anders. "Lithium wird überall in super sinnlosen Produkten verwendet", sagt der Anthropologie-Student. In seinen Augen geht es bei dem Projekt in erster Linie um Profit für das Unternehmen und darum, "die nordeuropäische Autoindustrie zu retten". Tatsächlich schreibt Savannah Resources auf seiner Website, dass mit dem hier geförderten Lithium jedes Jahr eine halbe Million Elektroautos gebaut werden könnten. Ein E-Auto-Akku braucht um die 10 Kilogramm Lithium, so viel wie mehr als 3.000 Smartphone-Akkus.

Diogo ist, als er mit seiner Doktorarbeit begonnen hat, nach Covas gezogen und hat dort viel recherchiert. Er kennt viele Bewohner:innen und auch die Traditionen, die Baldios. Und er ist aktiv im Kampf gegen die Minen. Vor einigen Jahren schon hat sich gegen die Abbaupläne die Bürgerinitiative "Unidos em Defesa de Covas do Barroso" (UCDB) gegründet, auf Deutsch "Gemeinsam für die Verteidigung von Covas do Barroso".

Grünes Wachstum? Im Dorf sind sie skeptisch

Die Präsidentin der Bürgerinitiative ist Aida Fernandes. Sie spürt als Bäuerin den Klimawandel bereits deutlich. Sommer für Sommer wird es heißer und die Jahreszeiten verschieben sich, erzählt sie. Diesen Winter gab es keinen Schnee. Savannah Resources selbst stellt sein Projekt auch als Baustein gegen diese Entwicklung dar: Der Lithiumabbau in Barroso sei die Möglichkeit, dass Europa unabhängig wird von Lithiumimporten. Nur mit der Förderung in den Bergen in Portugal könne man den Bedarf an dem Metall für die Antriebswende stillen. Die wiederum brauche man, um den CO₂-Ausstoß der Automobilität in den Griff zu bekommen und schlussendlich einen Teil der Klimakrise zu lösen. So trägt es auch Savannah Resources' CEO Emanuel Proença oft in portugiesischen und internationalen Medien vor.

Diogo Sobral ärgert so eine Darstellung. Unternehmen und Regierungen sähen nur das grüne Wachstum als Lösung für die Klima- und Umweltkrise, kritisiert er. Dabei sei es das stetige Wachstum, das genau diese Probleme zu verantworten habe. Doch wie schafft man es dann, den Verkehr CO₂-neutral zu machen? Und Aida Fernandes findet: "Wir brauchen mehr öffentlichen Nahverkehr und mehr Züge." Eine Forderung, die man auch in Deutschland oft hört. Trotz der Antriebsänderung bei Pkw bleibt das Platzproblem in den Städten und das Effizienzproblem der schweren Autos ungelöst.

Laut Firmen-CEO Proença ist der Lithiumabbau in Portugal nicht nur fast klimaneutral, sondern auch antikolonial, denn damit verhindere man, dass der Rohstoff aus Ländern im Globalen Süden unter schlechten Bedingungen abgebaut wird. Dies halten Diogo und Aida für völligen Quatsch, denn mit Lithium sei es ja nicht getan. Die "grüne" europäische Industrie benötige auch viele andere Rohstoffe. Zum Beispiel Kobalt, das aber weiterhin in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo blutig gewonnen wird.

Als die Pläne bekannt wurden, begann es zu brodeln

Als Savannah Resources ab 2017 eine kleine Quarzgrube Stück für Stück aufkaufte,dann der Antrag auf eine Erweiterung von zunächst über 500 Hektar gestellt wurde und das Lithium zum Abbauziel gemacht wurde, begann es im Dorf zu brodeln. An zahlreichen Häusern sind heute Slogans wie "Não às Minas. Sim à Vida." ("Nein zu den Minen. Ja zum Leben.") zu lesen. Die Dorfgemeinschaft stellt die alte Schule "Escola" als Informations- und Schlafort für Gäste zur Verfügung. Laut Diogo sind viele gegen die Grube und wenige dafür – vielen sei es aber egal, ob die Grube kommt oder nicht. Aber sie werden auch nicht gefragt.

Mit vier Mitarbeitern, die extra im Dorf einquartiert wurden und deren einziger Job ist, im Dorf Gespräche zu führen und Beziehungen zu den Einheimischen aufzubauen, versucht das Unternehmen, im Dorf Druck zu machen. Im Ortszentrum hatte Savannah Resources ein Informationsbüro, bis es an Silvester 2024 hier zu Vandalismus kam. Die Firma ist kreativ. Aida berichtet, dass sie an Weihnachten versucht habe, mit kostenlosem Kuchen die Einwohner:innen für sich zu gewinnen. Das zeigt aber auch, dass das Unternehmen die Dorfbewohner falsch einschätzt. Wer hier ein paar Tage verbringt und beobachtet, lernt schnell, dass die Menschen alles andere als dumm und rückständig sind. Sie sind vernetzt, herzlich, und sie wollen sich nicht abbringen lassen von ihrer nachhaltigen Art zu leben.

Jeden Morgen, Mittag, Nachmittag und Abend trifft man sich im Café im Ortszentrum. Es ist der soziale Dreh- und Angelpunkt. Mit zwei Berufsmusiker:innen aus dem nächsten Dorf lassen die Bewohner:innen hier alte Lieder und Tänze wieder aufleben. Doch sie pflegen nicht nur alte Traditionen, sondern sind auch offen für neue Aktionsformen: Gemeinsam blockierten die Dorfbewohner:innen 2023 für sieben Monate im Schichtsystem mit ihren Körpern den Zugang zu einem Feld, als die Firma dort eine Testbohrung setzen wollte. Und manchmal müssen sie die Minenfirma sogar mithilfe der lokalen Polizei vertreiben, wenn diese versucht, illegale Bohrungen zu machen. Bei größeren Einsätzen der Regierung werden allerdings überregionale Polizisten geschickt.

Ausgeklügeltes Wassermanagement

Warum die Bewohner:innen ihre Umgebung für so erhaltenswert halten, wird bei einem Besuch schnell deutlich. Trotz der zunehmenden Trockenheit, die ganz Südeuropa im Sommer plagt, ist in Covas alles grün. Auf den vielen kleinen Äckern bauen die Menschen alles an, was man sich vorstellen kann. Eine Aktivistin erzählt, dass im Sommer sogar Zucchini an die Schweine verfüttert wurden, weil die Erträge so groß waren.

Bedeutsam für die angepasste Landwirtschaft ist das Wassermanagement auf den felsigen Böden. Diese können kaum Wasser speichern. Jetzt im Frühjahr gebe es immer wieder Regen, doch im Sommer werde es sehr knapp, erzählt die Aktivistin. Darum beginnen oberhalb des Dorfs kleine Kanäle. Sie leiten das frische Bergwasser aus den steinigen Bergflüsschen um. Es gibt große Becken, und zu jeder Wiese und zu jedem Feld führt ein Kanal. Mit Metallplatten an den Abzweigungen wird im Sommer das knappe Wasser aus den Becken und dem Fluss reihum auf die Felder geleitet. Alle im Dorf haben ein Anrecht auf das Wasser.

Und das ist enorm wichtig. Denn Wasser ist gerade hier in Portugal ein sehr knappes Gut. Eine Studie des US-amerikanischen Geophysikers und Bergbauexperten Steve Emerman über die Mine bei Barroso kommt zu dem Ergebnis, dass es sehr gefährlich für das Wasser werden könnte, wenn Fehler beim Lithiumabbau passieren. Es könnten Schadstoffe in den lokalen Fluss gelangen und diesen über 200 Kilometer bis zur Mündung in Porto verschmutzen. Die Firma Savannah Resources weist das zurück. Laut Aida Fernandes aber ist die geplante Technik zum Extrahieren der lithiumhaltigen Gesteine im Fels "sehr experimentell". Und das Problem ist, dass durch den Extraktionsprozess des rohen Lithiumerzes aus dem Stein Schwermetalle gelöst werden. Mehr als 90 Prozent des Gesteins bleiben dann als belastetes Material übrig, das in einem Damm zwischen den Bergen deponiert werden soll.

Nicht-Eigentum für alle: Allmende

Die Geschichte der Baldios, der Allmende, ist unspektakulär. Vermutlich hat das Land vorher niemandem gehört und wurde dann zum Baldio. Neben staatlichem Eigentum und privatem Eigentum ist es gewissermaßen eine dritte Form des Eigentums, beziehungsweise ein Nicht-Eigentum. Ähnliche Konzepte gab es früher auf der ganzen Welt. Vor genau 500 Jahren drehte sich auch der Bauernkrieg in Süddeutschland teilweise um die Nutzung des Allmende-Lands.

Das Konzept der Allmende ist einfach: Sie dürfen von allen für den eigenen Bedarf oder ein bisschen darüber hinaus genutzt werden. Aida Fernandes erklärt es so: "Trenne die Reichen nicht von den Armen." Denn wenn allen das Land gemeinsam gehört, haben alle das Land als Lebensgrundlage, und es gibt ein gemeinsames Gefühl von Verantwortung dafür. Daraus folgt, dass das Verhältnis der Menschen in Barroso zu ihrem Land besonders ist. Es ist nämlich nicht "ihr" Land. Es ist ein Geben und Nehmen. Eine Art Freundschaft mit der Landschaft.

Internationale Solidarität

2021 kam die französische Aktivistin Paloma zum ersten Mal nach Barroso. Sie hat sich in den Ort verliebt und lebt seitdem in Romainho. Trotz der fortschreitenden Testbohrungen und der Pläne, die immer wieder vergrößert werden, hat sie weiterhin Hoffnung, die Mine abwenden zu können. "Wir wissen, dass wir nicht allein sind, wegen der internationalen Solidarität", sagt sie. Das spüren viele im Dorf. Jedes Jahr im Sommer organisieren die Bewohner:innen und die Aktivist:innen ein Protestcamp mitten im Dorf auf einer Wiese. Zusätzlich gibt es auch immer wieder Camps in den Bergen oder in Lissabon. Aktivist:innen aus ganz Europa kommen, aber auch von anderen Kontinenten.

Der Widerstand hat den Abbau jetzt schon um mehrere Jahre verzögert. Vielleicht stellt Savannah Resources ja auch eines Tages plötzlich auf Lithium-Recycling um. Denn Lithium ist sowieso ein begrenzter Rohstoff.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!