Selten hatte eine Ausstellung eine solche Wirkung auf mich. Ich suche in einem Karton mit alten Familienfotos. Und da steht er in einer Backstube mit einer Rührmaschine für Spritzgebäck, vor einem halbautomatischen Backofen, wie sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Ravensburg wohl nicht zu finden waren. Er war einer der drei Brüder meiner Großmutter, der nach Amerika auswanderte und sein Glück als Bäcker machte. Er sprach kein Wort Englisch bei der Ankunft im Hafen von New York, wo er seine spätere norwegische Frau fand, wo er sich die Dollars für den Führerschein und den ersten amerikanischen "Schlitten" verdiente. Dann fuhren sie los durch Pittsburgh und Milwaukee und, als ob er es riechen konnte, quartierten sich in einer Kleinstadt ein, wo ein alter Bäcker einen Nachfolger suchte, und der hieß Albert Fritz.
Bald rannten ihm die Leute den Laden ein wegen seiner schwäbischen Seelen, Brezeln, der Hefezöpfe und des Zwiebelkuchens. Wir hätten uns vermutlich gut verstanden, denn er wechselte die Wohnsitze so oft wie ich. Einer aus der Verwandtschaft mütterlicherseits, den heimatliche Behaustheit so schnell anödete wie mich. Wenn die Bäckerei auf Hochtouren lief, wenn er einem jungen Amerikaner die schwäbischen Rezepte verraten und ihn ausgebildet hatte, verkaufte er alles, was nicht in oder aufs Dach des riesigen gebrauchten Buick passte. Er machte sein weiteres Glück in der nächsten, in der übernächsten Kleinstadt. Einmal, erzählte mir Großmutter, kam er zu Besuch nach Ravensburg mit der silbernen Taschenuhr mit Springdeckel. Und im Krieg schickte er Pakete mit Zigaretten für meinen Vater, Baked Beans und Maxwell Coffee in Dosen.
Der Schwabe aus Ravensburg – mit der Norwegerin und den Kindern – lebte seinen Traum von Freiheit und Unabhängigkeit in Amerika: mit seinem Handwerk, das er liebte, und seinen Broten, die die Kundschaft liebte. Solche Familiengeschichten dürften bei manchen Besuchern der Ausstellung wach werden, denn es war eine ziemlich verrückte Menge an schwäbischen Auswanderern, die Wurzeln schlugen in Nordamerika.
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Bernd Roller
am 04.04.2024Der pietistische Prophet Johann Georg Rapp kam aus Iptingen.
Ein Ortsteil der Gemeinde Wiernheim im Enzkreis.