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Sweet Dreams Security

Billy B. hängt an Herzchen

Sweet Dreams Security: Billy B. hängt an Herzchen
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Security redesignt: Der Künstler Matthias Megyeri reagiert auf das zunehmende Sicherheitsbedürfnis und die Militarisierung des öffentlichen Raums, indem er Sicherheitsprodukte neu gestaltet.

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Bunte Luftballons zieren das Vordach der Architekturgalerie am Weißenhof in Stuttgart. Sie erinnern an einen Kindergeburtstag, doch bei näherer Betrachtung hängen sie an einer Rolle Nato-Draht. Gedacht war, dass die Luftballons bei Wind auf die scharfen Schneiden stoßen und platzen. Wie schöne Träume. In der Realität war zu wenig Wind, oder sie sind stabiler als gedacht: Sie verlieren nur Luft und platzen deshalb nicht mehr. Aber sie sehen ein bisschen traurig aus.

"Sweet Dreams Security" nennt Matthias Megyeri seine fiktive Firma, die er vor zwanzig Jahren gegründet hat, noch aus dem Critical-Design-Masterstudium in London heraus: ein Sicherheitsdienst, der nicht wirklich Sicherheit anbietet – oder doch auch? –, sondern vielmehr die Ausprägungen unseres Sicherheitsbedürfnisses humorvoll beleuchtet. Wer noch näher hinsieht, erkennt: Der Draht auf dem Vordach der Weißenhofgalerie ist kein gewöhnlicher Nato-Draht. Die Klingen haben die Form von Schmetterlingen. Und schon heitert sich das betrübliche Bild wieder auf.

Es ist Megyeris erste Einzelausstellung in Stuttgart, seit er 2007 nach seinem Studium in Karlsruhe und London als Solitude-Stipendiat in die Stadt zurückkehrte, in der er geboren und aufgewachsen ist. Dabei hat er schon in China und Australien ausgestellt, in Tokio, Jerusalem, Budapest, Timișoara (Temeswar) und Kairo. Arbeiten von ihm befinden sich in der Sammlung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York.

Der unerfüllte Traum von Sicherheit

Mit dem Thema Sicherheit samt Herangehensweise hat Megyeri einen Nerv getroffen. Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Aber eben auch ein schöner Traum. Denn trotz Brandschutz und Sicherheitspolitik gibt es die umfassende Sicherheit nicht. Das Leben: ein Risiko. Doch die Sicherungsanlagen, die eine Grenze markieren zwischen privat und öffentlich, den Dazugehörigen und nicht Dazugehörigen, die den Berechtigten Zugang gewähren und Schutz bieten, grenzen die anderen, die Unberechtigten aus.

Das ist es, was Megyeri an dem Thema fasziniert. Er hat als Straßenkünstler angefangen und interessiert sich für den öffentlichen Raum. Sehr genau beobachtet er Ereignisse wie die "Stuttgarter Krawallnacht" im Jahr 2020: Wie groß ist die Gefahr wirklich? Wird sie nur inszeniert, wenn Politiker:innen sich vor dem demolierten Polizeiauto ablichten lassen? Gibt es auch eine Sicherheit für Jugendliche vor Polizeiübergriffen? Sind Maßnahmen von Videoüberwachung bis hin zu Messerverboten wirklich geeignet, die Gefahr zu verringern?

Megyeri hat darauf auf eigene Weise reagiert. Er hat sechs Männer und Frauen von einem Sicherheitsdienst engagiert, in der Königstraße, wo Schaufenster zu Bruch gegangen waren, den Pusteblumenbrunnen zu bewachen. Der heißt so, weil das Wasser, das die konzentrisch angeordneten Rohre halbkugelförmig versprühen, eben wie eine Pusteblume aussieht. Normalerweise lassen sich Passant:innen dort gern auf dem breiten Betonrand nieder. Nun standen sechs Personen in Schwarz, "Security" auf dem Rücken, um den Brunnen herum. Vollkommen sinnlos, denn dem Brunnen droht keinerlei Gefahr. Doch Megyeri wollte wissen: Was macht das mit uns? Würden sich die Leute anders verhalten als sonst?

Das Bild der schönen heilen Welt trügt

Eher durch Zufall ist er auf das Thema gestoßen. Als er zu Beginn seines Masterstudiums frisch in London angekommen war, fotografierte er viel, um sich mit seiner neuen Umgebung auseinanderzusetzen. Als er dann die Abzüge eines Tages vor sich auf dem Tisch ausbreitete, fiel ihm auf, dass auf nahezu jedem Bild Gitter, spitze Drähte, Glassplitter auf Mauern, Ketten, Schlösser oder Alarmboxen zu sehen waren. Paradoxerweise oft Hand in Hand mit Kitsch: dem Trugbild einer heilen Welt.

R. Bunnit the Rabbit, Peter Pin the Penguin und Didoo the Donkey heißen die gusseisernen Zaunspitzen, die Megyeri zu seinem Studienabschluss am Royal College of Art vorgestellt hat. Mit ihren Grinsegesichtern sind Hase und Pinguin leicht zu erkennen, der Esel nicht ohne Weiteres. Sofort übernahm sie der British Council, die Institution, die Großbritannien und seine Kultur im Ausland repräsentiert, in eine weltweite Wanderausstellung zum "British Design". Britisch sind die Zaunspitzen insofern, als sie sich am typisch viktorianischen Zaun orientieren. Ausgestellt am Weißenhof ist auch Megyeris Vorhängeschloss "Billy B.": Das typische englische Vorhängeschloss habe ihn an Micky Maus erinnert, weshalb er ihm kurzerhand ein Gesicht hinzugefügt hat. Und passend dazu die "Love Chain" – eine Kette aus herzförmigen Kettengliedern.

Zwei Jahre nach 9/11, dem Anschlag auf die Twin Towers des New Yorker World Trade Centers, gründete Megyeri sein fiktives Unternehmen. Zwei Jahre später stellte er im MoMA aus. An der Adresse One Bryant Park, unweit des Times Square, befand sich die neue Zentrale der Bank of America damals gerade im Bau. Die Bank schrieb einen Wettbewerb für Poller aus, die das Gebäude umgeben sollten, den Megyeri mit seinen "Bouncern" gewann.

"To bounce" heißt abprallen, abweisen, "Bouncer" auch Türsteher. Megyeris "Bouncer" sind graue Pinguine, die um das Gebäude herumstehen sollten. So groß wie ein Königspinguin, mal erkennbar, mal abstrakt, wie die drei in der Weißenhofgalerie ausgestellten Exemplare vor Augen führen. Ein Grundriss des Bankgebäudes dokumentiert die gedachte Verwendung. Realisiert wurden sie nicht, weil ein neues Gesetz den Gebrauch von Pollern einschränkte, die sich nach dem 11. September 2001 überall ausbreiteten.

Angst als Kehrseite der Sicherheit

Ist "Sweet Dreams Security" nun also ein Kunstprojekt oder doch ein reales Unternehmen, das Sicherheitsprodukte anbietet? Es ist ein schmaler Grat. Es gibt zwei Häuser in Stuttgart und weitere in anderen Städten, deren Zäune mit Megyeris Zaunspitzen versehen sind. Das gefällt ihm, weil er so ein anderes Publikum erreicht als mit einer Ausstellung. Und weil er damit einen Überraschungseffekt erzielt, möchte er ihre Zahl in Grenzen halten und nicht etwa so viele wie möglich verkaufen.

Megyeri will dem Thema die Härte, die Schwere nehmen. Niemals würde er etwas herstellen, das andere wirklich bedroht. Aber seine Zaunspitzen sind nicht etwa, wie man meinen könnte, aus Kunststoff. Sie liegen schwer in der Hand, sind von einer Gießerei aus Gusseisen gefertigt. Sein Vorhängeschloss "Billy B." ist vom selben Unternehmen hergestellt, das bereits das Vorbild, das "Old English Padlock" anbietet.

Ein Scherengitter scheint nun das Fenster der Weißenhofgalerie zu sichern. Bei näherem Hinsehen handelt es sich um einen vor das Fenster gehängten Spiegel, auf dem per Sandstrahl die Form eines Scherengitters angebracht ist, und zwar von vorne und hinten, sodass es wie ein dreidimensionales Gitter wirkt, nicht wie eine aufgeklebte Folie.

Die Kehrseite der Sicherheit heißt Angst. Seit 2001 folgt ein Bedrohungsszenario dem anderen, beobachtet Megyeri. "Angst hat Zukunft", lautet der Untertitel der Ausstellung. Mit Angst kann man Geschäfte machen. "Im Bereich der Finanzdienstleistung sind die Wachstumsraten zweistellig", schreibt Christian Holl, der gemeinsam mit Juliane Otterbach die Ausstellung kuratiert hat, in der Ausstellungsbroschüre, "das Budget der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex war 2022 schon mehr als doppelt so hoch wie 2020 und ist 2023 gegenüber dem Vorjahr nochmals um 12 Prozent auf inzwischen 845 Millionen Euro gestiegen."

Mit Humor gegen die Schockstarre

Mit Angst kann man auch Politik machen. Das Rezept des Rechtspopulismus: Den anderen zum Feind stilisieren und zu den Fahnen rufen. Und schon wachsen die Zäune empor. Funktioniert fast immer. Die Bedrohung ist selten so groß. Sie wird auch von den Medien verstärkt, die sich bei einer realen oder herbeigeschriebenen Bedrohung besser an den Mann oder an die Frau bringen lassen.

In einem Vortrag in Stuttgart zur Zeit der Jugoslawienkriege hat der Postkolonialismus-Theoretiker Homi K. Bhabha gefragt, warum Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit, die in Bosnien jahrhundertelang friedlich zusammenlebten, plötzlich aufeinander einschlugen. Bhabhas Antwort: Es ist die Logik des Zuerst-Zuschlagens. Wird der Andere plötzlich als Feind wahrgenommen – etwa ausgelöst durch Propaganda –, kommt es auch ohne konkreten Anlass zu Pogromen. Hier setzt Megyeri an.

Denn wenn man lacht, löst sich die Anspannung. Er weiß wohl, dass es auch reale Bedrohungen gibt. Die Zahl der Einbruchsdelikte nahm zu, als er in London war. Alle versuchten, sich mit Alarmboxen, Ketten, Schlössern und Scherengittern zu sichern. Noch extremer hat er es in São Paulo erlebt. Der tiefere Grund für die Kriminalität ist die soziale Spaltung. Doch die ist nicht so leicht zu beheben.

Wer aber mit Humor an die Dinge herangeht, hört auf, auf eine gefühlte Gefahr zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Eine glockenspielartige Endlosmelodie tönt durch den Ausstellungsraum. Mit Jun Mung Zhang, einem seiner Studenten aus Guangzhou, hat Megyeri eine poppig-bunte Animation der virtuellen "Silver Pastel Factory" produziert, die seine Sicherheitsprodukte herstellt. Es hilft, die Dinge nicht immer ganz so ernst zu nehmen.


Die Ausstellung "Sweet Dreams Security ® – Angst hat Zukunft" in der Architekturgalerie am Weißenhof, Stuttgart, läuft bis 21. Januar 2024 und ist dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr, samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Am Mittwoch, 22. November um 19 Uhr veranstaltet die Architekturgalerie dazu das Symposium "An der Grenze. Wie wir soziale Wirklichkeit konstruieren". Das Symposium findet statt im im Württembergischen Kunstverein, Am Schlossplatz 2, Stuttgart-Mitte. Mit Stephan Lessenich vom Frankfurter Institut für Sozialforschung, Ania Corcilius vom Stuttgarter Künstlerhaus und Brusk Hasan vom Café Legal, Stuttgart.


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