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Schulprojekt Bismarckschule Stuttgart

Endspurt auf der Zielgeraden

Schulprojekt Bismarckschule Stuttgart: Endspurt auf der Zielgeraden
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Oliver Hildenbrand, Landtagsabgeordneter der Grünen, war zu Besuch bei unserem Schulprojekt an der Stuttgarter Bismarckschule und hat sich den Fragen der 8b gestellt. Von Israel über Gelächter im Landtag bis zu Gehältern von Politiker:innen.

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Die Aufregung ist groß am Donnerstagmittag im zweiten Stock der Bismackschule. Schuld daran sind nicht etwa die Kontext-Redakteur:innen, die hinter dem Lehrerpult stehen und an deren Anblick sich die Klasse mittlerweile gewöhnt hat. Zum sechsten Mal ist Kontext bereits zu Besuch an der Werkrealschule in Stuttgart-Feuerbach, um mit den Achtklässler:innen an deren Texten zu feilen, die bald in Kontext veröffentlicht werden sollen.

Grund für die allgemeine Unruhe im Klassenzimmer ist aber ein ganz anderer: "Kommt heute nicht der Politiker?", fragt ein Schüler in der ersten Reihe. Ja, in 20 Minuten wird er hier sein: Oliver Hildenbrand. Der grüne Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Stuttgart III, welcher unter anderem den Stadtbezirk Feuerbach umfasst, ist der Einladung an die Schule gefolgt und wird sich mit Fragen löchern lassen. Im Anschluss werden ihn Phoebe und ihre Gruppenkolleginnen zum Thema Inflation interviewen.

Schon zwanzigmal von der Polizei kontrolliert

Klassenlehrerin Jennifer Kurrle hat die 8b bestens auf den Besuch vorbereitet. "Dürfen wir ihn auch zu Israel und Gaza befragen?", waren sich einige Schüler:innen unsicher. "Natürlich! Ihr dürft ihn alles fragen, solange ihr dabei respektvoll bleibt." Apropos respektvoll: Kurrle bittet die Mütze-tragenden Jungs für den Besuch ihre Kopfbedeckung abzunehmen – und bricht damit dem ein oder anderen das Herz. "Ach Frau Kurrle, nein!" 

Und dann ist es so weit: Im hellblauen Hemd und schwarzer Jacke betritt der 35-jährige Landtagsabgeordnete das Klassenzimmer. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, Gezischel aus allen Ecken, doch schnell herrscht Ruhe. Hildenbrand begrüßt alle, bedankt sich für die Einladung, stellt sich – ungewöhnlich für einen Politiker – in wenigen Sätzen vor und geht sogleich zur Fragerunde über. Ein Schüler in der letzten Reihe ist am schnellsten: "Warum sind Sie bei den Grünen?", will er wissen. Als der Landtagsabgeordnete in seiner Antwort auf das Thema Antidiskriminierung hinweist und erzählt, dass er am Stuttgarter Bahnhof noch nie von der Polizei kontrolliert worden sei, trifft er einen Nerv. "Waaas?", kann ein Schüler seine Ungläubigkeit nicht verbergen. "Ich wurde schon zwanzigmal kontrolliert!" Ob Hildenbrand denn schon einmal mitbekommen habe, wie jemand diskriminiert wurde? Leider ja. "Auch im Landtag passieren diskriminierende Dinge", sagt er und verweist auf die AfD und wie letztens jemand islamfreie Schulen gefordert habe.

Die Antwort auf die Frage, warum Geflüchtete aus unterschiedlichen Ländern unterschiedlich behandelt werden, ist damit vorhersehbar: "Da sieht man, dass solche ganz großen Wörter wie Rassismus in ganz kleinen Dingen sichtbar werden", sagt Hildenbrand. An das Wording zu Migrationsfragen für grüne Landtagsabgeordnete (Kontext berichtete) scheint er sich nicht zu halten.

"Haben Sie schon mal was verändert?", fragt ein Schüler. Eine Frage, die ein:e Politiker:in gerne hört und für Hildenbrand die Gelegenheit über Umwelt, Atomenergie und Gleichberechtigung von Frauen zu reden. Doch besonders interessant für die Achtklässler:innen ist das neue Wahlrecht: Bei den nächsten Landtagswahlen dürfen 16- und 17-Jährige bereits wählen, bei den Kommunalwahlen können sie sogar gewählt werden.

"Üüübel" viel Geld für Politiker:innen

Schließlich wagt sich ein Schüler an das polarisierende Thema: "Was halten Sie von der Situation in Gaza und Israel?" Mucksmäuschenstill und mit voller Aufmerksamkeit erwarten die Schüler:innen die Antwort. Er habe Freunde in Israel, sagt Hildenbrand. Und was die Hamas da mache, sei kein Freiheitskampf, sondern Terror, weshalb er klar auf der Seite von Israel stehe. "Die Hamas vertritt nicht das palästinensische Volk. Alle sollten gegen diesen Terror der Hamas stehen, sowohl Israel als auch Palästina."

Alles ziemlich ernst in der Politik, haben die Schüler:innen den Eindruck. Deshalb fragt sich eine Schülerin: "Darf man im Landtag auch mal lachen?" "Natürlich, lachen und dazwischenrufen soll man sogar." "Und die Sitzordnung, ist die vorgegeben?", will eine andere wissen. "Ganz rechts die AfD, dann folgen CDU, FDP, Grüne und ganz links die SPD. Vorne sitzen die jeweiligen Fraktionsvorsitzenden, dahinter die Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge."

Und ein anderer Schüler: "Verdient man eigentlich etwas als Politiker?" "Oh ja, sogar richtig gut. Etwa 9.000 Euro im Monat." Ungläubig starren sie Achtklässler:innen den Landtagsabgeordneten an. "Üüübel", kann sich ein Schüler nicht verkneifen. "Aber wir arbeiten auch sehr viel", ergänzt Hildenbrand.

Die Schüler:innen würden gerne noch viel mehr wissen, doch bald ist es Zeit für die Schlussfrage: "Wenn Sie eine Sache in Deutschland verändern könnten, was wäre das?" Ganz klar: Klimaschutz. Gesetze und Ziele wurden zwar festgelegt, doch es fehle an den konkreten Maßnahmen, um die Ziele zu erreichen. "Stuttgart ist noch viel zu Auto-fixiert", schließt Hildenbrand die Fragerunde. Kurz darauf verschwinden Phoebe und ihre zwei Kolleginnen mit ihm im Nebenraum. Endlich können sie einem Politiker die Frage der Fragen stellen: Warum ist alles so teuer geworden?

Aus Gedanken werden geschriebene Worte

In der Zwischenzeit folgt im Klassenzimmer ein kurzes Feedback der restlichen Gruppen zu deren jeweiligen Zwischenstand. Vor zwei Wochen noch gefühlt an der Startlinie, sind mittlerweile alle an einem guten Punkt: Interviews wurden geführt, Zahlen und Fakten recherchiert und erste Gedanken niedergeschrieben. Der Endspurt ist eingeleitet und plötzlich landen die ersten fertigen Texte in den Händen der Kontext-Redakteur:innen.

Musa, David, Fatih und Sadik haben ihren Ärger über die – wie sie finden – Ungerechtigkeit, dass Achtklässler:innen das Schulgelände in der Mittagspause nicht verlassen dürfen, in einem Kommentar freien Lauf gelassen. Und dabei trotzdem nüchtern und nachvollziehbar argumentiert. Auch Igor, der umgezogen und somit nicht mehr an der Bismarckschule ist, hat in Rekordzeit seinen Text geschrieben: einen Nachruf für den von ihm bewunderten japanischen Manga-Zeichner Kentarō Miura, der vor zwei Jahren verstorben ist.

Warum rauchen Jugendliche Cannabis und was kann man dagegen tun? Das hat eine Gruppe in einem Interview mit einem Drogenberater herausgefunden. Vollkommen aus eigener Feder stammt der Kommentar einer weiteren Gruppe über das Rauchen unter Jugendlichen. Und was passiert eigentlich, wenn drei Jungs, die es ziemlich doof finden, wenn sich Menschen für das Klima auf der Straße festkleben, genau so einem Menschen gegenübersitzen?

Spannend war es lange Zeit bei der Gruppe von Artur, Max und zwei weiteren Schüler:innen. Das Vierergespann wusste von Anfang an: Sie wollen sich des Themas Diskriminierung annehmen. Aber der richtige Dreh hat ihnen gefehlt. Doch Tüfteln, Kopfzerbrechen und Sammeln von Ideen, um sie schlussendlich doch wieder über den Haufen zu werfen, haben sich gelohnt: Den roten Faden haben die Vier gefunden, jetzt müssen sie die einzelnen Bausteine zu einem großen Ganzen zusammenfügen.

Kurz vor 13 Uhr kommt die Mädelsgruppe von ihrem Gespräch mit Hildenbrand zurück. Wie es war? "Ganz gut." Aber: "Der hat so klug geredet." "Und so lange Sätze!" Hildenbrand stellt sich nochmal vorne hin und verabschiedet sich. Über ihm an der Wand hinter der Tafel thront das Zitat "Wer sein Ziel kennt, findet den Weg", vom chinesischen Philosophen Laotse. Uralt, aber trotzdem aktuell: Auch die Schüler:innen der 8b sind auf einem guten Weg Richtung Ziel, ihre selbstgeschriebenen Texte in der Zeitung zu lesen. Und als Kontext-Chefredakteurin Anna Hunger am Ende der Stunde den Schüler:innen gegenüber bekräftigt, wie viel sie denn schon alle geleistet haben und wie stolz sie auf sich sein können, gehen die ein oder anderen Mundwinkel nach oben. Chapeau an die 8b!


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