Ausweise raus! Wer auf den Karlsplatz will, wird kontrolliert: Mit einem Großaufgebot ist die Polizei im Einsatz und durchsucht Menschen, die eine Gedenkveranstaltung zum rassistischen Terror von Hanau besuchen wollen. Ein junger Stuttgarter mit Bart, braunen Augen und dunkler Haut, der das Prozedere gerade durchmachen musste, wirkt entnervt und müde. Für ihn sei das eine Art Routine, erklärt er: Das passiere ihm mehrmals pro Woche, wenn er in Stuttgart unterwegs ist. Den Bahnhof in Bad-Cannstatt meidet er inzwischen ganz, weil er da bei jedem zweiten Besuch herausgezogen werde. Etwas Verbotenes hätten sie bei den vielen Kontrollen noch nie gefunden, sagt der Mann Anfang 20. Aber mit seinem Erscheinungsbild stelle er offenbar das dar, was in Polizeikreisen als verdächtig gilt. Die Schikane mache mürbe – und sei nebenbei auch extrem zeitraubend: Einmal, berichtet er, wollte er einen Tagesurlaub mit Freunden machen. Da haben sie sein Auto angehalten und auseinandergebaut – im Rahmen einer "routinemäßigen" Verkehrskontrolle. Nach gut zwei Stunden Wartezeit konnten sie den Ausflug abblasen.
Kontrollen ohne Kontrolle
Anfang 2020 hat Baden-Württemberg binnen weniger Jahre zum zweiten Mal sein Polizeigesetz überarbeitet, vor allem um es zu verschärfen. Der zwischenzeitlich verstorbene Grünen-Politiker Hans-Ulrich Sckerl, damals innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, hatte im Interview mit Kontext ausgeführt, dass seine Partei anlasslosen Personenkontrollen einen Riegel vorschieben wolle. Der Plan: "Die Polizei muss gerichtsfest Gründe vorlegen können, warum sie jemanden verdächtigt hat." Damit solle "jeder Ansatz für Racial Profiling" ausgeschlossen werden. Doch das Vorhaben wurde bei der Kompromissfindung mit dem konservativen Koalitionspartner begraben. Zwar hatte Daniel Lede Abal, migrationspolitischer Sprecher der Grünen, nach Verabschiedung des Gesetzes noch behauptet: "Nur wenn sich im Einzelfall konkrete Tatsachen ergeben, dass eine Großveranstaltung gefährdet sein könnte, dürfen die Kontrollen durchgeführt werden. Die Regelung betrifft somit nicht alle Veranstaltungen – Demonstrationen und Versammlungen sind explizit ausgenommen." In der Praxis aber werden Personen durchsucht, die am Jahrestag eines rechtsextremen Terroranschlags auf strukturellen Rassismus hinweisen wollen. (min)
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!