KONTEXT:Wochenzeitung
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Gefahren von rechts

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In Hanau tötet rassistischer Terror elf Menschen. Die Stadt Pforzheim will vor diesem Hintergrund einen Aufmarsch von Neonazis verbieten. Doch Gerichte intervenieren. Außerdem wird Stuttgart zum sicheren Hafen für Geflüchtete und Günther Oettinger wohl zum Berater unter Viktor Orbán. Eine Wochenschau.

Rechte Gewalt: "Extrem hohe Gefährdungslage"

Als am 14. Februar bei Razzien in sechs Bundesländern ein Dutzend Personen verhaftet werden, die im Verdacht stehen, eine Serie von Anschlägen auf Moscheen geplant zu haben, um durch ein Massaker an Muslimen einen Bürgerkrieg zu provozieren, berichtet die "Tagesschau": "Im Vergleich zur Zahl der Personen, die als islamistische Gefährder geführt werden, hat die Polizei mit zuletzt 48 Personen vergleichsweise wenige gewaltbereite Rechtsextremisten als Gefährder eingestuft." Keine zwei Wochen später erscheint diese Einschätzung überholt. "Das rechte Terrornetzwerk in Deutschland ist offenbar größer als bislang bekannt", meldet der WDR aktuell. Nach Informationen des Senders liegen den Sicherheitsbehörden "Anhaltspunkte darüber vor, dass es mehr als 1.000 gewaltbereite Rechtsextremisten in ganz Deutschland und im nahen Ausland gibt, die sofort zu einem bewaffneten Kampf bereit wären."

Nachdem bei einem rassistisch motivierten Terroranschlag am 19. Februar in Hanau elf Menschen getötet wurden, bezeichnet Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Rechtsextremismus als die "größte Bedrohung in unserem Land", spricht von einer "extrem hohen Gefährdungslage" und warnt vor möglichen Nachahmungstätern. 

Einen Tag nach dem Anschlag wird öffentlich bekannt, dass ein Unbekannter bereits im Januar an der Zufahrt zur KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora (Thüringen) einen zündfähigen Sprengkörper angebracht hat (ein Motiv ist laut Ermittlungsbehörden noch nicht bekannt). In Döbeln (Sachsen) kommt es in der Nacht auf den vergangenen Freitag, 21. Februar, zu einer mutmaßlichen Brandstiftung an zwei benachbarten Gebäuden; im einen ist eine Shisha-Bar, im anderen ein Döner-Imbiss untergebracht (die Behörden schließen eine politisch motivierte Tat nicht aus). In der Nacht auf den Samstag, 22. Februar, kommt es in Stuttgart zu Schüssen auf eine Shisha-Bar. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen und sieht bislang keine Hinweise für einen rechtsextremen Hintergrund. Und in der Nacht auf den Sonntag, 23. Februar, schießen Unbekannte auf das Wohnhaus des Ditib-Generalsekretärs Abdurrahman Atasoy in Heilbronn. Seine Erlebnisse mit den Behörden schildert er wie folgt: "Auf den ersten Notruf nach den Schüssen erwiderte die Polizei: 'Sie sind nicht die einzigen, stellen Sie sich nicht so an. Sie müssen warten.' Auch wurden keine Zeugenaussagen aufgenommen, erst am nächsten Morgen kamen Polizeibeamte und nahmen den Fall ernst." Die Ermittlungen laufen noch. 

Rechtsextreme in den Behörden

Neben einem besseren Schutz für "sensible Einrichtungen" wie Moscheen plant die Bundesregierung, beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine zentrale Stelle für rechtsextreme Vorfälle innerhalb deutscher Behörden einzurichten. Denn bei der Bedrohung von rechts geht es nicht (nur) um isolierte Untergrund-Netzwerke am Rand der Gesellschaft, sondern um militante Gruppen mit direkten Verbindungen in Sicherheitsbehörden – während gleichzeitig die Bereitschaft, in den eigenen Reihen extremistische Umtriebe aufzudecken, in den vergangenen Jahren eher überschaubar wirkte. Laut dem "Spiegel" soll ein Polizeibeamter aus Nordrhein-Westfalen, der im Verdacht steht, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben, dafür zuständig gewesen sein, Waffenscheine auszustellen. 

Anzeichen für eine krude Gesinnung gab es dabei weit vor seiner Verhaftung: "In seiner Freizeit kleidete sich der Polizeimitarbeiter Thorsten W. häufig wie ein germanischer Krieger. Fotos auf Facebook zeigen ihn mit Schwert und runenverziertem Schild. Mit seiner Meinung habe er auch am Arbeitsplatz nie hinterm Berg gehalten, heißt es aus dem Kollegenkreis. (…) Bei der Auswertung eines seiner Profile in sozialen Medien fanden sich zahlreiche Abbildungen von Hakenkreuzen und SS-Symbolen." Wie der "Spiegel" zitiert, habe die zuständige Polizeibehörde inzwischen eingeräumt, "die einzelnen Mosaiksteine seines Agierens", gemeint ist Thorsten W., nicht ausreichend geprüft zu haben. Eine Zusammenstellung von rechtsextremen Vorfällen innerhalb der Polizei veröffentlichte Kontext in Ausgabe 464

Neonazis und Meinungsfreiheit

Zum Standardrepertoire der antifaschistischen Protestparolen gehört der Ausruf: "Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!" Formaljuristisch trifft das jedoch nicht zu. Denn regelmäßig gelingt es dem Rechtsstaat, seinen Feinden von rechts, notfalls mit Nachdruck, ein Podium freizuräumen. Illustrieren lässt sich dies an einem aktuellen Beispiel aus Pforzheim: Seit mehr als zwei Jahrzehnten schon kommen dort am 23. Februar, dem Jahrestag des schweren Bombenangriffs auf die Stadt, jeweils ein paar Dutzend Rechtsextremisten zusammen, um das deutsche Volk als eigentliches Opfer des Zweiten Weltkriegs zu beklagen und der etablierten Geschichtsschreibung eine alternative Sichtweise entgegenzusetzen. Als Gäste geladen sind dann beispielsweise einschlägige Holocaustleugner wie der britische Historiker David Irving, der bestreitet, dass die Gaskammern in Auschwitz für die industrielle Massenvernichtung von Menschen eingesetzt wurden.

Nachdem die Stadt Pforzheim diese Veranstaltungen in den Vorjahren ohne erkennbares Unbehagen genehmigt hat, sieht sie sich in diesem Jahr, nach bundesweit drei rechtsterroristischen Anschlägen in neun Monaten und Seehofers Warnung, mit einer anderen Konstellation konfrontiert. "Vor dem Hintergrund dieser Gefährdungseinschätzung", teilt der Pforzheimer Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) in einer Pressemitteilung mit, "halte ich es für unvertretbar, dass sich am Sonntag Rechtsextreme in unserer Stadt versammeln."

Die Stadtverwaltung will den Aufzug verbieten. Doch dagegen klagt der Veranstalter, der Verein "Freundeskreis ein Herz für Deutschland", der laut dem baden-württembergischen Innenministerium "Mitte der achtziger Jahre als Vorfeldorganisation der NPD gegründet worden" ist, heute überparteilicher agiert und nach Informationen von Kontext gute Kontakte zur Identitären Bewegung pflegt. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe in erster und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in letzter Instanz werten die Grundrechte der Neonazis auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit als gewichtiger als die Sicherheitsbedenken der Stadt und genehmigen die Versammlung.

"Selbstverständlich ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein richterliches Urteil in letzter Instanz zu akzeptieren", kommentiert OB Boch, fügt aber hinzu: "Es ist an der Zeit, das Versammlungsgesetz zu ändern, um Kommunen damit die Möglichkeit zu geben, solche Versammlungen leichter zu verbieten." Heikel wird diese Forderung bei der Frage, wer bestimmen soll, wofür demonstriert werden darf und wofür nicht – und wie gut sich eine entsprechende Regelung mit dem Grundgesetz vereinbaren ließe.

Oettinger prüft Orbáns Angebot

Heikel auch folgende Frage: Was tun, wenn ein Rechtspopulist um Beratungsleistungen bittet? Nun, die eine Option wäre es, so ein Angebot postwendend zurückzuweisen. Die andere Variante ist die, für die sich Günther Oettinger entschieden hat.

Als Victor Orbán bei ihm anfragte, ob er für seinen neu gegründeten Nationalen Rat für Wissenschaftspolitik arbeiten wollte, sagte der ehemalige EU-Kommissar und frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg nicht etwa: "Auf gar keinen Fall unterstütze ich ein System, das die freie Forschung beschneidet und die Wissenschaft für politische Propaganda instrumentalisieren will." Nein, er sagte: "Ich bin selbstverständlich bereit, meine Erfahrung einzubringen, und prüfe das Angebot genau", wie ihn der "Spiegel" zitiert

Bevor Oettinger mit seiner Expertise unterstützend aktiv werden kann, muss jedoch zuerst noch die EU-Kommission den neuen Arbeitsplatz absegnen. Denn da Oettinger noch bis November 2019 Haushaltskommissar der EU war, ist eine Zustimmung Pflicht.

Stuttgart wird Sicherer Hafen

Um für geflüchtete Menschen "einen Ort zum Ankommen zu finden", setzt sich das Bündnis Seebrücke in ganz Europa dafür ein, Kommunen zu mehr Eigenverantwortung zu bewegen: Sie sollen sich freiwillig bereit erklären, Geflüchtete aufzunehmen. In Deutschland machen 124 Kommunen mit, die baden-württembergische Landeshauptstadt war bislang nicht dabei. Das ändert sich nun: Vergangene Woche haben die Grünen, die FrAKTION (Linke, SÖS, Piraten, Tierschutzpartei), die SPD und die PULS-Gemeinschaft einen fraktionsübergreifenden Antrag im Gemeinderat eingereicht, auch Stuttgart zum Sicheren Hafen zu erklären. Da sie gemeinsam über eine Mehrheit verfügen, sollte dem Beschluss nichts im Weg stehen.

Hamburger Überraschung

Sicherer Hafen ist Hamburg bereits seit dem 26. September 2018. Für Erleichterung sorgte die Hansestadt vergangenen Sonntag auch bei vielen, weil die dortige Bürgerschaftswahl seit langem die erste Wahl in Deutschland war, bei der die AfD nicht zulegte, sondern Verluste hinnehmen musste – fast flog sie aus der Bürgerschaft. "Supersympathisch" nannte deswegen taz-Chefredakteur Georg Löwisch das Ergebnis in einem Kommentar, und supersympathisch fanden es wohl auch viele Sozialdemokraten, weil ihre Partei hier trotz Verlusten noch fast 40 Prozent erreichte, ein Ergebnis, das die SPD in Baden-Württemberg wohl in schwere Personalnöte bringen würde.

Ganz vergessen werden sollte dabei indes nicht, dass Hamburgs ehemaliger Oberschultes und jetziger Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht nur supersympathische Seiten hat. Als Erster Bürgermeister der Hansestadt verantwortete er einen desaströsen Polizeieinsatz beim G-20-Gipfel 2017, seit Kurzem steht er im Verdacht, in Zusammenhang mit CumEx-Geschäften mit einer Hamburger Privatbank gekungelt zu haben, wodurch dem Staat Einnahmen von knapp 47 Millionen Euro entgangen seien. Und natürlich ist er seit Jahren vehementer Verfechter der Schwarzen Null, an der er auch festhalten will, wenn er damit auf Kollisionskurs mit der neuen SPD-Spitze geht.

Peter Bofinger beim Neuen Montagskreis

Gar nichts von der Schwarzen Null hält hingegen der Ökonom Peter Bofinger. Als einer der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung in ökonomischen Fragen beraten, galt Bofinger als Querkopf: Weil er oftmals als einziger im Gremium eine abweichende Meinung vertrat. Der Ökonom ist nicht nur Kritiker von Schuldenbremse und europäischer Austeritätspolitik ("Bisher haben wir für Krisenländer Rettungsprogramme gemacht, aber wenn man aus der Intensivstation herauskommt, muss eine Reha-Phase folgen.") Er rüttelt auch noch ein einem Grundpfeiler der herrschenden ökonomischen Lehre – und bestreitet, dass der freie Wettbewerb immer die besten Ideen hervorbringt. Als Bofinger 2017 in einem Gastbeitrag für die FAZ bemängelte, dass die freie Hand des Marktes die Energiewende genauso verpennt hat wie die Transformation der deutschen Automobilindustrie und sich in diesem Zusammenhang für eine "aktivere Industriepolitik" des Staates aussprach, reagierten seine Kollegen empört: In einer Erwiderung erklärten die vier anderen Wirtschaftsweisen Bofinger kurzerhand zum ahnungslosen Laien, taten so, als hätte er die "marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung" grundsätzlich in Frage gestellt, und urteilten dann: "Einem Profi sollte das nicht passieren." (Noch mehr zu dem Streit hier.)

Am 2. März ist Bofinger beim Neuen Montagskreis im Theaterhaus Stuttgart zu Gast. Dort will er referieren, warum er der Schwarzen Null eine Grüne vorzieht – also warum ihm wichtiger ist, folgenden Generationen eine intakte, bewohnbare Umwelt zu hinterlassen, als einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Moderiert wird der Abend vom Journalisten Michael Zeiß, dem ehemaligen Fernseh-Chefredakteur des SWR.


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4 Kommentare verfügbar

  • Lowandorder
    am 26.02.2020
    Antworten
    Ach was! - “… "Es ist an der Zeit, das Versammlungsgesetz zu ändern, um Kommunen damit die Möglichkeit zu geben, solche Versammlungen leichter zu verbieten." Heikel wird diese Forderung bei der Frage, wer bestimmen soll, wofür demonstriert werden darf und wofür nicht – und wie gut sich eine…
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