Einen Tag nach dem Anschlag wird öffentlich bekannt, dass ein Unbekannter bereits im Januar an der Zufahrt zur KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora (Thüringen) einen zündfähigen Sprengkörper angebracht hat (ein Motiv ist laut Ermittlungsbehörden noch nicht bekannt). In Döbeln (Sachsen) kommt es in der Nacht auf den vergangenen Freitag, 21. Februar, zu einer mutmaßlichen Brandstiftung an zwei benachbarten Gebäuden; im einen ist eine Shisha-Bar, im anderen ein Döner-Imbiss untergebracht (die Behörden schließen eine politisch motivierte Tat nicht aus). In der Nacht auf den Samstag, 22. Februar, kommt es in Stuttgart zu Schüssen auf eine Shisha-Bar. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen und sieht bislang keine Hinweise für einen rechtsextremen Hintergrund. Und in der Nacht auf den Sonntag, 23. Februar, schießen Unbekannte auf das Wohnhaus des Ditib-Generalsekretärs Abdurrahman Atasoy in Heilbronn. Seine Erlebnisse mit den Behörden schildert er wie folgt: "Auf den ersten Notruf nach den Schüssen erwiderte die Polizei: 'Sie sind nicht die einzigen, stellen Sie sich nicht so an. Sie müssen warten.' Auch wurden keine Zeugenaussagen aufgenommen, erst am nächsten Morgen kamen Polizeibeamte und nahmen den Fall ernst." Die Ermittlungen laufen noch.
Rechtsextreme in den Behörden
Neben einem besseren Schutz für "sensible Einrichtungen" wie Moscheen plant die Bundesregierung, beim Bundesamt für Verfassungsschutz eine zentrale Stelle für rechtsextreme Vorfälle innerhalb deutscher Behörden einzurichten. Denn bei der Bedrohung von rechts geht es nicht (nur) um isolierte Untergrund-Netzwerke am Rand der Gesellschaft, sondern um militante Gruppen mit direkten Verbindungen in Sicherheitsbehörden – während gleichzeitig die Bereitschaft, in den eigenen Reihen extremistische Umtriebe aufzudecken, in den vergangenen Jahren eher überschaubar wirkte. Laut dem "Spiegel" soll ein Polizeibeamter aus Nordrhein-Westfalen, der im Verdacht steht, eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben, dafür zuständig gewesen sein, Waffenscheine auszustellen.
Anzeichen für eine krude Gesinnung gab es dabei weit vor seiner Verhaftung: "In seiner Freizeit kleidete sich der Polizeimitarbeiter Thorsten W. häufig wie ein germanischer Krieger. Fotos auf Facebook zeigen ihn mit Schwert und runenverziertem Schild. Mit seiner Meinung habe er auch am Arbeitsplatz nie hinterm Berg gehalten, heißt es aus dem Kollegenkreis. (…) Bei der Auswertung eines seiner Profile in sozialen Medien fanden sich zahlreiche Abbildungen von Hakenkreuzen und SS-Symbolen." Wie der "Spiegel" zitiert, habe die zuständige Polizeibehörde inzwischen eingeräumt, "die einzelnen Mosaiksteine seines Agierens", gemeint ist Thorsten W., nicht ausreichend geprüft zu haben. Eine Zusammenstellung von rechtsextremen Vorfällen innerhalb der Polizei veröffentlichte Kontext in Ausgabe 464.
Neonazis und Meinungsfreiheit
Zum Standardrepertoire der antifaschistischen Protestparolen gehört der Ausruf: "Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!" Formaljuristisch trifft das jedoch nicht zu. Denn regelmäßig gelingt es dem Rechtsstaat, seinen Feinden von rechts, notfalls mit Nachdruck, ein Podium freizuräumen. Illustrieren lässt sich dies an einem aktuellen Beispiel aus Pforzheim: Seit mehr als zwei Jahrzehnten schon kommen dort am 23. Februar, dem Jahrestag des schweren Bombenangriffs auf die Stadt, jeweils ein paar Dutzend Rechtsextremisten zusammen, um das deutsche Volk als eigentliches Opfer des Zweiten Weltkriegs zu beklagen und der etablierten Geschichtsschreibung eine alternative Sichtweise entgegenzusetzen. Als Gäste geladen sind dann beispielsweise einschlägige Holocaustleugner wie der britische Historiker David Irving, der bestreitet, dass die Gaskammern in Auschwitz für die industrielle Massenvernichtung von Menschen eingesetzt wurden.
Nachdem die Stadt Pforzheim diese Veranstaltungen in den Vorjahren ohne erkennbares Unbehagen genehmigt hat, sieht sie sich in diesem Jahr, nach bundesweit drei rechtsterroristischen Anschlägen in neun Monaten und Seehofers Warnung, mit einer anderen Konstellation konfrontiert. "Vor dem Hintergrund dieser Gefährdungseinschätzung", teilt der Pforzheimer Oberbürgermeister Peter Boch (CDU) in einer Pressemitteilung mit, "halte ich es für unvertretbar, dass sich am Sonntag Rechtsextreme in unserer Stadt versammeln."
Die Stadtverwaltung will den Aufzug verbieten. Doch dagegen klagt der Veranstalter, der Verein "Freundeskreis ein Herz für Deutschland", der laut dem baden-württembergischen Innenministerium "Mitte der achtziger Jahre als Vorfeldorganisation der NPD gegründet worden" ist, heute überparteilicher agiert und nach Informationen von Kontext gute Kontakte zur Identitären Bewegung pflegt. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe in erster und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in letzter Instanz werten die Grundrechte der Neonazis auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit als gewichtiger als die Sicherheitsbedenken der Stadt und genehmigen die Versammlung.
"Selbstverständlich ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein richterliches Urteil in letzter Instanz zu akzeptieren", kommentiert OB Boch, fügt aber hinzu: "Es ist an der Zeit, das Versammlungsgesetz zu ändern, um Kommunen damit die Möglichkeit zu geben, solche Versammlungen leichter zu verbieten." Heikel wird diese Forderung bei der Frage, wer bestimmen soll, wofür demonstriert werden darf und wofür nicht – und wie gut sich eine entsprechende Regelung mit dem Grundgesetz vereinbaren ließe.
Oettinger prüft Orbáns Angebot
Heikel auch folgende Frage: Was tun, wenn ein Rechtspopulist um Beratungsleistungen bittet? Nun, die eine Option wäre es, so ein Angebot postwendend zurückzuweisen. Die andere Variante ist die, für die sich Günther Oettinger entschieden hat.
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Lowandorder
am 26.02.2020