Von oben herab betrachtet, mag der Blick in den Großen Ratssaal ein erhabener sein. Von unten nach oben mag er beeindruckt sein von den vielen Würdenträgern, die dort sitzen. Oberbürgermeister, Bürgermeister, Amtsleiter. Aber was ist, wenn dort nur einer sitzt? Auch wenn's der Oberbürgermeister ist? Er sieht ganz klein aus, einsam und allein. Fritz Kuhn zieht Bilanz auf neun Seiten. "Acht Jahre für Stuttgart" steht über seinem Redetext, den er den JournalistInnen präsentiert. Ganz nüchtern, einem Buchhalter ähnlich.
Sein Problem ist, dass die Wahrnehmungen auseinander gehen. Vor allem in den letzten Monaten hat sich der öffentliche Eindruck festgesetzt, dass der 65-Jährige unsichtbar geworden ist. Das war einerseits dem OB-Wahlkampf geschuldet, aus dem er sich herauszuhalten hatte, andererseits einem Begriff, der ihn nahezu handlungsunfähig gemacht hat. S-t-i-l-l-s-t-a-n-d. Plötzlich war überall die Rede vom Stillstand, bis in die grüne Partei hinein, wobei selten benannt wurde, was das denn sei. Die vielen Baustellen in der Stadt, die Parkplätze, die Autos, mal zu viel, mal zu wenig, irgendwie hatten die Menschen das Gefühl, dass nichts vorangeht. Außer der Pandemie. Und Kuhn hatte keine frohe Botschaft.
Fragt man sie, fällt ihnen als erstes der Fernsehturm ein. 2013 hat ihn Kuhn aus Brandschutzgründen geschlossen, 2016 wieder eröffnet, für ihn ein "extrem schöner Moment". Am Ende seiner Ausführungen wird Kuhn sagen, er habe einfach getan, was getan werden musste, "ohne nach Beliebtheitswerten zu schauen". Und jetzt habe Stuttgart den "sichersten Fernsehturm der Welt".
Ein typischer Kuhn. Bloß kein Bohei, nur nicht zuviel Gefühl, es könnte womöglich als Hurrikan zurück kommen und seine Philosophie, die Dinge vom Ende her zu denken, ins Wanken bringen. Bloß nicht die Kontrolle verlieren. Lieber kein Risiko, immer Habacht, niemandem trauen. Das attempto ("Ich wag's") seiner Tübinger Universität ist seine Sache nicht, viel mehr schätzt er das Kalkül des Durchsetzbaren, das eben oft als kleinster gemeinsamer Nenner endet, diktiert von herrschenden Interessen. Man könnte auch grüne Realpolitik dazu sagen.
Wohnen, Auto, Klima. Wo war der Schritt nach vorn?
Kuhn betont, er habe die Züge auf das "richtige Gleis" gesetzt, eine grüne Infrastruktur geschaffen, bis hin zu Bienenweiden auf dem Rathausdach. Mit dem Gleis hebt er nicht auf die Deutsche Bahn ab, der er beim Amtsantritt noch auf die Finger klopfen wollte, zur großen Freude der Bahnhofsgegner. Später reichte er ihr beide Hände. Kuhn meint die ganze Stadt, der er einen sehr deutlichen Kurswechsel bei Mobilität, Energiewende und Klimaschutz verordnet habe. Und zwar nachhaltig und unumkehrbar. Jedenfalls sei Stuttgart jetzt "keine reine Autostadt" mehr. Das sieht der ADAC wahrscheinlich auch so, der neue Stadtplaner Wieland Backes vielleicht nicht ganz so, und der linke OB-Kandidat Hannes Rockenbauch ganz anders. Fakt ist, dass Mooswände an und Feinstaubalarm-Tafeln über der Straße im Gedächtnis haften bleiben. Weniger die Tarifreform der VVS, die hinzukriegen unendlich schwierig war. Es heißt, Kuhn sei ein guter Verhandler, ein Schaffer, der sich auch in die kleinen Dinge hineingefuchst habe.
4 Kommentare verfügbar
Leo Kottke
am 10.12.2020Bin übrigens kein Kuhnfan, aber so ein Quatsch...