Aus dieser Bauzaunnacht wurden die nachfolgenden Donnerstage zu Bauzaunnächten, die ich durchführte, um den Zaun zu schützen. Inzwischen hatte sich im Haus der Geschichte Baden-Württemberg der Standpunkt durchgesetzt, dass die Rettung des Bauzaunes eine große Chance wäre. Die S-21-Gegner und Stadträte Gangolf Stocker und Hannes Rockenbauch hatten von Anfang an den Kunst-Dialog am Bauzaun unterstützt und ermöglichten mir am 30. Oktober auf der Montagsdemo, das Besondere des Zauns und die Erhaltungspläne vorzustellen (hier die Rede im Video). Die Grünen – Michael Kienzle und Werner Wölfle – stellten dann im Gemeinderat den Antrag "Bauzaun am Hauptbahnhof archivieren". Darin hieß es: "Der Zaun als Dokument der Zeitgeschichte wird gesichert, eingelagert und für zeitgeschichtliche Analysen und künftige Ausstellungs- und Dokumentationszwecke" bereitgehalten. Die Verwaltung tritt zu diesem Zweck mit den Eigentümern des Zauns in Verhandlung und sichert sich den Bauzaun, sei es durch Schenkung oder durch Kauf. Die Bergung des Zauns muss unbedingt durch Fachkräfte durchgeführt und überwacht werden".
Unterstützung kam auch von unerwarteter Seite: Möglicherweise war es der einzige Erfolg der sogenannten Schlichtung, dass sich dort die Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) in der fünften Sitzung dafür einsetzte, den Zaun im Haus der Geschichte zu zeigen. Am 2. Dezember war es dann soweit: Der Zaun wurde von Mitarbeitern des Hauses der Geschichte sorgfältig abgebaut. Diese trugen signalgelbe Westen mit der Aufschrift "Der Zaun kommt ins Haus der Geschichte", um klarzumachen, dass die Objekte jetzt nicht im Container landen, sondern im "Schutzraum Museum".
Dort ist er seitdem unter der Inventarnummer 2010/1859/1-2056 eingelagert: 3,20 Meter hoch, 80 Meter lang, bestehend aus 28 drei Meter langen "Ragg-Zack"-Massivzaunelementen mit einer Gittermaschung von 50 x 50 Millimetern, behängt mit 2.506 Protestäußerungen. Vom 16. Dezember 2011 bis zum 1. April 2012 wurde der Bauzaun nochmals im Rahmen der Ausstellung "Dagegen leben? Der Bauzaun und Stuttgart 21" gezeigt. Seitdem ist er eine beliebte Leihgabe auch an andere Museen, wie bei der "Armer Konrad"-Ausstellung in Fellbach oder der Bonatz-Schau in Tübingen.
Ulrich Weitz ist promovierter Kunsthistoriker und Geschäftsführer der Agentur für Kunstvermittlung Stuttgart, die seit 1995 Kunstreisen und Tagesfahrten organisiert. Für Kontext hat er schon mehrmals in die Tasten gegriffen, unter anderem über das ikonische 68er-Plakat "Alle reden vom Wetter" des Stuttgarter Künstlers Ulrich Bernhardt oder den linken Kulturwissenschaftler und Kunstsammler Eduard Fuchs. Momentan forscht er über den Verbleib der Fuchs'schen Kunstsammlung, die in der NS-Zeit in alle Winde verstreut wurde (Kontext berichtete).
5 Kommentare verfügbar
Kornelia
am 19.08.2020Das wichtigste Wort im obigen Artikel: ICH!
Als hätte es die Bewegung 'Wessen Stadt? Unsere Stadt! Wessen Geld? Unser Geld? Wessen Bahnhof? Unser Bahnhof! nie gegeben wird hier komplett selbstbeweihräuchernd die in-Obhutnahme eines…