Eigentlich. Aber eigentlich auch nicht. Denn nur, weil sie mit dem Y-Chromosom auf die Welt kamen, heißt das für sie nicht, keine Frau sein zu können. Wie jetzt? Transen? Transvestiten? Transsexuelle? Transgender? "Wir sind T-Girls mit Stil und Niveau", erklärt Bianca Dorada. Schubladen mag sie nicht. Wenn jemand aber eine braucht, findet sie "Transe" nicht schlimm. Zusammen mit "ihren Mädels" sitzt sie im Cortijo am Stuttgarter Hans-im-Glück-Brunnen. Nippt an ihrem Aperol Spritz, während sich Franzi Berner auf ihr Weizenbier freut und Nana Vistor einen "RST" bestellt – "rot, schwer, trocken". "Stößchen, Mädels!", sagt Arnika Sjelo fröhlich, als alle mit Getränken versorgt sind. Die bunten Gläser klirren "auf einen wunderschönen Abend". Ringsherum Familien und Pärchen, die an den Showeinlagen der Flamenco-Tänzerinnen mindestens so interessiert sind wie an den großen Frauen am T-Girl-Tisch. Doch das stört die Damen nicht. Gesehen werden ist Teil des Abendprogramms.
So vielfältig wie ihre Getränkevorlieben ist auch ihr Verhältnis zum Frausein. Während sich Bianca Dorada am liebsten mit Stumpf und Stiel von ihrer männlichen Seite verabschieden würde, genießen Arnika Sjelo, Nana Vistor und Claudia Crystal das Changieren zwischen Mann- und Frausein. Einen gemeinsamen Nenner haben sie jedoch alle. "Wir wollen nicht als schräge Paradiesvögel rüberkommen, sondern als Menschen, die eine starke weibliche Seite haben und diese stilvoll ausleben wollen", erklärt Bianca. Dabei geht es nicht nur ums Aussehen. "Wir sind nicht perfekt, aber das ist egal." Einfach Frau sein dürfen. Ich sein dürfen. Ganz normal. Doch für Abende wie diesen mussten die T-Girls kämpfen. Vor allem mit sich selbst.
"Wir sind nicht perfekt, aber das ist egal"
Bevor sich Bianca vor sechs Jahren vor ihrer Gattin und den beiden gemeinsamen Söhnen outet, weiß niemand von der Frau in ihm. Auch wenn sie schon als kleiner Junge fühlte, dass sie anders war. "Als Mann verkleidet" für einen Münchner Versicherungskonzern tätig, pendelt die 58-Jährige zwischen den Welten. Bei der Familie in Stuttgart als Mann, in der Münchner Zweitwohnung als Frau. Bevor die Bombe platzt, bunkert sie Frauenklamotten in Schließfächern am Stuttgarter Hauptbahnhof. So groß war die Angst, zu Hause mit Fummel erwischt zu werden. "Meine Frau wusste schon lange, dass irgendwas nicht stimmt", sagt die Frau mit dem sanften Blick und streicht sich mit hübsch manikürten Händen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Die dachte, ich betrüge sie mit einer anderen Frau. Dabei war ich selbst die andere." Seit sie ihrer Familie vor sechs Jahren offenbarte, dass Papa eigentlich eine Frau ist, fühlt sie sich befreit. Frau und Söhne kommen bis heute nicht recht damit klar. Wollen ihren Papa wie früher. Rückblickend kann Bianca über vieles lachen – wenn auch mit einem weinenden Auge. Wie über den Besuch des Palma Aquariums auf Mallorca.
Als sie nach ihrem Outing mit ihrer Frau in den Urlaub fliegt, beobachten sie dort Fische, die als Männchen auf die Welt kommen, im Laufe ihre Lebens aber zu Weibchen werden können. Goldbrasse heißt der Fisch, auf Spanisch Dorada. So fand Bianca ihren Nachnamen und ihre Frau einen weiteren Moment zum Heulen – und zum Lachen. Es sind Szenen wie diese, die der Familie trotz Endzeitstimmung deutlich machen: Transsein ist menschlich. Es ist niemand gestorben.
"Stößchen, Mädels!", ermuntert Arnika ihre Freundinnen im Zehn-Minuten-Takt. Für das gemeinsame Wochenende ist die 49-Jährige extra aus Graz eingeflogen – in High Heels versteht sich. Die Girls sind vors Rubens nach nebenan gezogen. Schlürfen ihre Cocktails draußen an einem Tisch. Drinnen ist es bombenvoll. Dann steht der quirlige Barbesitzer mit den Händen in die Hüften gestemmt am Tisch. Ist völlig aus dem Häuschen: "Mädels, was macht ihr denn hier draußen in der Kälte? Das geht ja mal gar nicht. Kommt sofort rein. Sofort!" Zwei Runden Birnen-Likör aufs Haus später ist ein Tisch im Innenbereich gekapert. Die schüchterne Stuttgarterin Clio Cleo zieht sich ihren Lippenstift nach, und Arnika juckt es in den Stöckelschuhen, Größe 46. "Sex Bomb, Sex Bomb, you're a Sex Bomb", dröhnt es aus den Boxen. Arnika tanzt, reißt die Arme in die Luft und überragt den Rest der Gäste um mindestens zwei Köpfe. Der Rest wippt vergnügt am Stehtisch. Singt mit. Checkt seine Facebook-Likes für die geposteten Fotos. "Transen sind bilder- und postingsüchtig", erklärt Arnika.
Kennengelernt haben sich die T-Girls auf der Suche nach schönen Fotos von sich. So sind sie im Internet auf die Fotografin Elli Hunter und ihren "Transgender Service" gestoßen. Sie pilgerten nach Sontheim, um sich und ihre Schokoladenseite ins perfekte Licht rücken zu lassen. Hier machen sie ihre ersten Gehversuche als Frau. Erleben den "Das-ist-es-Moment", der alles verändern wird. Auch heute noch sind regelmäßige Shootings enorm wichtig für das weibliche Selbstverständnis der T-Girls. Seit sie sich dort kennenlernten, treffen sie sich regelmäßig in Stuttgart, München, gehen zusammen essen, in die Oper, auf Konzerte oder stürzen sich ins Nachtleben. "Elli Hunter ist quasi unser Transenzentrum", sagt Rock-Musik-Fan und IT-Unternehmerin Nana. Die Regensburgerin lebt ihre weibliche Seite in der Freizeit mit Leidenschaft, mit dem Alltag als Mann hadert sie jedoch nicht. Auf ihren letzten Rockkonzerten war die 50-Jährige Single-Frau alleine unterwegs – "ganz normal".
Heute Frau, morgen Mann – na und?
Auch Franzi kann heute einfach Frau sein. Die 49-jährige kommt von der Schwäbischen Alb und ist seit 26 Jahren mit ihrer Frau zusammen. Kinder haben sie keine. Dass sie sich vor ein paar Jahren geoutet hat, ist für ihre Partnerin kein Problem. "Auf der Beziehungsebene bin ich trotzdem noch der Mann, kann aber meine weibliche Seite vollkommen ausleben, auch zu Hause", sagt die gebürtige Rheinländerin mit dem Celine-Dion-Lachen. Früher, als Mann, sei sie ein totales Ekel gewesen. Seit sie offen mit ihrer Transidentität umgehe, sei sie ein umgänglicher Mensch geworden. "Wenn sich meine Frau heute nicht um unsere vier Hunde kümmern müsste, wär sie beim Mädelsabend auch dabei", sagt Franzi stolz.
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Stuagetter
am 24.03.2016