Welche Rolle soll auch der Denkmalschutz spielen, wenn der allmächtige DFB einen Tribünenknast verlangt. Nicht etwa als vorläufigen Aufbewahrungsort für bestechliche Schiris oder vom Größenwahn befallene Funktionäre, sondern zur Verwahrung auswärtiger Hooligans.
Ortsansässige Randalierer? Fehlanzeige! Wie auch bei einem Club, der den minderjährigen Nachwuchs noch lange nach dem Ende des Königreichs Württemberg Zöglinge nannte und auf dessen Holztribüne mit den drei Dachhutzen, einer Nachbildung des Tribünenbaus von Kickers-Vorbild FC Arsenal London im Maßstab eins zu drei, jahrzehntelang der blaue (Fußball-)Adel Platz nahm! Auf der es mit Initialen geschmückte Stammplätze auf Lebenszeit gab. Und auf der allein in der Nachkriegszeit drei dem Verfasser dieses Beitrags namentlich bekannte angesehene Geschäftsleute und Kickers-Gönner bei Schicksalsspielen ihres Clubs ihr Leben aushauchten. Als der von 1967 bis 1979 amtierende Kickers-Vorsitzende Walter Queißner einen Kondolenzbesuch abstattete, überraschte ihn die Witwe mit den Worten: "Den Tod hat sich unser Vater immer gewünscht – bloß halt ned so schnell."
Die alte Holztribüne war 1913 von Herzog Ulrich, zugleich Schirmherr des Clubs, ihrer Bestimmung übergeben worden. Als sie im Zuge des Fortschritts 1975 abgerissen wurde, rückten Tribünenplatzbesitzer an, um sich den teilweise über Generationen "besessenen" Stammplatz mit aufgemalter Nummer auszusägen und als Devotionalie für die Hausbar zu sichern. Den auffallendsten Platz besaß zuletzt Peter Maier ("Käs-Maier"), auf dessen Sitz und Rückenlehne mit blauem Stoff bezogene Polster prangten, darauf die Initialen "PM" in Schmuckschrift.
Als in dieser Woche die Abrissbagger anrückten, floss keine Träne der Erinnerung. Zur Finanzierung des 1975 binnen dreier Monate hochgezogenen Bauwerks hatte der chronisch klamme Traditionsverein zwar seinerzeit symbolische Bausteine offeriert, die von Mitgliedern und Gönnern auch in nicht geringer Anzahl gezeichnet wurden. Doch die Aktion wurde zum baren Ärgernis, als die Finanzämter die Spendenbescheinigungen der Erwerber zurückwiesen, da mit dem Sitzplatz eine Reservierung für drei Spielzeiten – also ein geldwerter Vorteil – verbunden war.
Wiederholung ausgeschlossen: Anno 2014 ist die Landeshauptstadt Stuttgart der Bauherr, mithin sind die Steuerzahler die Finanziers. Vorbei die Zeiten, da Vereine die Kosten für ihre Infrastruktur geschultert haben. Hätte die Stadt nicht das Vorgänger-Bauwerk 1988 in ihre Regie übernommen und neun Jahre später fünf Millionen – wiewohl verzinslich – nachgeschoben, den Kickers wäre der Lizenzentzug und damit ein Ende des Profifußballs unterm Fernsehturm sicher gewesen.
Doch auch mit dem Bauherrn öffentliche Hand im Rücken wird der Neubau auf der Waldau zur existenziellen Herausforderung, gilt es doch bis Mitte Februar 2015 im Exil an der Reutlinger Kreuzeiche durchzuhalten.
9 Kommentare verfügbar
Josefine
am 30.05.2014Dann lieber…