KONTEXT:Wochenzeitung
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Abrechnung mit der Justiz

Abrechnung mit der Justiz
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"Offensichtlich ist bei der Staatsanwaltschaft der Mensch nur ein Aktenzeichen." So fasste Josef Otto Freudenreich von Kontext den Inhalt des Buches "Politische Justiz in unserem Lande" bei dessen Vorstellung zusammen. Eine Abrechnung von zwölf Autoren.

Gemeint seien vor allem die Staatsanwälte der politischen Abteilung in Stuttgart, sagt Freudenreich in den Räumen des Württembergischen Kunstvereins, wo der Sammelband am 11. Dezember 2013 präsentiert wurde. Denn etliche der 21 Buchkapitel beschreiben deren Arbeit. Auch das von Dieter Reicherter, der einst selbst als Staatsanwalt begonnen hatte und dann viele Jahre lang als Richter tätig war. Reicherter ist in diesen Tage ein viel gefragter Mann. Am Dienstag mehrere Pressekontakte wegen neuer Mappus-Enthüllungen, am Mittwoch bei der Weihnachtsfeier seiner früheren Kollegen im Landgericht und am Mittwoch bei der Buchpräsentation im Künstlerhaus.

Reicherter hatte mit dazu beigetragen, dass die Verbindungen von Bundeskanzlerin Merkel, dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsident Stefan Mappus und Bahnchef Rüdiger Grube im Vorfeld des "Schwarzen Donnerstags" <link http: www.kontextwochenzeitung.de macht-markt abholzen-protokolliert-1898.html _blank>jetzt publik geworden sind.

An diesem 30. September 2010 begann für den gerade pensionierten Richter ein neues Leben. Zufällig hat er den brutalen Wasserwerfer- und Pfeffersprayeinsatz der Polizei im Stuttgarter Schlossgarten als Beobachter miterlebt. Als er vor den 140 Besuchern über seine Erlebnisse liest, ist es still im Glasaal des Kunstvereins. Kein Stühlerücken, kein Getuschel. "Das Gefühl der Ohnmacht, das totale Ausgeliefertsein an die Staatsmacht, war eine völlig neue Erfahrung für mich", sagt der Jurist mit der unverkennbar hohen Stimme. 

Bis dahin habe er als Teil des Justizapparats auf der anderen Seite gearbeitet. Doch dann habe er erfahren, "dass es Politik und Medien mit der Wahrheit und Gerechtigkeit nicht so genau nehmen." Reicherter reicht eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein, wird bald selbst Opfer eines Übergriffs der Justiz und, obwohl er zuvor noch nie an einer Demonstration teilgenommen hatte, wird er regelmäßiger Montagsdemonstrant. 

Eine späte Läuterung

"Schade, dass es erst zu diesem späten Zeitpunkt zur Läuterung gekommen ist", sagt Roland Kugler nach Reicherters Auftritt. Die beiden kennen sich schon lange. Kugler saß als Verteidiger unten, Richter Reicherter oben, zuletzt als Vorsitzender einer Strafkammer des Landgerichts Stuttgart. Unter Anwälten war er als "scharfer Hund" verschrien.

Roland Kugler betitelt sein Kapitel "Die versuchte Unterwerfung des Gangolf S.". Gemeint ist Gangolf Stocker, das Urgestein des Kampfes gegen Stuttgart 21, der in den Hochzeiten der Protestbewegung manchmal mehrere Demonstrationen pro Woche bei der Stadt Stuttgart angemeldet und als Leiter zu verantworten hatte. Stockers Anwalt beschreibt, wie man ihn mit Auflagen, Strafbefehlen und Prozessen "fertig machen wollte".

Auch Kontext-Redakteur Jürgen Bartle liest an diesem Abend aus einem Kapitel, das sich mit dem "Schwarzen Donnerstag" beschäftigt. Er beschreibt eine Veranstaltung mit dem verantwortlichen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, an der auch Dietrich Wagner teilgenommen hatte, den ein Wasserstrahl nahezu ganz erblindet hatte. Bartle war in den 90er-Jahren Polizeireporter der Stuttgarter Nachrichten und 26 Jahre für die Zeitungsgruppe tätig, zuletzt als Geschäftsführer und Redaktionsleiter der sublokalen Produkte. Über die Veranstaltung mit Stumpf und den Polizeieinsatz am "Schwarzen Donnerstag" hat er dann aber erst nach seinem Ausscheiden Ende 2012 in Kontext berichtet. Aus seiner Feder stammen fünf Kapitel zu diesem Themenkomplex.

Bedenkliche Nähe zwischen Politik und Justiz

Ebenso <link http: www.kontextwochenzeitung.de pulsschlag kindergeld-und-scheinlibanesen-1879.html _blank>fünf Kapitel steuerte der Stuttgarter Rechtsanwalt Jörg Lang bei, der bei der Lesung im Künstlerhaus über den Fall eines jungen Mannes berichtet hat, der an einer Demo gegen die NPD teilnehmen wollte und dann von der Polizei und der Justiz wegen eines roten Halstuches schikaniert wurde.

Lang erklärte, er habe sich als Herausgeber nicht auf den langjährigen Leiter der politischen Abteilung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, Bernhard Häußler, fokussieren wollen. "Das wäre zu viel der Ehre." Für Jörg Lang geht es um mehr als die Abrechnung mit einer Person. Häußler und seine politische Abteilung seien Ausdruck für die Funktionsweise unserer Justizapparats, sagt der Anwalt, der eine bedenkliche Nähe zwischen den Mächtigen, zwischen Politik und Justiz sieht. Dennoch spielt der umstrittenste Ermittler Baden-Württembergs, der im Sommer "aus familiären Gründen" vorzeitig in den Ruhestand ging, eine wichtige Rolle in dem Buch.

Jörg Lang hat das Themenspektrum des Buches breit angelegt. So geht es auch um den verfassungswidrigen EnBW-Deal von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus und zwei Untersuchungsausschüsse im Landtag, um die Versammlungsfreiheit, den Polizeikessel bei einer Demonstration in Heilbronn, politische Justiz gegen Ausländer und um Rückblicke: Wie die Justiz die Gegner der Volkszählung bekämpfte, die Verfolgung von Antikriegs-Demonstranten vor der Europazentrale der US-Streitkräfte EUCOM in Stuttgart-Vaihingen, den Radikalenerlass und seine Folgen sowie die Stuttgarter ergebnislosen Ermittlungen gegen ehemalige SS-Männer, die wegen ihrer Beteiligung am Massaker in dem italienischen Bergdorf Sant'Anna di Stazzema in Italien bereits verurteilt worden waren.

Insgesamt haben sich zwölf Autoren an dem Sammelband beteiligt, Juristen, Journalisten und Betroffene. Neben Bartle, Kugler, Lang und Reicherter sind dies Kontext-Redakteur Hermann G. Abmayr, Rechtsanwalt Thomas Fischer, Peter Grohmann, Antifa-Nachrichten-Redakteurin Janka Kluge, Historiker Lothar Letsche, Gangolf Stocker, Rechtsanwalt Wolfram Treiber und (in memoriam) der frühere Präsident des Oberlandesgericht Stuttgart Richard Schmid. Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin schrieb das Vorwort.

Die Buchautoren stehen gern für Lesungen zur Verfügung.
Wenn Sie eine solche veranstalten wollen, melden Sie sich bitte über
<link>redaktion@kontextwochenzeitung.de.

 

Politische Justiz in unserem Land

Hrg. Jörg Lang

in Kooperation mit Kontext:Wochenzeitung und Die Anstifter

Peter-Grohmann-Verlag Stuttgart, 2013 (ISBN 978-3-944137-35-3)

14,80 Euro

 

Die Veranstaltung, aufgezeichnet von Flügel TV, ist unter folgenden Links in voller Länge anzusehen:

<link http: www.fluegel.tv beitrag _blank>Lesung, Dieter Reicherter
<link http: www.fluegel.tv beitrag _blank>Lesung, Roland Kugler
<link http: www.fluegel.tv beitrag _blank>Lesung, Jörg Lang
<link http: www.fluegel.tv beitrag _blank>Lesung, Jürgen Bartle

 


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5 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 25.06.2018
    Antworten
    Rechnung mit der Justiz? Welche Rechenart ist denn damit gemeint?!?

    Da lohnt es sich vom 69. Anwaltstag – 6. bis 8. Juni in Mannheim – das Motto hier in Verwendung zu nehmen "Fehlerkultur in der Rechtspflege".
    Sind die endlich aufgewacht? Haben die endlich erfasst, was unabdingbar für die…
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