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Haushalt in Karlsruhe und Stuttgart

Kommunen am Limit

Haushalt in Karlsruhe und Stuttgart: Kommunen am Limit
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In Stuttgart und Karlsruhe fehlen Hunderte Millionen Euro. Die Folgen spüren Bürger:innen direkt – von teureren Kitas bis zu geschlossenen Bädern. Der Sparkurs könnte tiefe Spuren hinterlassen.

Während viele das Jahresende und die Zeit vor Weihnachten mit Besinnlichkeit und Einkehr von Ruhe verbinden, dürften in den Rathäusern Baden-Württembergs die Köpfe rauchen und Gesichter von Sorgenfalten gezeichnet sein. Der Grund: die anstehenden Verhandlungen über den nächsten Haushalt. In Stuttgart und Karlsruhe machen sich derzeit die Gemeinderatsfraktionen Gedanken, wie und wo sie ihr Geld in den kommenden zwei Jahren ausgeben wollen. Und die Ausgangslage ist dabei denkbar schlecht.

Die Industrie, vor allem das Geschäft mit den deutschen Verbrennerautos schwächelt. Gerade das führt in der Landeshauptstadt zu schwierigen Zeiten: Porsche und Mercedes zahlen hier ihre Gewerbesteuer. Und die bricht mit den Gewinnen der Unternehmen weg. Während in den Jahren 2023 und 2024 noch über 1,6 Milliarden beziehungsweise 1,3 Milliarden pro Jahr in die Stuttgarter Stadtkasse geflossen sind, rechnet die Stadtkämmerei für das laufende Jahr nur noch mit 850 Millionen und in den kommenden zwei Jahren mit jeweils 900 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen. Im Ergebnis heißt das: Dieses Jahr geht die Stadt von einem Minus von fast 900 Millionen Euro im Haushalt aus.

Wegbrechende Einnahmen, wachsende Lücken

Damit das Regierungspräsidium den Haushaltsplan genehmigt, muss die Stadt ihr Bemühen darlegen, diesem Minustrend entgegenzuwirken. Seit der Finanzkrise 2009 wird der kommende Haushalt also wieder ein "Sparhaushalt" sein. Anfang Oktober hat Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) als Chef der Verwaltung den Startschuss gegeben für anstehenden Haushaltsverhandlungen und einen Entwurf vorgelegt. Demnach soll im Jahr 2026 das Minus bei nur noch 487 Millionen und im Jahr darauf bei 303 Millionen Euro liegen. Neu ist an diesem Haushaltsentwurf, dass CDU und Grüne, die zusammen nur etwas weniger als die Hälfte der Stadträt:innen stellen, gemeinsam daran geschrieben haben. Damit machen die Grünen klar, dass sie aus der ökosozialen Mehrheit im Gemeinderat ausscheren werden. Mit dem konservativen Partner bräuchten sie im Dezember, wenn endgültig über den Haushalt und die in der vergangenen Woche eingebrachten Änderungsanträge entschieden wird, nur eine weitere Fraktion – denkbar wären Freie Wähler oder FDP –, um ihre Pläne umzusetzen.

Ortswechsel: Karlsruhe steht seit Jahren unter finanziellem Druck. Bereits der Doppelhaushalt 2022/23 wurde vom Regierungspräsidium nur unter Auflagen genehmigt. Die Stadt reagierte mit Gebührenerhöhungen, Steueranpassungen und massiven Einsparungen – allein in den vergangenen vier Jahren summierten sich diese Kürzungsvorschläge auf über 300 Millionen Euro. Rund 230 Millionen Euro davon wurden bereits umgesetzt, weitere 160 Millionen im etwa 1,8 Milliarden schweren Karlsruher Stadthaushalt sollen nach Vorgabe der Verwaltung bis 2027 folgen. Dennoch rechnet der aktuelle Haushaltsentwurf in den beiden kommenden Jahren mit einem Defizit von jeweils über 40 Millionen Euro. Im realen Ergebnis der vergangenen Jahre gab es statt der hohen Plandefizite aber regelmäßig bessere reale Ergebnisse – der Umfang: 360 Millionen Euro zugunsten des Stadtsäckels.

Widerstand gegen den Sparkurs ist im Karlsruher Gemeinderat kaum zu erwarten. Die beiden größten Fraktionen Grüne und CDU fürchten, das Regierungspräsidium könnte den Haushalt andernfalls nicht genehmigen. Die "für die Bürger:innen schmerzhaften Maßnahmen" müssten daher umgesetzt werden, um "das Heft des Handelns in der Hand zu behalten", heißt es aus ihren Reihen. Auch die übrigen Fraktionen bekennen sich weitgehend zum Sparen. Wenn die Fraktionen Ende November ihre Änderungsanträge zum Haushaltsentwurf einbringen, wollen sie Kürzungen nur dann streichen, wenn sie das nötige Geld an anderer Stelle einsparen oder zusätzlich einnehmen können. Einzig die Linksfraktion lehnt die Pläne entschieden ab und warnt vor einer "Beerdigung der Stadt". Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) erwartet ebenfalls tiefgreifende Einschnitte, sieht jedoch keine Alternative zur "Liste des Grauens" – einer Aufstellung mit Hunderten Sparmaßnahmen.

Sparen an der Lebensqualität

Auch in Stuttgart zeigt sich die Krisenzeit in der Sprache. Nopper schlägt im Gemeinderat mahnende Worte an: Er wolle keine "Vollbremsung", aber eine "kontrollierte, allerdings für alle spürbare Bremsung". Für die rund 16.000 städtischen Beschäftigten will er die Stuttgart-Zulage, eine freiwillige Sonderzahlung von 150 Euro im Monat, halbieren. Erhöht werden soll die Hundesteuer, ebenso die Gebühren fürs Anwohnerparken, eine Vergnügungs- und Bettensteuer wird wohl kommen. Was nicht geplant ist: ein höherer Gewerbesteuersatz, Verpackungssteuer oder das Erheben der Grundsteuer C auf unbebauten Bauflächen.

Das Jugendamt hat als Maßnahme der Haushaltskonsolidierung vorgeschlagen, die Kita-Gebühren zu erhöhen: Aufschläge zwischen zehn und 30 Prozent sollten die Eltern im nächsten Jahr zahlen, je nach Alter des Kindes und Betreuungsart, außerdem 20 Prozent mehr Essensgeld. Die Gebühren sollten bis 2031 weiter steigen. Ein Ganztagskrippenplatz für Kinder unter drei Jahren, der heute inklusive Essen 326 Euro kostet, würde dann 828 Euro kosten. Das ist zu viel, findet nicht nur die ökosoziale Opposition, sondern auch Grüne und CDU, die zuletzt im Amtsblatt noch verkündeten, den "Schulterschluss mit der Stadtverwaltung" gesucht zu haben. Der Vorschlag, welcher den über elf Milliarden Euro umfassenden Doppelhaushalt um dreieinhalb Millionen Euro aufgebessert hätte, wird im Dezember bei den finalen Verhandlungen nicht standhalten.

Vage bleibt die Ankündigung von Nopper, einen Planungsstopp für "nicht begonnene Investitionsmaßnahmen" zu verhängen. Auf Anfrage an das Rathaus, was konkret er damit gemeint habe, heißt es: "Grundsätzlich soll der 'Planungsstopp' für alles gelten, was noch nicht auf Baustelle ist. Allerdings bleiben Ausnahmen möglich." Eine Liste an konkreten Maßnahmen könne deshalb nicht vorgelegt werden. Was offensichtlich zu den Ausnahmen gehört: der Abriss und Neubau der Schleyer-Halle für 45 Millionen. Außerdem finden sich freilich Posten für das Quartier Rosenstein, das auf den noch bestehenden Gleisflächen am Hauptbahnhof entstehen soll – sofern Stuttgart 21 dann mal in Betrieb geht. Auch werden die Fraktionen sicher über die Sanierungspläne der Villa Berg diskutieren, bei der laut Nopper jedes Potenzial zur Einsparung genutzt werden müsse. Oder über die Sanierung der Oper und die Notwendigkeit der vieldiskutierten Kreuzbühne.

Aus Sicht von Linke-SÖS-Plus und PULS gäbe es bei diesen Großprojekten durchaus Kürzungspotenzial. Und angesichts des etwas undurchsichtigen angekündigten Planungsstopps kommt Kritik auch von der Fraktionsgemeinschaft SPD/Volt, die in den kommenden Haushaltsverhandlungen eine oppositionelle Rolle einnehmen wird. Sie befürchtet, dass Schulen zu kurz kommen.

An vergangenen Großprojekten leidet auch der Karlsruher Stadthaushalt. Mittlerweile bis zu 40 Millionen Euro im Jahr verschlingt der Betrieb des Stadtbahntunnels. Kurz vor der im Frühjahr zeitweilig verhängten Haushaltssperre wurden mit der neuen Turmbergbahn und den World Games trotzdem noch zwei Großprojekte beschlossen. Das Sport-Event 2029 wird ungewöhnlicherweise als Investition behandelt und ist damit vor dem Sparhaushalt geschützt. Dagegen sollen die Gelder für Kultureinrichtungen, die regelmäßig Gäste in die Stadt locken, pauschal um knapp zehn Prozent gekürzt werden. Bei den freien Trägern spart die Stadt damit etwa 160.000 Euro pro Jahr. Eine vergleichsweise kleine Sparmaßnahme der Stadt, mit der aber viele Kulturträger um ihre Existenz fürchten.

Hohe Einsparungen soll es in den kommenden beiden Jahren durch reduzierte Beratungsleistungen für Wohnungslose, Geflüchtete, Jugendeinrichtungen und andere sozial und finanziell Bedürftige geben. Früh warnten Sozialverbände, dass jede Sparmaßnahme in der Prävention deutlich höhere Folgekosten in der Zukunft verursachen könne. Auch die Stadt selbst kürzt deutlich beim Personal. 440 Stellen sollen in den kommenden Jahren wegfallen. Noch schneller werden die Menschen die geplante Schließung eines Schwimmbads und die Erhöhung aller städtischen Gebühren und Eintritte spüren. Doch trotz dieser drastischen Maßnahmen fehlen der Stadt noch etwa 15 Millionen Euro, um die eigenen Sparziele zu erreichen. Bis zur Verabschiedung des Haushalts im Dezember erwartet Oberbürgermeister Mentrup daher weiter Sparvorschläge.

Haushaltsdefizite werden zur Vertrauensfrage

Die Misere der Kommunen ist kein baden-württembergisches Phänomen und nicht alleine durch die schwächelnde Wirtschaft verursacht. Bundesweit verzeichneten die Kommunen im Jahr 2024 ein Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro. Für 2025 rechnen die kommunalen Spitzenverbände sogar mit einem Fehlbetrag von über 30 Milliarden. Hauptursachen dieser Schieflage sind neben sinkenden Steuereinnahmen vor allem massiv gestiegene Sozialausgaben sowie ein strukturelles Finanzierungsproblem: Bund und Länder übertragen den Kommunen fortlaufend neue Aufgaben, ohne deren Kosten vollständig zu übernehmen.

Darauf weisen nun auch die Oberbürgermeister aller 13 Flächenbundesländer in einem gemeinsamen Brandbrief hin, den sie Ende Oktober an ihre jeweiligen Ministerpräsident:innen sowie an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) richteten – angestoßen ausgerechnet vom Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Frank Nopper. In dem Schreiben kritisieren sie eine "grundlegend fehlerhafte Finanzausstattung" der Kommunen. Sie fordern eine verbindliche Regelung, wonach neue Aufgaben nur dann übertragen werden dürfen, wenn deren Finanzierung gesichert ist. Darüber hinaus solle der Bund rückwirkend für kommunale Schulden haften, deren Ursache eindeutig in der unzureichenden Finanzierung übertragener Aufgaben liegt. Auch an die Länder ergeht ein klarer Appell: Sie sollen Gesetzen künftig nur noch zustimmen, wenn die kommunale Gegenfinanzierung gewährleistet ist.

Damit sind sich Nopper und die linke Opposition im Gemeinderat zumindest in einer Sache einig. Denn Linke-SÖS-Plus ist Teil des vom Verdi-Landesverband ins Leben gerufenen Bündnisses "Kommunen am Limit". Auch sie fordern mehr Geld für Kommunen durch einen höheren Anteil an den Gemeinschaftssteuern. Und eine Idee für eine Gegenfinanzierung liefern sie auch gleich noch: eine Vermögenssteuer für Milliardäre. Am Samstag, 8. November, werden sie in der Stuttgarter Lautenschlagerstraße dafür demonstrieren. Zwei Tage zuvor gibt es im Rathaus aber erst mal die allgemeine Aussprache zum Doppelhaushalt, bei der alle Fraktionen ihre Wünsche äußern werden.

Schon jetzt hinterlässt der Sparkurs in Kommunen sichtbare Spuren: marode Schulen, geschlossene Bäder, gestrichene Buslinien. Doch die Folgen reichen tiefer. Wo öffentliche Leistungen schrumpfen, schwindet auch das Vertrauen in staatliche Strukturen. Diverse Studien (etwa hierhier, hier,  hier und hier) zeigen: In vernachlässigten Regionen steigt die Zustimmung zu populistischen Parteien messbar. Die Finanzkrise der Kommunen ist damit mehr als ein Haushaltsproblem – sie berührt die demokratische Stabilität im Land.

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1 Kommentar verfügbar

  • Mirko Friedenhagen
    vor 2 Stunden
    Antworten
    An Baugold wird nicht gespart in Karlsruhe, wenngleich oft das Land auch mit beteiligt ist:
    - Staatstheater
    - Landesmuseum
    - Staatliche Kunsthalle
    - Wildparkstadion
    - Stadtbahn- und Autotunnel
    - Stadtbibliothek

    Statt in das Programm, Ausstellungen, Bücher etc. zu reden oder Schultoiletten…
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