KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Von Kretschmanns Gnaden

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Von Kretschmanns Gnaden
|

Datum:

Die CDU-Prognosen waren gewagt, erwiesen sich aber als zutreffend: Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl ist über seine Brief-Affäre nicht gestolpert. Aber er ist beschädigt – sein Amt und die Koalition sind es ebenfalls.

Frieder Birzele war auch einmal baden-württembergischer Innenminister, in der Großen Koalition aus CDU und SPD in den neunziger Jahren. Die Suspendierung von Andreas Renner, dem Inspekteur der Polizei (IdP), im Jahr 2021 nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung und der Umgang damit hatten den Göppinger Sozialdemokraten intensiv beschäftigt. Erbost hatte Birzele die Weitergabe des Anwaltsschreiben im Disziplinarverfahren gegen den IdP durch Thomas Strobl höchstpersönlich. Fassungslos aber hatte den langjährigen, Ende 2023 verstorbenen Landtagsabgeordneten gemacht, dass Strobl nicht von sich aus den Hut nahm, als seine Rolle bekannt wurde. Denn der Innenminister, der sich selber einen "Verfassungsästheten" nannte, hatte Staatsanwaltschaft und Polizei wochenlang gegen Unbekannt ermitteln lassen – mithin führte ein Staatsorgan das andere hinter die Fichte. 

Insgesamt 24 Stunden ist Strobl im Herbst 2022 vernommen worden zum Start der öffentlichen Arbeit im Untersuchungsausschuss mit dem aufwändigen Namen "Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren in der Polizei Baden-Württemberg" oder kurz: "UsA IdP & Beförderungspraxis". Am vergangenen Montag schließt er wiederum den Reigen der 57 Zeug:innen in 37 Sitzungen. 

Um gravierende Grundsatzfragen, etwa darum, warum er sich nicht früher zur Weitergabe des Schreibens bekannte, geht es nicht mehr. Auch nicht um die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn wegen "des Verdachts der Anstiftung" zur Veröffentlichung verbotener Mitteilungen. Die wurden nach Zahlung einer Geldauflage von 15.000 Euro im Herbst 2022 eingestellt. Für Ministerpräsident Winfried Kretschmann übrigens Grund genug, den Daumen nicht zu senken, als SPD und FDP Strobls Entlassung beantragten. Bei der Beurteilung der Vorgänge gehe es um Tatsachen, so der grüne Regierungschef damals, "und nicht darum, ob eine Person sympathisch ist oder einer bestimmten Partei angehört".

Abgesehen davon, dass diese Feststellung trivial und deshalb überflüssig ist: Da hätte Kretschmann besser mal wenigstens die letzte öffentliche Ausschusssitzung durch ihm Vertraute besuchen lassen. Die hätten dann erlebt, in welcher Form sich sein Stellvertreter präsentiert, wie wenig es ihm um ernsthafte Mitarbeit bei der Wahrheitsfindung geht, nicht einmal auf einen akzeptablen zwischenmenschlichen Umgang scheint er Wert zu legen. Als ihn FDP-Obfrau Julia Goll mit Widersprüchen und den Aussagen anderer Zeug:innen konfrontiert, redet Strobl seine Antworten in den Plenarsaal, die frühere Staatsanwältin keines Blicks würdigend. 

Innenminister nicht an Wahrheit interessiert

Goll wiederum wolle solche Stilfragen gar nicht bewerten, wie sie nach Ende der Sitzung sagt, sondern die offen zu Tage getretenen Fakten. Aus ihrer Sicht gab es in den vergangenen fast drei Jahren, während der Untersuchungsausschuss tagte, "zahlreiche Gelegenheiten, Missstände aufzugreifen und für Aufklärung zu sorgen". Genau daran sei Strobl aber desinteressiert gewesen. Als Beispiel führt die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende an, dass der Innenminister auf entsprechende Fragen nicht sagen konnte – oder wollte –, ob Andreas Renner den Titel des Inspekteurs der Polizei aktuell noch führen darf oder nicht.

Überhaupt war die Vernehmung gekennzeichnet von Nicht-Können oder Nicht-Wollen und "Das erinnere ich nicht" – eine viel verwendete Standardfloskel. Am Ende wird sogar der Stuttgarter CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler eine von ihm erfundene Krankheit diagnostizieren: "morbus oblivionus”, was übersetzt werden könnte mit krankhafte Vergesslichkeit. Zum Beispiel, als Goll und SPD-Obmann Sascha Binder noch einmal versuchen, Renners Karrieresprungs zu durchleuchten. Beide konfrontierten den immer wieder unwirsch reagierenden Zeugen mit Einlassungen der Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz und des früheren Leitenden Ministerialrats Dietrich Moser von Filseck. Übereinstimmend hatten die beiden vor dem Ausschuss ausgesagt, der Minister habe als "Ziel" oder "Zielvorstellung" ausgegeben, Renner zum IdP zu machen und eine rechtskonforme Umsetzung dieser seiner Vorstellung verlangt. Statt präzise zu antworten, liefert sich Strobl am Montag mehrmals Wortgefechte, nicht zuletzt darüber, ob aus den Protokollen überhaupt richtig zitiert wurde oder die Genannten diese Aussagen tatsächlich gemacht hätten.

Spätestens da wäre es Aufgabe der Ausschussvorsitzenden Daniela Evers (Grüne) gewesen, einzuschreiten und dem Innenminister gerade nicht durchgehen zu lassen, dass er Erkenntnisse aus anderen Sitzungen nicht einschätzen wolle. Das ist in der Tat nicht seine Aufgabe, aber dazu Stellung zu nehmen durchaus. Auch im zweiten, keineswegs unbedeutenden Komplex der Briefweitergabe an den "Stuttgarter Nachrichten"-Journalisten Franz Feyder. Denn der eigene frühere Ministeriumssprecher hatte vor dem Ausschuss ausgesagt, dass sein Chef die Übergabe in Erwartung einer Berichterstattung damit verbunden habe, als Quelle nicht genannt zu werden. Nur so – siehe oben – konnte es überhaupt dazu kommen, dass die Staatsanwaltschaft von Dezember 2022 bis Mai 2023 gegen Unbekannt ermitteln musste.

Auf eine Frage nach dem Quellenschutz sagte Strobl zunächst, "nein, definitiv" habe er den nicht verlangt. Als Binder wissen wollte, ob er bei dieser Aussage wirklich bleibe, kam doch wieder die schlechte Erinnerung ins Spiel: "Ich bleibe bei meiner Aussage, dass ich daran keine Erinnerung habe (…) ich erinnere das nicht." Nicht vereinbar mit der Würde des Amts eines Innenministers wird Binder "das Schauspiel" später nennen. 

Von Kretschmann ist nichts zu erwarten

Nicht nur deshalb hätte Ministerpräsident Kretschmann längst eingreifen müssen, statt sich mehrfach billig mit dem Hinweis aus der Affäre ziehen zu wollen, er werde sich ein Bild erst nach Abschluss der Arbeiten im Untersuchungsausschuss machen. Vor allem müsste den Grünen die Schieflage insgesamt zu denken geben, in die der dienststälteste CDU-Innenminister republikweit die Koalition gebracht hat. Er nimmt für sich ein Verhalten in Anspruch, das die CDU anderen in ähnlichen Nöten nie zugestehen würde. Ginge es um die Spitze in einem grün-geführten Haus, hätten schwarze Strategen selbstverständlich so lange so laut getrommelt, bis ein Rücktritt fällig gewesen wäre. Kretschmann ist dafür zu nobel und zu ängstlich zugleich. Wenn in einer der letzten Plenarsitzungen des Jahres die Abschlussberichte im Plenum zur Diskussion stehen, wird er seine Ankündigung, sich am Ende ein Bild der Geschehnisse zu machen, um gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen, sicherlich nicht wahrmachen – gut zwei Monate vorm nächsten Urnengang. 

Bei seinem letzten Zusammentreffen mit der SPD-Fraktion im Landtag hatte Frieder Birzele übrigens genau diesen Ausgang vorausgesagt. Trotz einer Tatsache, die ihm – nach seinem Verständnis vom Amt – nicht in den Kopf wollte. Es ging und geht um eine weitreichende Aussage Strobls, die am Montag im Ausschuss ebenfalls noch einmal zur Sprache kommt. Binder hält dem Innenminister aus dem Sitzungsprotokoll vom 23. September 2022, Seite 26, die eigenen Worte vor: "Hier möchte ich ihnen sagen, was im Innenministerium passiert, verantworte ich, nicht die Mitarbeiterin X oder der Mitarbeiter Y, hier trägt der Minister die Verantwortung, ich persönlich und vollumfänglich." Konsequenzen daraus mochte der langjährige frühere CDU-Landesvorsitzende, der 2016 selber Ministerpräsident werden wollte, bis heute nicht ziehen. Er kandidiert vielmehr im kommenden März erneut. "Kein Innenminister in diesem Land wäre nach alldem noch im Amt", urteilt SPD-Obmann Binder hart. Und Birzele würde ihm sicher sehr recht geben. 

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • Frieder Kohler
    vor 1 Tag
    Antworten
    "Herr Strobl singt ein hübsches Lied,
    Das Liedchen von der Reue,
    Und hat er zu Ende gesungen das Lied,
    So singt er es wieder aufs Neue."
    Heinrich Heine - oft zitiert für die "Späthlesen" der Maultaschen-Connection - sagte im Liedchen auch:
    "Und jenes blaue Auge dort,
    So klar, wie stille…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!