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Ein Metzger als Minister

Endlich wieder Leberkäs'

Ein Metzger als Minister: Endlich wieder Leberkäs'
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Markus Söder (CSU), Bayerns bekanntester Ernährungsinfluencer, polemisiert gegen die vegane Lebensweise. Die neue Bundesregierung war noch gar nicht im Amt, da hat der Kulturkampf schon begonnen. Auch der mit Messer und Gabel.

Die bei der Fleischerzeugung in Deutschland anfallenden Kosten durch Umwelt- und Klimaschäden belaufen sich auf rund 21 Milliarden Euro pro Jahr, rechnet Greenpeace vor. Hinzu kämen Gesundheitskosten in Höhe von gut 16 Milliarden infolge übermäßigen Konsums von rotem Fleisch, Schinken und Wurst. Soweit die Fakten, Fakten, Fakten. Die aber lassen den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) kalt. Seine geistig-moralische Wende wider Gendern, Wokeness und die ganze als links gebrandmarkte Identitätspolitik geht durch den Magen.

Denn bei der Vorstellung der bayerischen Menschen, die jetzt einen Stammplatz an Bundeskanzler Friedrich Merz' (CDU) Kabinettstisch ergattert haben, agierte Söder nach dem Motto: Das wird Mann doch noch sagen dürfen. Zum Beispiel übers Landwirtschaftsministerium. Anstelle des "grün-veganen Özdemir kommt jetzt der schwarze Metzger sozusagen. Das passt perfekt, denn jetzt gibt es wieder Leberkäs' statt Tofu-Tümelei".

Das CSU-Medien-Team könnte rund um die Uhr suchen, es wird keine Belege für diese Sorte Tümelei finden. Der Begriff steht laut Duden für "übertriebenes, unreflektiertes Festhalten an bestimmten emotionalen Werten" – also das, was Söders Politikstil prägt. Der Nürnberger will mit seiner billigen Polemik niedere Instinkte wecken zum Schaden dieser Grünen, die er schon Monate vor der Bundestagswahl nach Kräften madiggemacht hatte. Diesmal klappt's wieder. Der nur ein paar Sekunden lange Clip mit dem Zitat geht viral und die Wogen hoch.

Mein Haus, mein Auto, mein Schnitzel

Neben sehr viel Beifall regnet es allerdings manch böse Worte ebenso gegen den neuen schwarzen Metzger, gegen Alois Rainer, eben jenen Niederbayern, der jetzt Minister ist dank Neigung und Fähigkeit, das Schlachtermesser zu schwingen. So böse, dass sich Rainers grüner Vorgänger mehr Zurückhaltung anmahnt. "Unsere Demokratie ist zu wichtig, als dass wir Menschen, die Verantwortung übernehmen, schon vor Beginn mit Häme übergießen sollten", schreibt der grün-vegetarische Özdemir.

Ausgerechnet Cem Özdemir. Der könnte, wäre der Handwerksmeistersohn Söder an einem ernsthaften Austausch interessiert, einen zentralen Aspekt der Bedeutung von Fleischkonsum erläutern. Im Klartext: mal enthüllen, warum insbesondere Menschen mit Aufstiegsbiographien, überproportional Männer, trotz all der wissenschaftlichen Erkenntnisse derart emotional am Verzehr toter Tiere hängen. Es geht um den erkämpften Status und seine Symbole, in Ostanatolien nicht anders als in Mittelfranken: mein Haus, mein Auto, mein Schnitzel.

Der Vater des Grünen, Abdullah Özdemir, ein Arbeiter mit drei Jahren Volksschule, konnte gar nicht verstehen, warum sein heranwachsender Sohn kein Fleisch verspeisen wollte – selber in einem Dorf aufgewachsen, wo es nur als Rarität auf den Tisch kam. "Meinen Verzicht hat er für eine Form der Geisteskrankheit gehalten", erzählt der Sohn. Auch weil sein Vater im Akkord Schichtarbeit leistet, damit Not niemals mehr Thema werde in der Familie, damit alle Fleisch essen konnten, wann sie wollten, damit sich die Familie "was leisten konnte". Und dann kam er, Cem, mit seiner Entscheidung, genau darauf zu verzichten.

Ideen mit viel Staub drauf

Von so viel Ernsthaftigkeit und Empathie könnten sich die Leberkäs'-Fans ein Scherzel (bayerisch für End- oder Anfangsstück) abschneiden. Sie wollen aber missionieren und damit genau das tun, was sie Özdemir, anderen Vegetarier:innen und insbesondere Veganer:innen vorwerfen. Dabei leben die allermeisten, ganz ohne einen Kulturkampf entfacht zu haben, vor sich hin. Und der gewesene Landwirtschaftsminister hat von seiner liberale Haltung immer und immer wieder Zeugnis abgelegt. Keine einschlägige Rede ohne das Bekenntnis, "für alle da zu sein", ohne Bekenntnis zur Tierhaltung, allerdings auch nicht ohne den Einwand, dass "Geiz ist geil" kein Motto sein könne für das Angebot von Lebensmitteln, deren Hersteller sich fairer Produktionsmethoden rühmen.

Zum Beispiel an Mariä Lichtmess am 2. Februar bei der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Der Saal ist proppenvoll, keineswegs nur mit Fans, was am Applausverhalten einzelner Gruppen schnell deutlich wird. Respekt jedoch wird Özdemir sehr wohl entgegengebracht, wenn er über die Milliarde Euro spricht, die Schweinehalter:innen für die Kennzeichnung bekommen ("das ist mehr, als jede Regierung vor uns ausgegeben hat"). Oder wenn er von den Plänen zur Einführung der Tierwohlabgabe spricht und damit einer Erhöhung des Fleischpreises um zehn Cent pro Kilo. Die hat er bei Übernahme des Ressorts aus dem Regal genommen, "mit sehr viel Straub drauf" . Er habe die Idee nicht erfunden, sagt Özdemir, "das haben die Schwarzen erfunden, aber nicht umgesetzt". Und jetzt werde in CSU und CDU dagegengehalten, "nur weil ich das falsche Parteibuch habe".

Der Nachfolger hat das richtige und mit seiner Ansage zum Fleischpreis, den der Markt und nicht der Minister mache, gleich auch noch zusätzlich Staub aufgewirbelt. Er will auf genau diese Tierwohlabgabe verzichten. Natürlich ohne irgendeinen Schimmer davon, wo das Geld zur Umsetzung dieses Versprechens im Koalitionsvertrag mit der SPD dann herkommen soll: "Wir stellen die notwendigen Mittel für den tierwohlgerechten Stallbau auf Grundlage staatlicher Verträge dauerhaft bereit. Wir reformieren unter Einbeziehung der Beteiligten der gesamten Wertschöpfungskette das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz grundsätzlich, um es praxistauglich zu gestalten und auf das Tierwohl auszurichten."

Fleisch ist sein Gemüse

Der schwarze Metzger will offenbar vor allem im Freistaat und seinem Herrn und Meister imponieren. Denn Söder wärmt den Leberkäs' schon seit einigen Jahren immer neu auf und versucht, die Grünen mit der Thematisierung von vegetarischer und veganer Lebensweise zu provozieren, um die eigene Blase zu begeistern. Er lässt sich gerne filmen, wenn er in mit daumendicken Scheiben belegte Brötchen beißt, er postet regelmäßig seine fleischlichen Gelüste, lädt, wenn er gerade nicht regiert oder Weihnachtslieder im Hans-Albers-Stil singt, unter #söderisst die Welt ein zur Besichtigung seiner derben Gewohnheiten. Die Verballhornung durch Spaßvögel #söderisstgefährlich passt wie der Deckel auf den Rindersuppentopf. Natürlich sind die Würstchen aus seiner Heimatstadt Nürnberg der Favorit. Wenig gesundheitsbewusst nimmt Gemüse nur einen einzigen Platz in Söders Genusstabelle ein, Gurken den zehnten von zehn, davor rangieren Lüngerl, Blut- und Leberwurscht. Leider ist diese Fixierung auf Fleisch nicht gesund.

Zahllosen zustimmenden Kommentaren zufolge, gerne in vierstelliger Zahl, die Söder regelmäßig auf seine PR für ungesundes Essen bekommt, halten ihre Verfasser:innen nichts von Fleischaskese. Nur: Das Bierzelt ist nicht die Welt und Bayern nicht das Universum, da kann der Himmel noch so blau sein. Die Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse hat 2024 ermittelt, dass die Zahl der Vegetarier:innen in Deutschland stetig steigt und inzwischen bei 8,43 Millionen Menschen liegt. Auch die Motive sind erforscht: Es geht um ethisches Handeln, Tierwohl, Gesundheit oder Klimaschutz.

Schon 2013 wurde eine Studie zur Sicherung der Welternährung und zur übermäßigen Ressourcenverschwendung durch Tierproduktion vorgelegt. Der Stuttgarter Jugendrat verlangt seit acht Jahren gesünderes Essen in Mensen und Fleisch nur noch an zwei Tagen pro Woche. Die Heinrich-Böll-Stiftung schreibt einen Atlas fort, um regelmäßig neue Daten und Fakten über Tiere als Lebensmittel herauszufinden und publik zu machen.

Sogar bis zu Söders Staatsregierung sind Erkenntnisse durchgedrungen zur Sinnhaftigkeit von Verzicht. In einer Broschüre "für Schülerinnen und Schüler, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Verbraucherinnen und Verbraucher" zum Thema "Nachhaltige Ernährung" steht zu lesen, "eine gewisse Menge Fleisch" sowie Milchprodukte in guter Qualität und zu fairem Preis hätten "durchaus ihren Platz auf dem Speiseplan einer Nachhaltigen Ernährung". Es gehe also nicht darum, "vollständig auf sogar alle tierischen Produkte zu verzichten, sondern um eine Reduktion des Konsums auf ein ernährungsphysiologisch ausgewogenes und zugleich klimafreundliches Maß", heißt es an anderer Stelle. Oder: "Eine Rückkehr zum Sonntagsbraten, der Fleisch zu etwas Besonderem macht, sollte angestrebt werden."

Eines immerhin hat der krachlederne Regierungschef auch erreicht: Das Netz ist regelrecht geflutet mit Rezepten. Sogar der nicht eben besonders woke "Münchner Merkur" will dem Fleischfreak zu neuen Geschmackserlebnissen verhelfen. Allein die Überschrift spricht für sich: "Söders Albtraum: Diese Tofu-Gerichte schmecken besser als Leberkäse". Mahlzeit!

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