So weit waren alle seine Vorgänger:innen seit Ende der 1980er-Jahre allerdings auch schon. Die CDU-Alleinregierung entschied 1988, ein Herkunfts- und Qualitätszeichen mit dem sperrigen Namen HQZ einzuführen. Schon damals hoffte Landwirtschaftsminister Gerhard Weiser auf "gezielte Information", auf "mehr Vertrauen zwischen Verbrauchern und Produzenten". Acht Jahre später freute sich seine Nachfolgerin Gerdi Staiblin (CDU), dass ein Sechstel der landwirtschaftlichen Betriebe das Zeichen mit den drei Löwen nutzte, und dass die Konsument:innen in Baden-Württemberg im Bundesvergleich "die höchste Vorliebe für regionale Produkte entwickelt haben". Drei Jahrzehnte später ist da noch immer gewaltig viel Luft nach oben.
Das sollte sich, mal wieder, ändern. Im Sommer 2022 hatte die Landesregierung, befördert von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) höchstpersönlich, zu einem "Strategiedialog Landwirtschaft" geladen. Rund 50 Vertreter:innen aus Landwirtschaft, Naturschutz, Handel, Verarbeitung und Erzeugung, aus Gesellschaft, Wissenschaft, Kirchen und Politik wurden zusammengetrommelt. In vielen Sitzungen und fünf Arbeitsgruppen wurde um Kompromisse gerungen, auch ein Forum zufällig ausgewählter Bürger:innen hat Empfehlungen vorgelegt. Nach zwei Jahren liegt nun ein Ergebnisbericht vor, und vieles in diesem Abschlussdokument kommt über Appelle nicht hinaus. "Einerseits sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher aufhören, die Verantwortung anderen zu übergeben", heißt es etwa. Mündige Bürgerinnen und Bürger nähmen "sich selbst in die Pflicht und führen Änderungen im eigenen Konsumverhalten und dadurch in der gesamten Lebensmittelwirtschaft herbei". Andererseits stehe "der Gesetzgeber in der Verantwortung, erforderliche Informationen bereitzustellen, Tierschutz zu verbessern, die Folgekosten industrieller Landwirtschaft einzupreisen und steuernd einzuwirken".
Da lassen die Erfahrungen der Grünen mit dem Veggie-Day grüßen. Zur Erinnerung: Im Kapitel "Massentierhaltung" des grünen Bundestagswahlprogramms 2013 stand zunächst nur eine bloße Tatsachenfeststellung: "Pro Kopf und Jahr essen wir Deutsche rund 60 Kilo Fleisch. Dieser hohe Fleischkonsum birgt nicht nur gesundheitliche Risiken. Er erzwingt eine Massentierhaltung, die auf Mensch, Tiere und Umwelt keine Rücksicht nimmt." Und dann die daraus resultierende ohnehin wachsweiche Empfehlung: "Deshalb fordern wir mehr Verbraucheraufklärung zu den gesundheitlichen, sozialen und ökologischen Folgen des Fleischkonsums. Öffentliche Kantinen sollen Vorreiterfunktionen übernehmen. Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein 'Veggie Day' sollen zum Standard werden."
Die grüne Angst vor der "Verbotserzählung"
Von einem Verbot war da weit und breit keine Rede. Trotzdem zeigten sich hinlänglich viele mündige Bürgerinnen und Bürger nur allzu willig, der folgenden Hetzkampagne der "Bild"-Zeitung ("Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten") und anderen traditionell etwas einfältigen Medien auf den Leim zu gehen. Anfang August 2013, vor dieser und andere Schlagzeilen, stand die Partei in der Demoskopie zwischen 13 und 15 Prozent. Sieben Wochen später fuhren die Grünen bei der Bundestagswahl gerade mal 8,9 Prozent ein, und ihr linker Spitzenkandidat Jürgen Trittin musste sich von Realos gerade in Baden-Württemberg heftig beschimpfen lassen. Er habe eben "die Verbotserzählung" mitbefördert, lautete der Eintrag ins Klassenbuch durch den einstigen Studienrat Winfried Kretschmann.
Dabei ist die Außer-Haus-Verpflegung die wichtigste Stellschraube, an der sich drehen lässt – noch vor einem anderen individuellen Kaufverhalten. Elf Jahre nach dem Veggie-Day-Desaster – weniger für die Grünen als für das kritische Niveau der von prominenten Soziologen so gerühmten bundesrepublikanischen "Informationsgesellschaft" – hat Baden-Württemberg eine Verwaltungsvorschrift für Kantinen verabschiedet. Geltend natürlich nur für die vom Land betriebenen, um nicht wieder das Zuschlagen des Verbots-Hammers zu riskieren und versehen mit einer Übergangsfrist bis sage und schreibe 2030. Dann "müssen die Landeskantinen 40 Prozent bio-regionale sowie 75 Prozent regionale Lebensmittel einsetzen", erläutert Landwirtschaftsminister Hauk. Und es solle "täglich mindestens ein vegetarisches oder ein veganes Mittagsgericht geben". "Mehr war einfach nicht drin mit der CDU", heißt es inoffiziell aus der grünen Landtagsfraktion. Natürlich geht das offizielle Wording etwas anders. "Die Initiative kommt zur richtigen Zeit", behauptet der grüne Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich, als gäbe es die vielen verlorenen Jahre nicht.
Beim Spargel hört der regionale Spaß auf
3 Kommentare verfügbar
Mathy
am 17.10.2024