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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Warten auf Andreas Renner

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Warten auf Andreas Renner
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Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) muss demnächst erneut vor den Polizei-Untersuchungsausschuss – um Widersprüche auszuräumen, wie es heißt. Aber erst einmal könnte, wenn er wollte, ein anderer zur Wahrheitsfindung beitragen: Andreas Renner, der Stein des Anstoßes, ist für kommenden Montag geladen.

Die Liste von Zeug:innen, die vor den vielen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in der Landesgeschichte nichts oder jedenfalls nichts für sie Unangenehmes beichten wollten, hat Überlänge. Sogar Ministerpräsidenten zählen dazu, allen voran Lothar Späth (CDU), der 1991 nur wenige Einzelheiten parat hatte zu den fast 500 fremdfinanzierten Dienst- und Privat-Reisen, die ihn in Tateinheit mit anderen Fehltritten das Amt kosteten. Oder Stefan Mappus (CDU), der seine Verantwortung in den Tagen und Stunden vor dem Polizeieinsatz im Schlossgarten am 30. September 2010 nicht erhellen mochte – trotz der Wahrheitspflicht, an die Ausschussvorsitzende zu Beginn aller Vernehmungen zu erinnern pflegen. Und daran, dass es ebenso nicht statthaft ist, relevantes Wissen für sich zu behalten. 

Das Problem, dass sich zu viele Zeugen zu wenig erinnern, kennen zur Genüge die Mitglieder des Untersuchungsausschusses mit dem langen Namen "Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren in der Polizei Baden-Württemberg". Seit zweieinhalb Jahren versuchen sie herauszubekommen, wie es hinter den Kulissen der Truppe zugeht, ob Machismus und Kameraderie der Karriere hilft, und welche Rolle Innenminister Strobl als oberster Polizei-Dienstherr dabei spielt. Vernommen wurden schon viele Ex- und diensthabende Polizeipräsidenten, die Erkenntnisse waren eher so mittel hilfreich.

Wenn nun Andreas Renner kommt, ist er in einer anderen Rolle. Der frühere Inspekteur der Polizei (IdP) hat, weil noch ein Verfahren wegen Bestechlichkeit läuft, ein Zeugnisverweigerungsrecht. Hinter verschlossenen Türen haben die Abgeordneten deshalb am vergangenen am Montag darum gerungen, ob und wie sinnvoll es überhaupt ist, ihn in der nächsten Sitzung in den Plenarsaal zu zitieren. Die Offensivkräfte setzen sich am Ende durch, auch wenn es dem Grünen-Obmann im Ausschuss Oliver Hildenbrand noch gegenwärtig ist, dass Kontext zum Ende des Strafprozesses gegen Renner dessen Anwältin Ricarda Lang zitiert hat mit dem Hinweis, ihr Mandant werde im Untersuchungsausschuss nichts sagen. Dennoch oder gerade deshalb sei man auf alles vorbereitet, kündigt SPD-Obmann Sascha Binder an. Gerüchte wabern, der frühere Spitzenbeamte könnte die Gelegenheit nutzen, bloß ein Statement zu verlesen und dann auf sämtliche Fragen einfach zu schweigen.

Ungereimtheiten bleiben

Anwältin Lang weiß im Übrigen, wie Untersuchungsausschüsse und ihre Vorsitzenden an den Rand der Arbeitsfähigkeit gebracht werden können. Die Rechtsanwältin hatte sich zum "Nationalsozialistischen Hintergrund" (NSU) als Hinweisgeberin ins Gespräch gebracht, trat auch an in Stuttgart, wollte aber ihren tatsächlich oder vermeintlichen Kontaktmann namentlich erst nach Verhängung eines Zwangsgelds und Androhung von Beugehaft nennen. Die Spur führte ins Leere (Kontext berichtete).

Selbst wenn Renner am nächsten Montag von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht und gar nichts sagt, können sich die Abgeordneten ein persönliches Bild von der Hauptperson machen, um die sich ihre Tätigkeit dreht. Seit zweieinhalb Jahren tagt der Polizeiausschuss. Vieles ist zusammengetragen. Allen Beteiligten ist klar, dass die Vernehmungen und damit ein zentraler Teil der Arbeit auf die Schlussgerade einbiegen. Eine Mai-, eine Juni- und gegebenenfalls eine Juli-Sitzung sind noch geplant. Dann geht es an die Auswertung. Durchaus einig sind die Abgeordneten, dass die am Ende fast 40 Sitzungen notwendig waren, um den Themen – Vorwürfe der sexuellen Belästigung in der Polizei, der Beförderungs- und Beurteilungspraxis sowie Strobls Briefaffäre – gerecht zu werden.

Stand heute muss der Innenminister im Juni ein zweites Mal in den Zeugenstand. FDP-Obfrau Julia Goll verweist auf Ungereimtheiten rund um die Weitergabe eines Anwaltschreibens in Renners Disziplinarverfahren an einen Journalisten und vor allem zur angeblich vereinbarten Verschwiegenheit darüber. Strobl hatte die Staatsanwaltschaft wochenlang gegen Unbekannt ermitteln lassen, statt sich gleich selbst als Übermittler des Briefs zu outen. Dazu kam es erst im Zuge der weiteren Berichterstattung. Ein Vorgehen, das ihm ein Strafverfahren einbrachte, welches von der Staatsanwaltschaft nach Zahlung einer Geldauflage eingestellt wurde (Kontext berichtete unter anderem hier und hier).

WhatsApp-Foto nach Feierabend

Auch Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz wird noch einmal aussagen müssen. Denn in der jüngsten Sitzung des Ausschusses am vergangenen Montag kamen neue Aspekte des Umgangs mit Spitzenpersonal zur Sprache. Frank Spitzmüller beispielsweise, Polizeipräsident in Heilbronn, wollte eben jenen Job eigentlich in Ludwigsburg, wo er lange tätig war und viel Erfahrung gesammelt hatte als Vizepräsident und Leitender Kriminaldirektor. Hinz soll das mit vereitelt haben. "Ich hatte den Wunsch schon sehr stark gehegt, das wäre für meinen Karriereverlauf eine Abrundung gewesen", sagt Spitzmüller. Weniger präzise ist er, als es um die Übermittlung der Absage geht. Man höre "ja für sich selber das Gras wachsen", sagte er, und dass er schon vorab gewusst hätte, dass sein Wunsch wohl nicht in Erfüllung gehen wird.

Ein für viele der Vernehmungen so typischer Frage-Antwort-Ablauf folgt. SPD-Obmann Sascha Binder will wissen, ob Spitzmüller gewusst habe, dass er nach Heilbronn habe gehen müssen, weil Hinz in Ludwigsburg eine zu große Nähe zu seinem langjährigen Weggefährten Renner gesehen habe – entsprechende Meldungen machen die Runde. "Wie meinen Sie das?", reagiert Spitzmüller, statt zu antworten. "So, wie ich es sage", erklärt Binder, ohne ernsthaft Neues herauszubekommen. 

Bekannt aus dem Gerichtsverfahren, aber noch nicht besprochen im Ausschuss ist ein Vorgang, der von der Nähe unter den zwei Spitzenbeamten zeugt: Schon an jenem Abend, da Renner mit seiner Kollegin zuerst in seinem Büro an ihrer Karriere bastelte und dann auf Kneipentour ging, erhielt Spitzmüller ein WhatsApp-Foto von den beiden vor einer Wand im Innenministerium. An die Umstände, in denen er die Handy-Nachricht empfing, erinnert er sich genau. Er habe mit seiner Frau abends daheim gesessen und eine Serie geschaut. Der Grund, warum ihm dieses Bild gesendet worden sei, habe sich ihm nicht erschlossen. Erst später und nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den IdP wegen sexueller Belästigung sei ihm klarer geworden, "worum es gegangen ist". Nicht nur Binder ist verwundert, warum der Zeuge sich nicht aktiv ins weitere Verfahren eingemischt hat. Wie bei so vielen Geschichten, die Zeug:innen in den inzwischen fast drei Dutzend Sitzungen erzählt haben, erhellen sich weitere Zusammenhänge nicht wirklich.

Trotz solcher offener Fragen sind erhebliche Schwachstellen in der Personalführung vielfach belegt. Die Reform der Beurteilungspraxis, eine schon vorab gezogene Konsequenz aus der Arbeit der Abgeordneten, ist bereits in Kraft. Damit widerlegte sich selbst Minister Strobl. "Wissen Sie, was ein Soufflé ist?", hatte er als Zeuge vor zwei Jahren gehöhnt, um sich über das Gremium lustig zu machen. "Da ist viel Luft drin – und nach einer gewissen Zeit macht's Pffft."

Pffft hat es nicht gemacht. Im Gegenteil: Im Dezember werden die Abschlussberichte im Plenum des Landtags diskutiert – nur knapp drei Monate vor der Landtagswahl. Der Ausschuss zu Lothar Späths sogenannter Traumschiff-Affäre endete kurz vor Weihnachten 1991. Und wenige Wochen später verlor die CDU mit einem Minus von fast zehn Prozentpunkten zum ersten Mal seit 1972 ihre absolute Mehrheit in Baden-Württemberg.

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1 Kommentar verfügbar

  • chr/christiane
    am 02.04.2025
    Antworten
    Wenn der Abschlussbericht des Polizei-Untersuchungsausschusses kurz vor der Landtagswagswahl wieder dazu führt. dass die CDU wie damals bei Herrn Späth 1991--10 Prozent-Punkte verliert--wird Herr Sascha Binder von der SPD dann Ministerpräsident?
    Wird die Politik der SPD damit besser?
    Wäre eine…
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