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Luigi Pantisano

Opposition? Mehr als Zwischenrufe

Luigi Pantisano: Opposition? Mehr als Zwischenrufe
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Luigi Pantisano freut sich noch immer über seinen Erfolg. Der Stuttgarter Linke hat es in den Bundestag geschafft. Im Gemeinderat sorgte der Sohn italienischer sogenannter Gastarbeiter für Leben, sein Temperament will er auch in Berlin nicht zügeln, sagt er. Und er hofft auf einen Sitz im Verkehrsausschuss.

Herr Pantisano, wo werden Sie wohnen in Berlin?

Ich habe eine Wohnung in Schöneberg gefunden und werde dort Mitte April einziehen.

Was kostet die?

Die Wohnung ist in einer Baugenossenschaft und sie hat so 45 Quadratmeter für 550 Euro warm. Ziemlich cool. Glück gehabt, das sagen alle. Die beste Variante, um in Berlin eine Wohnung zu finden, ist, wenn man jemanden kennt. Ich hatte auch über Immoscout gesucht, da gab es teilweise Wohnungen für 50 Quadratmeter ab 1.500, 1.600 Euro.

Das könnten Sie ja bezahlen mit der Bundestagsdiät …

Theoretisch schon, aber das wäre ja absurd für so wenig so viel zu bezahlen.

Sie und andere Linken-Kandidat:innen haben im Wahlkampf versprochen, von der Diät, die im Moment rund 11.000 Euro brutto beträgt, etwas abzugeben. Wie ist da jetzt der Stand?

Wir geben 15 Prozent unserer Diäten an die Partei als Spende ab, als Mandatsträgerabgabe. Dazu noch den jeweiligen Mitgliedsbeitrag, das sind dann schon etwas mehr als 1.500 Euro. Und einige Abgeordnete wollen das Gehalt zwischen 2.500 bis 3.000 Euro netto begrenzen. Wir diskutieren noch, wie die Bedingungen sein sollen, damit auch persönliche Umstände wie Kinderbetreuung und zu pflegende Angehörige berücksichtigt werden. Jedenfalls soll das übrige Geld in einen Sozialfonds einfließen.

Den gibt es aber doch nicht.

Nein, auf Bundesebene noch nicht, aber auf lokaler Ebene. Als Linke im Gemeinderat in Stuttgart machen wir das schon. In anderen Kommunen gibt es das auch und in manchen Bundesländern. Alle etwas unterschiedlich und da sind wir gerade dran zu schauen, dass wir eine einheitliche Linie finden. Viele der Aktivitäten laufen unter dem Netzwerk “Die Linke hilft”.

Wer kann sich da eigentlich um Geld bewerben?

Da kommen Menschen zu einer Sozialberatung und sagen zum Beispiel: Ich habe meinen Job verloren, ich bin insolvent und jetzt ist unser Kühlschrank kaputt. Einen neuen kann ich mir gerade nicht leisten. Dann können wir entscheiden und sagen, für diesen Kühlschrank können wir dir Geld geben. Es geht immer um einmalige Unterstützung, wir übernehmen nicht dauerhafte Kosten.

Welche Schwerpunkte wollen Sie im Bundestag bearbeiten?

Ich würde gerne zur Verkehrspolitik im Bundestag tätig werden. In einem Fall bin ich sogar mit OB Nopper einig: Die Verkehrsfrage, sei es bei der Transformation der Automobilindustrie, sei es bei Stuttgart 21 oder für eine nachhaltige klimagerechte Mobilität, ist ein entscheidendes Thema für diese Stadt. In den vielen Haustürgesprächen, die wir in Stuttgart geführt haben, war nach zu hohen Mietpreisen bei uns das zweite wichtige Thema immer der Verkehr – im Unterschied zu anderen Orten, in denen es meist um die steigenden Preise ging. Das Verkehrsthema ist für viele Stuttgarter:innen also ein ganz entscheidendes. Ich möchte mich gerne für eine klimagerechte Mobilität einsetzen. Fachlich bearbeite ich die Verkehrspolitik seit vielen Jahren als Stadtplaner sowie als Stadtrat auch im Gemeinderat.

Sie möchten also in den Verkehrsausschuss. Aber die Linke ist ja in der Opposition, was kann man denn überhaupt machen?

Wir können sehr viel erreichen aus der Opposition heraus, wie wir auch im Stuttgarter Gemeinderat bewiesen haben. In der Opposition kann man Themen einbringen, die sonst niemand anspricht. Das ist ein ziemlich wichtiger Aspekt innerhalb einer parlamentarischen Demokratie. Wir können Anträge einbringen, wir können kleine Anfragen stellen. Das ist eine Sache, die wir als Linke in den letzten Jahren sehr stark gemacht haben, zum Beispiel um festzustellen, was passiert eigentlich mit den vielen Milliarden, die in Baden-Württemberg in die Infrastruktur fließen. Werden damit Autobahnen gebaut oder wird investiert in den Güterverkehr und den Ausbau von Schienen. Am Tag nach meiner Wahl habe ich schon die erste Einladung bekommen von der Gäubahn-Initiative, die vor wenigen Tagen ein Vernetzungstreffen hatte. Das sehe ich auch als meine Aufgabe an: im Kontakt zu sein mit den Initiativen und Bewegungen für eine klimagerechte Politik, um deren Themen einzubringen in den Bundestag.

Ein Vollblutpolitiker

Luigi Pantisano, geboren 1979 in Waiblingen, engagierte sich schon als Jugendlicher politisch, zunächst außerparlamentarisch vor Ort, später dann in der Linken, wo er seit 2016 im Landes- und seit 2022 im Bundesvorstand sitzt. Als Sohn italienischer Gastarbeiter weiß er, dass Migrant:innen viele Steine aus dem Weg räumen müssen: Er landete erst auf der Hauptschule, machte später seine Fachhochschulreife, lernte Bauzeichner, studierte Architektur in Stuttgart und Tokio und schließlich Stadtplanung. Sein Geld verdiente er als Quartiersmanager in Konstanz, mit Lehraufträgen und als wissenschaftlicher Mitarbeiter des bisherigen Stuttgarter Linken-Abgeordneten Bernd Riexinger. Seit 2016 saß Pantisano im Stuttgarter Gemeinderat, wo er sich als Stadtplaner besonders um Verkehrs- und um Wohnungspolitik kümmerte. Pantisano ist verheiratet und hat zwei Kinder.  (lee)

Nun hat Merz noch schnell mit SPD und Grünen die Schuldenbremse reformiert, um aufrüsten zu können, und Schulden für Investitionen beschlossen. Wie froh sind Sie denn, dass Sie darüber nicht abstimmen mussten?

Ich bin gar nicht froh, weil das einfach unter Demokratieaspekten nicht in Ordnung ist. Auf kommunaler Ebene gibt's die Regelung, dass nach einer Gemeinderatswahl der alte Gemeinderat nur bis zu einer gewissen Summe Finanzbeschlüsse fassen darf, damit kein Beschluss den Rahmen der Arbeit des neuen Gemeinderats einschränkt. Und genau das haben sie im Bundestag gemacht. Mich wundert, dass das überhaupt verfassungsrechtlich geht, aber offenbar ist es so. Jetzt hat da ein abgewählter Bundestag mit zwei Parteien, die im neuen gar nicht mehr dabei sein werden, abgestimmt und eine Linke, die im neuen Bundestag mit 64 Abgeordneten fast 10 Prozent des Bundestags ausmachen wird, konnte bei so einer entscheidenden Frage nicht mitbestimmen.

Im neuen Bundestag wäre wahrscheinlich eine heftige Debatte auf die Linke zugekommen, wenn die Partei einbezogen gewesen wäre zur Beschaffung der Zweidrittelmehrheit.

Nein, man hätte die Zweidrittelmehrheit mit uns bekommen, das haben wir auch angekündigt, wenn wir gemeinsam die Schuldenbremse abgeschafft hätten. Aber die Schuldenbremse weg, hauptsächlich um Rüstungsausgaben zu finanzieren – das hätten wir nicht mitgemacht.

Ist es auch Ihre Meinung, dass Deutschland nicht mehr Waffen braucht angesichts Russlands auf der einen Seite und Trumps auf der anderen?

Deutschland gibt im Jahr um die 70 Milliarden Euro aus für Rüstung. Und dieses Geld sollte ausschließlich ausgegeben werden für die Landesverteidigung Deutschlands.

Wenn wir der Wehrbeauftragten und anderen glauben, kann die Bundeswehr ja eben das nicht: verteidigen.

Aber was machen die dann bisher mit dem ganzen Geld? Greenpeace hat in einer Studie dargelegt, dass die Bundeswehr sehr ineffektiv Geld ausgibt. Was ich weiß, ist zum Beispiel, dass dieses Sturmgewehr der Bundeswehr ausgetauscht wird, weil es bei über 40 Grad Hitze im Einsatz Abweichungen hat beim Schießen. Da frage ich: Wozu brauchen wir eine Waffe zur Verteidigung bei über 40 Grad? Diese militärische Logik lehnen wir ab.

Nun ist Deutschland in der Nato und muss sich da beteiligen – oder?

Die Nato ist tot meines Erachtens. Spätestens nach dem Gespräch zwischen Trump und Selenskyj im Weißen Haus ist die Nato am Ende. Jetzt steht die Ukraine an der Front gegen Putin, und Putin hat die USA an seiner Seite, da Trump offensichtlich die Seite gewechselt hat. Und dann sollen wir weiterhin Waffen liefern? Das funktioniert einfach so nicht. Was ist die Nato denn für ein Bündnis, wenn aktuell in der Türkei, dem zweitwichtigsten Nato-Land in puncto Personal und finanziellen Mitteln, Diktator Erdoğan den Hauptoppositionellen, den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu inhaftieren lässt? Was sind das für Werte, was ist das für ein Bündnis, in dem wir als Staat drin sind? Das sind die, die uns verteidigen sollen? Und wenn wir eine europäische Armee aufbauen – in welche Hände gehen denn diese Waffen? In die Hände von einer Meloni, in die Hände von einem Orbán, die ja auch Teil dieser EU sind. Es gibt ganz viele Staaten, die immer weiter nach rechts abrutschen. Frankreich ist kurz vorm Kippen, in Spanien gibt es die Gefahr, dass rechtsextreme Kräfte an die Macht kommen, und das weitet sich ja immer weiter aus.

Dann ist die weiterführende Logik also ein Deutschland, das nur sich verteidigt und der Rest um uns herum ist egal.

Nein, natürlich nicht. Es gibt zwischen Waffenlieferung und nichts tun sehr vieles. Das eine ist, wir brauchen eine Bundeswehr, die das Land verteidigen kann bei einem Angriff. Und das zweite ist, auch aus der Perspektive der deutschen Geschichte heraus sollte Deutschland eigentlich eine Haltung einnehmen, nicht wieder Führungskraft sein zu wollen, denn das finde ich wirklich eher erschreckend. Deutschland sollte aus der eigenen Geschichte und Erfahrung eher eine Rolle einnehmen, dass wir diejenigen sind, die sich dafür einsetzen, dass Konflikte friedlich und diplomatisch gelöst werden und eben nicht mit Waffen.

Damit wir jetzt nicht nur über Waffen reden: Wer wird all die Schulden, die jetzt aufgenommen werden, für Rüstung ja sogar grenzenlos, zahlen?

Naja, wenn es nach uns ginge, sollten diese notwendigen Ausgaben für Infrastruktur, für Klima, für Soziales – wobei für Soziales wohl nicht so viel übrig ist in diesen 500 Milliarden Euro – also es sollten diejenigen, die Jan van Aken mal so schön unanständig Reiche genannt hat – zahlen. Sie müssen viel stärker in Verantwortung genommen werden.

Okay, die Linke will eine Reichen- oder Vermögenssteuer. Die wird mit einem Bundeskanzler Merz eher nicht kommen. Also, was kommt Ihrer Ansicht nach auf uns zu?

Die neue Regierung wird beim Bürgergeld wieder ein Sanktionsregime aufbauen, in dem Menschen, wenn sie nicht bereit sind, drei Stunden zur Arbeit zu fahren, sanktioniert werden. Sie wollen Geflüchteten komplett die Grundversorgung streichen, obwohl das Verfassungsgericht schon gesagt hat, das geht nicht. Und wenn irgendwo etwas nicht finanziert werden kann, werden sie mit dem Finger auf Geflüchtete oder auf Arme zeigen und sagen: Wir müssen sparen, weil es Menschen gibt, die nicht bereit sind zu arbeiten, und der Staat kann nicht dafür geradestehen. Und das ist sozialer Sprengstoff, wenn bestimmte Leistungen, die für das Gemeinwohl entscheidend sind, gegengerechnet werden auf Menschen, die in Armut leben und die geflohen sind und denen die Schuld in die Schuhe geschoben wird. Merz hat zwar mal gesagt, er wolle die AfD halbieren, aber mit so einer Politik wird er sie eher stärken. Und da kommt es auf uns Linke an. Unsere Aufgabe wird es sein, dass diese sozialen Verwerfungen, die Wut und der Ärger, nicht in Richtung Rechtsextreme abwandert. Wir müssen das kanalisieren und sagen, schuld an den Krisen sind die paar wenigen, die so viel besitzen wie fast die Hälfte der Bevölkerung, und die nicht ihren Anteil beitragen zur Gesellschaft. Schuld sind nicht die Geflüchteten, die in diesem Land leben. Wenn Menschen fliehen, fliehen sie auch, weil wir Waffen produzieren und sie in die ganze Welt exportieren.

Im Stuttgarter Gemeinderat sind beziehungsweise waren Sie bekannt für Ihre Zwischenrufe. Wie viele Ordnungsrufe wollen Sie bis Ende des Jahres im Bundestag haben?

Ah, ordentlich! Mal sehen, wie restriktiv das da wird. Im Unterschied zum Gemeinderat ist ja der Zwischenruf im Bundestag ein wichtiger Bestandteil der parlamentarischen Debatte. Im Gemeinderat wurde man blöd angeguckt, wenn man dazwischengerufen hat. Das habe ich freudig gemacht und hab’ auch Debatten damit prägen können und einige damit auch aus der Bahn bringen können. Im Bundestag gehört das dazu. Da bin ich gespannt, wie das läuft.

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18 Kommentare verfügbar

  • H. Abendthau
    am 01.04.2025
    Antworten
    Ich denke, das Kommentarfeuer von Micha K. spricht Bände. Muss ich nicht mehr mitmachen.
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