Zwei Begriffe illustrieren die verbale Verrohung, die sich in den vergangenen Jahren schleichend vollzogen hat: "irregulär" und "illegal". "Sprache macht Politik", schreibt der Landesbeirat für Integration Baden-Württemberg zur migrationspolitischen Debatte. "Wenn wir über gemeinsame Werte in einer Sprache sprechen, die sich selbst von diesen Werten abwendet, drohen Spaltung und Polarisierung anstelle von demokratischem Ausgleich."
Die beiden Worte tauchen im Zusammenhang mit Migration nach Deutschland erstmals im Sommer 2017 in einem AfD-Papier auf, das nicht nur die Auslagerung von Asylverfahren nach Nordafrika und die komplette Schließung der Mittelmeer-Route verlangt, sondern auch einen "klaren Schwenk in der Kommunikation". Der ist offenbar gelungen. "Irregulär" und "illegal" seien Lieblingsbegriffe deutscher Politiker:innen, "wenn es darum geht, Geflüchtete zu diskreditieren und Abschottungsphantasien durchzusetzen", kritisierte Amnesty International Ende 2023.
Die Öffentlichkeit ist schlecht informiert
Da hatte Baden-Württembergs CDU bereits ihr Eckpunkte-Papier zur "Begrenzung illegaler Migration" vorgelegt und die beiden Vokabeln endgültig in der demokratischen Mitte hoffähig gemacht. "Wir brauchen eine 180-Grad-Wende in der deutschen Migrationspolitik. Das ist keine Frage von Moral, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit", verkündet in Stuttgart Manuel Hagel, Chef der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion. "Deshalb müssen wir jetzt Denkmuster und alte politische Grabenkämpfe überwinden und sachlich die dringend notwendigen konkreten Schritte angehen."
Von Sachlichkeit jedoch kann keine Rede sein. Vielmehr ist die Rhetorik der Rechtsaußen-Opposition zur neuen Normalität beim Thema Lage der Nation geworden. Schlauberger gerade in Union und FDP versuchen einer in weiten Teilen bestenfalls flüchtig informierten Öffentlichkeit mit dem Grundgesetzartikel 16a klarzumachen, wie "irregulär" oder "illegal" sich Hunderttausende in Deutschland aufhalten. Denn darin heißt es, dass sich aufs Asylrecht nicht berufen könne, "wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist."
Der entsprechende Passus von 1993 diente schon vor drei Jahrzehnten dem, was heute "Zustrombegrenzung" genannt wird und faktisch die Abwehr von Geflüchteten meint. Zehntausende unterzeichneten erfolglos den Appell "Flüchtlinge schützen", darunter Günther Grass und Herbert Grönemeyer, Wolfgang Niedecken, Marcel Reif, Hella von Sinnen oder Konstantin Wecker.
Schlussendlich wurde die Änderung angenommen. 14 Stunden hatte der Bundestag debattiert. Der damalige CDU-Innenminister Rudolf Seiters argumentierte wie heute Friedrich Merz (CDU) und seine Gefolgsleute mit dem Willen der deutschen Bevölkerung, die diesen Beschluss "seit Langem erwartet" hätten. Ganz nebenbei: Dass eine deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung ein Tempolimit auf Autobahnen, mehr Bescheidenheit bei den Diäten der Bundestagsabgeordneten oder eine stärkere Besteuerung von Millionären erwartet, ohne dass die Unionsparteien sich derlei zu eigen machten, tut natürlich nichts zur Sache.
Aktuelle Forderungen können nicht umgesetzt werden
Auf der einen Seite wird also schon lange die politisch gewünschte Abwesenheit legaler Migrationsmöglichkeiten zu Gesetzen. Trotzdem kommt völlig unter die Räder, in welchen Fällen tatsächlich von "illegal" oder "irregulär" die Rede sein kann. EU-Recht und Grundgesetz ziehen klare Grenzen. Nach den Dublin-Regeln muss ein Land binnen sechs Monaten die Einreiseroute von Flüchtlingen klären und vor allem, ob ein Asylantrag schon in einem anderen Mitgliedsstaat gestellt worden ist. Gelingt dies nicht fristgerecht, kommt ganz legal und regulär der sogenannte Selbsteintritt zur Anwendung. Zuständig ist dann das letzte Aufnahmeland für alle weiteren Verfahren.
Während weitere Verschärfungen der Rechtslage diskutiert werden, steht die Umsetzung der bestehenden vor hohen Hürden: Zwei Drittel der deutschen Ausländerbehörden sind noch nicht digitalisiert und im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) längst nicht alle Stellen besetzt.
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Philippe Ressing
am 14.02.2025