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Schuldenbremse

Die Welt, wie sie Herrn Feld gefällt

Schuldenbremse: Die Welt, wie sie Herrn Feld gefällt
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Lars P. Feld ist stolz auf seine Schöpfung: Der Architekt der deutschen Schuldenbremse stellt in einem Gutachten fest, dass diese ein "Garant für nachhaltige Haushaltspolitik" sei. Zur Beweisführung hat sich der Lindner-Berater ein Frankenstein-Deutschland gebastelt.

Die Sorge um künftige Generationen kann viele Formen annehmen. Einige Eltern oder solche, die es vielleicht werden wollen, treibt die Frage um, wie viele Teile des Planeten in 20 oder 30 Jahren wohl noch bewohnbar sind. Auch Tim Wenniges will eine gute Zukunft für seine Kinder. Für den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Verbands Unternehmer Baden-Württemberg (UBW) ist dabei vorrangig, dass sie nicht von Schuldenbergen erdrückt werden. Als er den Betrag beziffert, den die Bundesrepublik jedes Jahr für Zinstilgungen aufbringen muss, schnappt eine Frau im Publikum bestürzt nach Luft.

Vergangene Woche hatte die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung ins Stuttgarter Look21 geladen, dem Hauptsitz der Arbeitgeberverbände im Südwesten. Diskutiert wurde, ob der Staat einfach immer weiter "Schulden ohne Grenzen" machen kann. Seit der Corona-Pandemie ist in der Tat ein immenser Anstieg der Zinslast des Bundes feststellbar: Während die jährlichen Ausgaben zur Schuldentilgung 2021 noch bei vier Milliarden Euro lagen, haben sie sich bis 2023 verzehnfacht. Trotz dieser kreditfinanzierten Geldschwemme sind Baustellen offen geblieben, und mit Blick auf Investitionen in Klimaschutz, Rüstung, Daseinsfürsorge und Infrastruktur wird nun quer durch die politischen Lager diskutiert, ob die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse noch zeitgemäß ist.

Bei der Naumann-Stiftung überwiegt der Tenor: Grenzenlos Schulden machen geht gar nicht. Das Podium ist dann auch "nicht besonders konfrontativ besetzt", wie der Unternehmer Wenniges feststellt. Neben ihm selbst nehmen Platz: Lucie Zmijanjac, Mitglied im Vorstand des Landesverbands Württemberg des Verbands deutscher Unternehmerinnen, die FDP-Bundestagsabgeordnete Ann-Veruschka Jurisch und, als Stargast, der Ex-Wirtschaftsweise und heutige Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), Professor Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld, einer der renommiertesten Ökonomen der Republik.

Bevor die Runde damit loslegte, für weniger Bürokratie und einen schlankeren Sozialstaat zu werben, hält Feld einen einführenden Vortrag zu einem Gutachten, mit dem die Naumann-Stiftung das von Feld geleitete Walter-Eucken-Institut beauftragt hat. Es trägt den Titel "Die Schuldenbremse als Garant nachhaltiger Haushaltspolitik", und damit ist die zentrale Botschaft vorweg genommen. Fiskalpolitische Schranken brauche die öffentliche Hand, weil sonst "der einarmige Keynes" drohe, erläutert Feld: "Wenn es schlecht läuft, macht der Staat viele Schulden, und wenn es gut läuft, nicht viel weniger." Bemerkenswert ist dabei, dass die Schuldenbremse staatlichen Investitionen laut dem Professor überhaupt nicht im Weg stehe – im Gegensatz zu weit verbreiteten Ansichten, denen zufolge eine Kreditaufnahme beispielsweise dem Klimaschutz zugute kommen könnte.

"Spekulationen bis hin zur krudesten Polemik"

Das sagen etwa die Ökonomen Gustav Horn und Peter Bofinger, die, wie Feld es nennt, gegen die Schuldenbremse "trommeln". Wobei der Referent feststellt, dass "Befürworter, Gegnerschaft und ihre Argumente seit 20 Jahren ziemlich gleich geblieben" seien. Feld kann seinen altbekannten Standpunkt nun mit einem neuen Gutachten unterfüttern, bei dem er selbst federführend war. Wobei der Hinweis nicht ganz unwichtig erscheint, dass Feld auch einer der führenden Köpfe hinter dem Gegenstand der Untersuchung, also der Schuldenbremse, war. Ein schöpferischer Stolz ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn er das Instrument als "absolut zeitgemäß" und "nicht reformbedürftig" anpreist. Er habe sich jeden Vorschlag zu einer möglichen Überarbeitung im Detail angeschaut. "Es war aber keiner stichhaltig."

Den Handlungsbedarf hält Feld auch deswegen für gering, weil sein Gutachten ja festgestellt hat: "Die Schuldenbremse stellt einen Stabilitätsanker der Sozialen Marktwirtschaft dar." Allerdings benennt die Naumann-Stiftung auf ihrer Website eine große Herausforderung in Sachen Methodik: Das Kernproblem bestehe darin, dass harte empirische Evidenz "das tatsächliche Deutschland mit Schuldenbremse mit einem hypothetischen Deutschland ohne Schuldenbremse vergleichen" müsste, und letzteres "ist natürlich nicht beobachtbar, denn es existiert nicht". Da in der finanz- und wirtschaftspolitischen Realität die Möglichkeit zum kontrollierten Experiment fehle, stehe das Tor offen "für alle möglichen Spekulationen bis hin zur krudesten Polemik", warnt die Naumann-Stiftung.

Ein Deutschland im Eigenbau

Die Behelfslösung, zu der Feld und Co. greifen, besteht in der Konstruktion eines synthetischen Vergleichsdeutschlands, für das prozentuale Anteile anderer Nationen vermengt werden, bis einige soziodemografische Kenngrößen übereinstimmen. Das Eucken-Institut entschied sich für Variablen wie Schuldenquote, Gesundheitsausgaben oder Arbeitslosenquote und bastelte sich eine theoretische Bundesrepublik aus 36,5 Prozent Frankreich, 25,7 Prozent Schweiz, 17,3 Prozent Neuseeland, je einem guten halben Prozent Großbritannien, Japan und Korea sowie einem knappen halben Prozent Australien. Ergebnis: Ein Beleg, dass die Schuldenbremse staatliche Investitionen behindert, konnte nicht gefunden werden.

Dabei betonen die Autor:innen allerdings, dass die Länder der synthetischen Kontrollgruppe eigentlich "keinen Fiskalregeln zur Begrenzung des finanziellen Spielraums der öffentlichen Hand unterliegen" sollten, also nichts besitzen sollten, was auf die eine oder andere Art grob in Richtung einer Schuldenbremse weist. Das geht aber leider nicht. Denn hierzu gebe es inzwischen so viele Gesetze, dass eine "Einschränkung der Kontrollgruppe aufgrund der wachsenden Anzahl von Fiskalregeln sowie deren Stärke kaum möglich ist". Daher werde in der Analyse von einer Ausgrenzung von Staaten aus der Kontrollgruppe aufgrund von Fiskalregeln abgesehen. "Dies stellt eine Einschränkung der Ergebnisse dar", wird eingeräumt. Also ist das theoretische Deutschland ohne Schuldenbremse jetzt zusammengesetzt aus Ländern, die ihre Schulden auch bremsen wollen. Das wirkt in etwa so, als würde auch die Kontrollgruppe in einer Arzneimittelstudie kein Placebo bekommen, sondern das Medikament, das getestet werden soll.

Doch nach Einschätzung der Autor:innen ist auch diese Hürde nicht unüberwindbar. Denn viele Länder hätten zwar auf dem Papier ein paar Fiskalregeln, würden diese in der Praxis aber gar nicht streng durchsetzen (was scheinbar als fundamentaler Unterschied zu Deutschland verstanden wird). Entsprechend heißt es weiter: "Das einzige Land mit de jure und de facto strenger Fiskalregel, das Teil der synthetischen Kontrollgruppe ist, ist die Schweiz. Bei Eliminierung der Schweiz aus der Kontrollgruppe verändern sich die Ergebnisse der Studie allerdings kaum." Dass ein Viertel der Kontrollgruppe, das nötig war, ein synthetisches Deutschland zu modellieren, einfach weggelassen werden kann, ohne dass sich die Ergebnisse ändern, wird hier nicht als Argument gegen, sondern für das Vorgehen der Forscher:innen um den als seriös geltenden Feld angeführt.

Zur Methodik aufgeblasene Scharlatanerie

Eine Fundamentalkritik an "zur Methodik aufgeblasener Scharlatanerie", als welche er Modellierungsbemühungen der neoklassischen Volkswirtschaftslehre einstuft, formulierte der Mathematikprofessor Claus Peter Ortlieb schon vor 20 Jahren. Er bemängelte insbesondere, dass oftmals "die eigenen ideologischen Vorurteile in mathematische Modelle gegossen und diese der Wirklichkeit einfach übergestülpt" würden. Gebe es etwa bei der Auswahl von Kenngrößen mehrere Möglichkeiten, "wird diejenige als gegeben postuliert, die gerade in die eigene Sichtweise und Argumentation passt, ohne Rücksicht auf ihre tatsächliche Bedeutung". Dass sich auf diese Weise keine Erkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand gewinnen ließen, die über die eigenen Vorurteile hinausgehen, sei evident (Ortliebs Aufsatz "Markt-Märchen" ist hier nachzulesen).

In diesem Sinne folgt auf den scheinbar objektiv-wissenschaftlichen Befund schnell die politisch-ideologische Forderung. Bei Lars P. Feld ist es fast immer der gleiche Dreiklang: Regulierung abbauen, Sozialstaat verschlanken, Privatkapital aktivieren statt Staatsschulden machen. Wie einer von so vielen ist der frühere Sozialdemokrat aus seiner Partei ausgetreten, weil er von Hartz IV enttäuscht war. Feld ging allerdings, weil ihm die Reformen nicht weitreichend genug waren. Als wissenschaftlicher Berater in der Mindestlohn-Kommission mahnte er Zurückhaltung an, wenn der Staat mal wieder die Tarifautonomie im Niedriglohnsektor attackieren wollte. Seit 2022 übernimmt Feld das Ehrenamt, den Bundesfinanzminister in Fragen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu beraten. Da der Ökonomie-Professor bekanntermaßen ein erklärter Gegner ausufernder Staatsschulden ist, reagiert er etwas schnippisch, wenn er hört, dass beim aktuellen Haushaltsentwurf des Kabinetts getrickst worden sei: "Das stimmt einfach nicht."

Verfassungsrechtler mahnt Haushaltswahrheit an

Eine andere Interpretation des Zahlenwerks legt der Verfassungsrechtler Henning Tappe vor, der in der Wochenzeitung "Zeit" zu Wort kommt. Das Vorgehen der Bundesregierung sei seiner "Meinung nach mit dem Grundgesetz und dem Grundsatz der Haushaltswahrheit nicht zu vereinbaren". Konkret kritisiert er die Anwendung der sogenannten globalen Minderausgabe, die in Haushalten zwar nichts Unübliches ist – so darf damit gerechnet werden, dass nicht alle Ressorts ihr Gesamtbudget verbrutzeln und am Ende etwas Geld übrig bleibt. Doch Christian Lindner rechnet damit, dass irgendwie 17 Milliarden Euro übrig bleiben, während es ansonsten in der Geschichte der Bundesrepublik höchstens dreistellige Millionenbeträge waren.

Mit einer Kreditaufnahme, die nicht als Verschuldung bilanziert wird, werde laut "Zeit" zudem "auf Pump an der Börse gezockt". Denn ein Darlehen von 12,4 Milliarden Euro wird als "Generationenkapital" an den Finanzmärkten angelegt, damit die Renten von morgen eine Zukunft haben. Weil den kreditfinanzierten Ausgaben jedoch Werte in Form von Aktien gegenüberstehen, soll die Schuldenbremse hier nicht greifen müssen.

An anderer Stelle werden riesige Mehreinnahmen verrechnet, die eine Wachstumsinitiative der Bundesregierung noch stimulieren will: Mehr als 14 Milliarden Euro sind schon mal fest eingeplant, die durch ein staatliches Maßnahmenpaket an zusätzlichen Steuereinnahmen generiert werden sollen. Ob's klappen wird? Jedenfalls soll der Wohnungsbau angeregt werden, indem energetische Standards gesenkt werden, "bei denen die eingesparten Emissionen nicht im Verhältnis zu den entstehenden Kosten stehen".

Ukrainehilfe halbiert, Militärhaushalt verdoppelt

Zudem will die Bundesregierung die Lieferkettensorgfaltspflicht, der zufolge Unternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechten achten müssen, "pragmatisch umsetzen", was bedeutet, dass es bei der Umsetzung gilt, "unverhältnismäßige Belastungen der Unternehmen zu vermeiden". Die Betroffenen werden vertröstet: "Alle Pflichten, auch die Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung, machen wir erst zum spätesten europarechtlich vorgeschriebenen Zeitpunkt verbindlich."

Weiterhin verspricht die Bundesregierung, sie werde sich "bei der Europäischen Kommission dafür einsetzen, die sehr umfangreichen Vorgaben zum Inhalt der Nachhaltigkeitsberichterstattung" für Unternehmen in Europa "deutlich zu reduzieren". Auch für Lars P. Feld sind die Prioritäten klar: Um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sollten Kohle- und Atom-Ausstieg noch einmal überdacht werden, denn die Industrie in der Bundesrepublik ächze unter zu hohen Strompreisen.

Und Wachstum ist nun einmal dringend nötig, wenn die klaffenden Löcher in den Bundesfinanzen geschlossen werden sollen und Neuverschuldung keine Option darstellen darf. Während zwar geplant ist, die deutschen Hilfsgelder an die Ukraine im kommenden Jahr zu halbieren, tut sich bei den Rüstungsausgaben insgesamt ein Abgrund auf: Das jährliche Budget des Verteidigungshaushalts soll bis 2028 von 53,5 auf 80 Milliarden Euro erhöht werden. Wo das Geld herkommen soll, ist unklar. Lindners Finanzministerium spricht nicht von einem Haushaltsloch, sondern von Handlungsbedarf.

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