KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Verfassungsschutzgesetz prüfen

Hochmut kommt vor dem Fall

Verfassungsschutzgesetz prüfen: Hochmut kommt vor dem Fall
|

Datum:

Eine "deftige Watsch'n", sagt die bayerische SPD, sei das höchstrichterliche Urteil zum Landesverfassungsschutzgesetz für die CSU. Die erwartet, dass alle Länder ihre Regelungen nachbessern müssen. Grün-Schwarz hat für Baden-Württemberg mit der Prüfung immerhin schon mal begonnen.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hatte auf ein Grundsatzurteil gehofft, und es wurde eins. "Die Karlsruher Richter*innen erklärten einen Großteil der Überwachungsbefugnisse des bayerischen Inlandsgeheimdienstes für verfassungswidrig", heißt es in einer ersten Bewertung des inzwischen drei Wochen alten Spruchs. Jetzt wird auch in Stuttgart die Urteilsbegründung auf ihre Auswirkungen abgeklopft. "Wir analysieren den Anpassungsbedarf", sagt Oliver Hildenbrand, der Innenexperte der grünen Landtagsfraktion. Die Bayern seien in bestimmten Bereichen besonders scharf vorgegangen und hätten Neuland betreten. 

Genau das nahm Innenminister Thomas Strobl (CDU) allerdings für Baden-Württemberg ebenfalls in Anspruch, als im Oktober 2017 entscheidende Weichen gestellt wurden. Er sei ein Verfassungsästhet, rühmte sich der Innenminister selber, einer, der den Mut habe, voranzugehen statt "sicherheitspolitisch hinterherzutraben". Er wolle nicht, "dass wir, wenn sich die organisierte Kriminalität, die Verbrechensszene, insbesondere der islamistische Terror, modernster Technologie bedienen, Lichtjahre hinterher sind. Sondern ich möchte, dass unsere Sicherheitsbehörden zumindest auf Augenhöhe und im Idealfall sogar ein bisschen schneller sind als diejenigen, die eine große Gefahr für unsere Gesellschaft darstellen". Der Rückendeckung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) durfte er sich sicher sein, weil der damals unter dem Eindruck des Terroranschlags auf dem Berliner Weihnachtsmarkt angekündigt hatte, "wenn nötig bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen zu gehen".

Im Land waren die Änderungen am Polizei- und jene am Landesverfassungsschutzgesetz gemeinsam beraten worden. In einer von der Opposition erzwungenen Anhörung hatten mehrere Fachleute die Vorgaben zerrissen. Wirklich ernsthaft damit befassen wollte sich der Innenminister damit aber nicht, mehr noch: Er war in der Sitzung der beiden zuständigen Landtagsausschüsse nicht einmal anwesend. Bei der Verabschiedung der beiden Gesetze lobte er, Baden-Württemberg bekomme eines der besten, der effektivsten, der modernsten Sicherheitsgesetze der gesamten Republik. 2018 wurde – aus Strobls Sicht – noch einmal nachgebessert, unter anderem bei der Erhebung personenbezogener Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln.

Einige Verschärfungen wurden verhindert vom grünen Koalitionspartner. "Die CDU wollte im Polizeigesetz wie in Bayern eine unbegrenzte präventive Inhaftierung durchsetzen", erinnert sich Daniel Lede Abal. Dieser Unendlichkeitsgewahrsam sei aber mit seiner Fraktion nicht zu machen gewesen. Und die CDU habe anhaltend auf die Online-Durchsuchung gedrängt, "um die Auswertung auf Festplatten gespeicherter Bilder, Videos, persönlicher Notizen und ähnliches umfangreiche Persönlichkeitsmuster ermöglichen". Das hätten die Grünen beim Polizeigesetz mit Erfolg verweigert, als "unverhältnismäßig und verfassungswidrig". Für die Polizei gelten allerdings andere Regeln als für den Verfassungsschutz.

Beim Einsatz von V-Leuten eventuell nachjustieren

Argumentationshilfe gegen grundgesetzwidrige Ermächtigungen des Verfassungsschutzes liefert nun der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts für die bayerische Gesetzesvariante. Nach seinem Urteil ist die sogenannte Online-Durchsuchung, die CSU und Freie Wähler dort durchgesetzt hatten, "mit dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als besonderer Ausprägung des Persönlichkeitsrechts" nach Artikel 1 und 2 Grundgesetz unvereinbar. Eine Mahnung also an alle landauf landab, die weitere Eingriffe mit dem Hinweis auf die Abwehr von Terror oder schwerer Kriminalität rechtfertigen wollen. Gegen das Grundrecht informationeller Selbstbestimmung wiederum verstoßen nach Karlsruher Ansicht die Regelungen zum Einsatz von Verdeckten Ermittlern und von V-Leuten. Hier kann Hildenbrand sich vorstellen, dass in Baden-Württemberg "nachjustiert werden muss". Auch wenn schon jetzt die Vorgaben enger gefasst seien als in Bayern, weil das Landesamt für Verfassungsschutz die Arbeit "verdeckt arbeitender Bediensteter und Gewährspersonen" in einer Dienstvorschrift regeln muss. Der wiederum muss das Innenministerium zustimmen und das Parlamentarische Kontrollgremium ist darüber zu unterrichten. 

Besonders schmerzlich fällt die deftige Watsch’n in Bayern aus "für die ausufernde und verfassungswidrige Überwachung", wie der bayerische SPD-Landes- und Fraktionschef Florian von Brunn twittert. In vielen heiklen Details muss jetzt bis 31.Juli 2023 nachgearbeitet werden, Präzisierung ist verlangt und deutlich engere Grenzziehung. Zum Beispiel bei der allzu ungenauen Definition bei der Überwachung außerhalb der Wohnungen, denn dabei könnten "sei es im Auto, sei es abseits in einem Restaurant, sei es zurückgezogen bei einem Spaziergang, mit einiger Wahrscheinlichkeit höchstvertrauliche Situationen erfasst werden".

Für den Rechtsexperten der baden-württembergischen SPD-Fraktion Boris Weirauch ist klar, dass das Bundesverfassungsgericht "enge Leitplanken zieht, die für Baden-Württemberg ebenso bindend sind". Er drängt zur Nacharbeit. Der Verfassungsschutz dürfe Aufgaben der Beobachtung und Vorfeldaufklärung wahrnehmen, "jedoch nur schrittweise, begrenzt und kontrolliert. Innenminister Strobl muss das Urteil ernst nehmen und dem Landtag Änderungsvorschläge unterbreiten". Der Mannheimer Landtagsabgeordnete erinnert an die Debatten von 2017, als Sachverständige und Sozialdemokraten die Verfassungsmäßigkeit der damals verabschiedeten Reform des Verfassungsschutzgesetzes in Frage stellten – "leider ohne Erfolg". Thomas Blenke, Weirauchs CDU-Gegenspieler, versucht den Ball flach zu halten: "Das baden-württembergische Verfassungsschutzgesetz unterscheidet sich an wesentlichen Stellen vom bayerischen Gesetz." Genau das wird ausgerechnet vom Münchener Innenminister Joachim Hermann (CSU) in Abrede gestellt. Er glaube, versucht der Jurist aus München die peinliche Niederlage in Karlsruhe zumindest etwas zu vernebeln, dass verschiedene der neuen Vorgaben von den anderen Ländern ebenso wenig erfüllt werden könnten: Wahrscheinlich müssten alle und zudem der Bund ihre einschlägigen Gesetze ändern.

Die Ampelkoalition in Berlin allerdings versteht den Spruch nicht als Gegen-, sondern als Rückenwind. Bundesjustizminister Marco Buschmann fand gleich nach der Gerichtsentscheidung deutliche Worte und versprach nicht nur eine rasche Umsetzung, sondern "die zügige Beschränkung der Befugnisse auch der Sicherheitsbehörden des Bundes". Die Ampelparteien SPD, FDP und Grüne hatten ohnehin unter anderem vereinbart, für die umstrittene Quellen-TKÜ, die Überwachung verschlüsselter Kommunikation, die Hürden hochzusetzen. Nach Buschmanns Ansicht sollen unter anderem die Voraussetzungen für den Einsatz von Informanten der Sicherheitsbehörden gesetzlich geregelt werden.

Der selbsternannte Verfassungsästhet aus dem Südwesten hatte der Bundesregierung für ihr Sicherheitspaket ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt. Darin sollten wohl nicht Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität, sondern Daten geschützt werden. Im Koalitionsvertrag der Ampel habe er sehr lange scrollen müssen, bis er das Thema überhaupt gefunden habe. Und die Aussagen dazu habe er "zu Hause auf die Küchenwaage gelegt, die eine sehr moderne ist, und es gab keinen Ausschlag", weil das Vereinbarte so dünn sei. Karlsruhe hat jetzt klargestellt, dass es deutlich mehr Bereiche gibt, als die Hardliner:innen der Union wahrhaben wollen, in denen Strobls High-Tech-Gerät gar nicht ausschlagen darf, weil nur dann das hiesige Verfassungsschutzgesetz tatsächlich gerichtsfest sind.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!