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The Länds Abwerbekampagne

Bräin Dräin

The Länds Abwerbekampagne: Bräin Dräin
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Baden-Württemberg will sein internationales Image aufpolieren – als "The Länd" statt als hausbackenes Ländle. Der Spott über die gelbe Kampagne ist das eine. Deren Zielrichtung das andere. Denn rund um den Globus geht es jetzt in den Kampf um die besten Köpfe – ungeniert und unverfroren.

"Einfach mal ums Eck rumdenken", empfahl Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dieser Tage im Landtag. Und trat damit der von so vielen Seiten geäußerten Kritik an den steifen Bemühungen entgegen, mit der neuen "The Länd"-Kampagne im schrägen Denglisch Aufmerksamkeit zu wecken, vor allem bei gesuchten Fachkräften im In- und Ausland. Dabei wären gedankliche Verrenkungen gar nicht nötig, es würde ja völlig reichen, wenn die Grünen sich an frühere Überzeugungen erinnerten: an ihre Schelte für CDU-geführte Landesregierungen wegen deren hochgradig unsensiblen Ab- und Anwerbeaktionen in Ländern, die ihre Talente dringend selber brauchen.

Zum Beispiel 2009. Da sollten Lehrkräfte mit dem Beamtenstatus und einem Salär deutlich über dem Bundeschnitt aus ganz Deutschland in den reichen Südwesten gelockt werden. Damals wetterte Kretschmann in einer der zahlreichen Debatten, der Nachwuchsmangel hierzulande sei selbstverschuldet, weil CDU und FDP über Jahre nicht ausreichend Studienplätze geschaffen hätten. Vor allem Berlin stand im Fokus der Abwerbeaktion aus Baden-Württemberg. Deshalb rüffelte der Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) solchen "Pädagogenklau" mit einiger Schärfe und dem Hinweis, dass namhafte Geistesgrößen ehedem Württemberg und Baden reihenweise verlassen hätten, "von Hegel bis Einstein", was die Attraktivität des Südwestens doch in neuem Lichte erscheinen lasse.

Aus ärmeren Ländern verschwinden die ExpertInnen

Damals ging um es um knapp 400.000 Euro und ein paar Dutzend Lehramts-AnwärterInnen. Diesmal geht es um 21 Millionen Euro, so teuer war "The Länd", und nach den Worten von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) um 50.000 bis 60.000 Fachkräfte per anno. Denn: "Personalengpässe werden zu einem ernsten Problem, weil sie das Wirtschaftswachstum hemmen." Diese Erkenntnis ist alles andere als neu. Spätestens seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts warnen Fachleute. So hat das Schweizer Prognos-Institut 2018 errechnet, dass schon bis 2025 in der Bundesrepublik drei Millionen Erwerbstätige fehlen werden. Die Situation sei "regional sehr unterschiedlich ausgeprägt", schreiben die AutorInnen, besonders drastisch beispielsweise in Baden-Württemberg.

Noch älter sind Studien zur Ausbeutung der einen Staaten durch andere, zum gezielt durch Anwerbung ausgelösten ExpertInnenschwund in Schwellenländern oder der Dritten Welt, Brain Drain genannt. Kanadas Premier Justin Trudeau beispielsweise ließ die Abwanderung junger ÄrztInnen aus Afrika untersuchen, mit dem Ergebnis, dass trotz der Geldüberweisungen zur Unterstützung ihrer Familien aus der neuen in die alte Heimat den betroffenen Ländern südlich der Sahara unterm Strich Milliarden Dollar verlorengehen. Einer der Gründe liegt darin, dass dort vielfach Geld in Ausbildungen gesteckt wird, die der medizinischen Versorgung der eigenen Bevölkerung nicht zugute kommen.

Aber die Not ist offenbar zu groß im reichen Baden-Württemberg. Da sinken die Hemmschwellen, selbst bei den Voraussetzungen, die angelockte InteressentInnen mitbringen müssen in "The Länd". Deutsch können kann sein, muss aber nicht – die angelsächsische Weltsprache bietet den rettenden Ausweg. "Auch viele Mittelständler kommunizieren in Englisch", sagt die Ministerin, das werde helfen, um Menschen, "die ähnlich ticken wie wir", aus dem Ausland zu holen. Ein Satz wie ein Offenbarungseid. Denn natürlich können auf ein derartiges Entgegenkommen nur die hoffen, die nach guter deutscher Aschenputteltradition im Töpfchen landen und nicht im Kröpfchen. Wer also auf dem Ticket "qualifiziert" einreist, muss sich um den Spracherwerb in seiner neuen Heimat erst mal keine Gedanken machen. Die ohne dieses schöne Prädikat müssen tüchtig büffeln, "denn Deutsch ist wichtig, wenn Sie Arbeit suchen", empfiehlt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in einer seiner inzwischen zahllosen Handreichungen zum Thema.

Nur wer Geld einbringt, wird hofiert

Dabei ist die Verlockung für die Fachkräfte aus aller Herren Länder, keine Deutschkenntnisse vorweisen zu müssen, noch eine der geringsten. "The Länd" fährt alle Vorzüge auf, um andere Regionen auszustechen: ein Schulsystem ohne Schulgeld, Hochschulen weitgehend ohne Gebühren, die Rechtssicherheit, die hohe Lebensqualität und noch so manches mehr. Daimler-Chef Ola Källenius, einer der Promoter der Kampagne, lebt seit 22 Jahren in Baden-Württemberg und rühmt die Sicherheit des abendlichen Heimwegs seiner Kinder, und Douce Steiner, Sterneköchin aus dem Schwarzwald, hebt als besonderes Merkmal der Einheimischen die Herzlichkeit hervor, "mit der wir Menschen aufnehmen".

Das galt vor sechs Jahren mal für alle, gerade für Geflüchtete: auf den Bahnhöfen und in der Erstaufnahme, bei der Verteilung von Winterkleidung, Essen, Spielzeug und den ersten Annäherungen in der Nachbarschaft. Bis die Stimmung kippte, was im Landtagswahlkampf 2016 auch von der CDU befördert wurde, weil sie partout zurück wollte an die Regierungsspitze. Den sogenannten Spurwechsel, also MigrantInnen schneller in Ausbildung zu bringen und ihnen dafür einen Aufenthaltstitel zu gewähren statt sie abzuschieben, lehnen die Konservativen bis heute ab. Angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse in Berlin wird er aber dankensweiterweise nicht mehr zu verhindern sein.

Andererseits gibt es genügend Beispiele, wie der Spurwechsel gelingen kann. Vielerorts im Land, zum Beispiel in Tettnang. Die Outdoor-Marke Vaude ist Aushängeschild dafür (Kontext berichtete). Schon 2018 war Antje von Dewitz, Chefin des äußerst erfolgreichen Unternehmens, bei Innenminister Thomas Strobl (CDU) vorstellig geworden. Sie ist Mitbegründerin jener Initiative, in der sich inzwischen 150 Firmen und Handwerksbetriebe mit einem Jahresumsatz von 50 Milliarden Euro zusammengefunden haben, um für ein Bleiberecht von integrierten Beschäftigten und ihren Familien zu kämpfen.

Die Firma Vaude hat um jeden Geflüchteten gekämpft

Über die ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuung 2015 kamen die ersten Praktikanten zu Vaude. Am Ende des Prozesses stehen bisher zwei Dutzend Festanstellungen. Alle Geflüchteten sollten trotz Arbeitsplatz abgeschoben werden, alle konnte von Dewitz halten. Tatsächlich kamen nach den Zahlen aus dem Wirtschaftsministerium mit dem Programm "Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Zugewanderte" zwischen Januar 2016 und April 2021 monatlich landesweit im Durchschnitt 46 Flüchtlinge dauerhaft in Arbeit.

Seit März 2020 ist zudem das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft. Das wird vom BAMF gerade auf seine ersten Auswirkungen hin wissenschaftlich durchleuchtet. Die können schon allein coronabedingt nicht durchschlagend sein. Der letzte der seit 2004 regelmäßig vorgelegten Migrationsberichte unterstreicht, wie einschneidend sich die im Technokraten-Deutsch als "Erwerbsmigration" bezeichnete Einwanderung verändern müsste, um den Bedarf aus Drittstaaten auch nur annähernd zu decken. Denn in die Bundesrepublik einreisen konnten knapp 65.000 Menschen, gut die Hälfte davon ist hochqualifiziert. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, der Kosovo, Nordmazedonien und Albanien sowie die Vereinigten Staaten, die Türkei und Indien.

Winfried Kretschmann will diesen Kreis jetzt deutlich erweitern und "was man gut kann, nicht länger verstecken". Deshalb soll geworben werden "für unsere Vorzüge, denn mit Bescheidenheit kommt man in der Welt nicht weiter". Wie stolz könnten er und seine Grünen sein, wenn damit 2015 ff. in den Erstaufnahmelagern angefangen und vor allem den zehntausenden jungen Männern systematische Hilfe durch Ausbildung angeboten worden wäre. Der Fachkräftemangel wäre damit nicht behoben, aber abgeschwächt worden wäre er sehr wohl. Kaum auszudenken, was die 21 Millionen Euro für die Abwerbe-Kampagne in gelb und schwarz alles an Gutem hätte bewirken können in "The Länd".


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1 Kommentar verfügbar

  • Jens Niemeyer
    am 02.01.2022
    Antworten
    Sehr geehrte Frau Henkel-Waidhofer!

    Ich danke Ihnen für Ihre intelligenten Ausführungen!
    Was so salopp und in alter “Neo-Liberaler” Manier rüberkommt, ist nichts anderes als das Symptom eines scheinbar alten Minderwertigkeitskomplexes.

    Wer meint mit trivialsten und dümmlichen Wortschöpfungen…
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