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Bundestagswahl und Bergpartei

Antifa-Echsen gegen den Wahn

Bundestagswahl und Bergpartei: Antifa-Echsen gegen den Wahn
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Zwischen schlecht und schlimmer gäbe es bei dieser Wahl um ein Haar eine begeisterungsfähige Option für kapitalismuskritische Ökoanarchos. Jetzt müsste man die nur noch wählen können.

Wählen zu gehen, ist die Kunst des Krötenschluckens. Nicht nur, weil jede Partei ihre Sarrazins und Palmers hat. Auch weil bei der Entscheidungsfindung, wo das Kreuz hinkommt, oftmals keine wirkliche Begeisterung aufsprudelt, sondern eher die Fragestellung zentral ist, welches der zur Verfügung stehenden Übel die eigenen Überzeugungen wohl am wenigsten verballhornen würde. Zumindest gilt das, wenn eine politische Position durch die Auffassungen gekennzeichnet ist, dass man hilfesuchende Menschen lieber nicht allein lassen sollte, dass die allgemeine Arbeitszeit radikal verkürzt gehört und dass eine ökologische Marktwirtschaft leider kein effektiver Klimaschutz ist.

Zwar haben 55 Prozent der Befragten in Deutschland im vergangenen Jahr gegenüber der Hamburger Agentur Edelman der Aussage zugestimmt, "dass der Kapitalismus mehr schadet als nützt". Gemessen daran ist die im Parteienspektrum artikulierte Grundsatzkritik an unserer Wirtschaftsordnung aber eher, nun ja, zurückhaltend. Vielleicht traut sich ja kaum jemand, weil sogar eine SPD unter Olaf Scholz in Teilen der Medienlandschaft für das Schreckgespenst von der kommunistischen Gefahr herhalten muss.

"2015 darf sich nicht wiederholen", das haben viele gesagt, nachdem eine Terrorbande in Afghanistan geputscht hat. Aber kaum jemand sagt: "Die Taliban mit Geld vollzupumpen, damit sie uns die Flüchtlingslast vom Hals halten, das halte ich moralisch für bedenklich." Und auch dass Vollbeschäftigung beim Stand der technologischen Entwicklung eine Schnapsidee ist, hat sich noch nicht genug herumgesprochen.

Dann aber sind da diese Plakate: Eine geballte Arbeiterfaust zertrümmert einen Wecker, darunter der Slogan: "Träumt weiter!" Ein anderes Exponat spricht sich für eine "Mentalverschiebung gegen Zentralverriegelung" aus. Und, bildlich begleitet von Hokusais großer Welle, die über ein Pickelhauben tragendes Bahnhofsgebäude hereinbricht, steht auf einem dritten Ausstellungsstück der allgemeingültige Satz: "fick dein großprojekt!" – endlich sagt's mal jemand.

Da ist natürlich die Neugierde geweckt, was es mit diesen, äh, Forderungen?, Feststellungen?, Denkanstößen?, auf sich hat. Verantwortlich zeigt sich eine "bergpartei, die überpartei", die sich der Kleinschreibung verpflichtet fühlt und im erweiterten Namen die Zusatzbezeichnung "ökoanarchistisch – realdadaistisches sammelbecken" trägt, und noch weiter konkretisiert: "radikalfeministischer arm, utopisch solidarischer flügel, postidentitäre antinationale und antisubstanzistische aktion." Ja, cool, so was gibt's also auch. Eine kurze Recherche offenbart: Die Partei ging aus der Fusion von Bergpartei und Überpartei hervor, entstammt der Berliner Hausbesetzer-Szene und war die erste in Deutschland, die ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert hat (inzwischen als "begründungsloses dingseinkommen" im Programm).

Der Spaß ist ernst gemeint

Wer jetzt aber schon frohlockt, womöglich eine neue politische Heimat gefunden zu haben, wird bei der Bundestagswahl vor Probleme gestellt. Denn mit einem Kandidaten tritt die Bergpartei, die Überpartei nur in Berlin an, und da wiederum nur im Wahlkreis Friedrichshain/Kreuzberg. Bei der Landtagswahl 2017 konnte Direktkandidat Fares Al-Hassan stolze 911 Zweitstimmen ergattern. Dies zähneknirschend zur Kenntnis nehmend, fragt sich die regionale Wochenzeitung aus Baden-Württemberg: Gibt es denn wenigstens Aktive in Stuttgart?

Ein Anruf bei der Parteizentrale wird dem schnell aufgekommenen Verdacht an Kuriosität gerecht. Sie seien zwar kein Teil der Partei, erklärt ein Sprecher, der Beni genannt werden möchte. Aber im "Mordor für Antischwurbler", wie er die baden-württembergische Landeshauptstadt als Heimat der "Querdenker" nennt, gebe es zumindest entfernt assoziierte Echsenmenschen, die als Zeichen des Protests auf den verschwörungswahnsinnigen und rechtsoffenen Kundgebungen in Reptilienkostümen Antifa-Fahnen schwenken. Eine Kontaktaufnahme scheiterte allerdings bislang – uns blutet das Herz. Ein Antifa-Echsenmensch ist allerdings auch im diesjährigen Wahlwerbespot zu begutachten.

Auch wenn ihr Kommunikationsstil eher unkonventionell daherkommt, legt die Bergpartei, die Überpartei wert darauf, es mit dem Spaß ernst zu meinen. Dahinter stehe der Versuch, "mitglieder einer entpolitisierten spass/party/kunst-gesellschaft wieder für aktuelle politische entscheidungen zu sensibilisieren. und zwar vor allem mit hilfe von spass, party und kunst". Und, was die Anforderungen an Seriosität angeht, stichelte die Partei bereits vor Jahren, lange bevor Aserbaidschan-Connections und Maskendeals aufgeflogen sind: "ein/e kompetente/r politiker/in scheint vor allem an einem guten anzug und an dem professionellen verschleiern seiner bestechlichkeit erkennbar zu sein."

Dass die Wahlergebnisse bislang nicht für Mandate gereicht haben, hält die Bergpartei für verschmerzbar. Sie will gar nicht in Parlamente, erklärte Rhaffi Hadizadeh Kharazi, Spitzenkandidatin für die Berliner Landtagswahl 2017, einst in der taz. Wichtiger sei es, grundsätzlich zum Nachdenken anzuregen – weswegen andere Parteien mit inhaltlichen Schnittmengen auch nicht als Konkurrenz wahrgenommen würden. So ist denn auch erklärbar, warum die Bergpartei, die Überpartei bislang stets dafür geworben hat, seine Stimme lieber anderen Parteien zu geben. Dieses Jahr aber ist alles anders: "2021 ist das erste mal, dass wir zur wahl von uns selbst aufrufen." Jetzt müsste man sie halt nur noch wählen können.


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2 Kommentare verfügbar

  • Stefan Dreher
    am 16.09.2021
    Antworten
    Also die Zweitstimme nicht der Linken, sondern irgendwelchen hochintelligenten Spaßvögeln. Das ist dann noch mal lustiger, wenn die Linke rausfällt. Im Ernst kann ich den Wählern von "Die Partei", Klimaliste, Piraten oder Tierschutzpartei nur raten, die zweite Stimme der Linken zu geben. Sonst wird…
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