Dann aber sind da diese Plakate: Eine geballte Arbeiterfaust zertrümmert einen Wecker, darunter der Slogan: "Träumt weiter!" Ein anderes Exponat spricht sich für eine "Mentalverschiebung gegen Zentralverriegelung" aus. Und, bildlich begleitet von Hokusais großer Welle, die über ein Pickelhauben tragendes Bahnhofsgebäude hereinbricht, steht auf einem dritten Ausstellungsstück der allgemeingültige Satz: "fick dein großprojekt!" – endlich sagt's mal jemand.
Da ist natürlich die Neugierde geweckt, was es mit diesen, äh, Forderungen?, Feststellungen?, Denkanstößen?, auf sich hat. Verantwortlich zeigt sich eine "bergpartei, die überpartei", die sich der Kleinschreibung verpflichtet fühlt und im erweiterten Namen die Zusatzbezeichnung "ökoanarchistisch – realdadaistisches sammelbecken" trägt, und noch weiter konkretisiert: "radikalfeministischer arm, utopisch solidarischer flügel, postidentitäre antinationale und antisubstanzistische aktion." Ja, cool, so was gibt's also auch. Eine kurze Recherche offenbart: Die Partei ging aus der Fusion von Bergpartei und Überpartei hervor, entstammt der Berliner Hausbesetzer-Szene und war die erste in Deutschland, die ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert hat (inzwischen als "begründungsloses dingseinkommen" im Programm).
Der Spaß ist ernst gemeint
Wer jetzt aber schon frohlockt, womöglich eine neue politische Heimat gefunden zu haben, wird bei der Bundestagswahl vor Probleme gestellt. Denn mit einem Kandidaten tritt die Bergpartei, die Überpartei nur in Berlin an, und da wiederum nur im Wahlkreis Friedrichshain/Kreuzberg. Bei der Landtagswahl 2017 konnte Direktkandidat Fares Al-Hassan stolze 911 Zweitstimmen ergattern. Dies zähneknirschend zur Kenntnis nehmend, fragt sich die regionale Wochenzeitung aus Baden-Württemberg: Gibt es denn wenigstens Aktive in Stuttgart?
Ein Anruf bei der Parteizentrale wird dem schnell aufgekommenen Verdacht an Kuriosität gerecht. Sie seien zwar kein Teil der Partei, erklärt ein Sprecher, der Beni genannt werden möchte. Aber im "Mordor für Antischwurbler", wie er die baden-württembergische Landeshauptstadt als Heimat der "Querdenker" nennt, gebe es zumindest entfernt assoziierte Echsenmenschen, die als Zeichen des Protests auf den verschwörungswahnsinnigen und rechtsoffenen Kundgebungen in Reptilienkostümen Antifa-Fahnen schwenken. Eine Kontaktaufnahme scheiterte allerdings bislang – uns blutet das Herz. Ein Antifa-Echsenmensch ist allerdings auch im diesjährigen Wahlwerbespot zu begutachten.
Auch wenn ihr Kommunikationsstil eher unkonventionell daherkommt, legt die Bergpartei, die Überpartei wert darauf, es mit dem Spaß ernst zu meinen. Dahinter stehe der Versuch, "mitglieder einer entpolitisierten spass/party/kunst-gesellschaft wieder für aktuelle politische entscheidungen zu sensibilisieren. und zwar vor allem mit hilfe von spass, party und kunst". Und, was die Anforderungen an Seriosität angeht, stichelte die Partei bereits vor Jahren, lange bevor Aserbaidschan-Connections und Maskendeals aufgeflogen sind: "ein/e kompetente/r politiker/in scheint vor allem an einem guten anzug und an dem professionellen verschleiern seiner bestechlichkeit erkennbar zu sein."
Dass die Wahlergebnisse bislang nicht für Mandate gereicht haben, hält die Bergpartei für verschmerzbar. Sie will gar nicht in Parlamente, erklärte Rhaffi Hadizadeh Kharazi, Spitzenkandidatin für die Berliner Landtagswahl 2017, einst in der taz. Wichtiger sei es, grundsätzlich zum Nachdenken anzuregen – weswegen andere Parteien mit inhaltlichen Schnittmengen auch nicht als Konkurrenz wahrgenommen würden. So ist denn auch erklärbar, warum die Bergpartei, die Überpartei bislang stets dafür geworben hat, seine Stimme lieber anderen Parteien zu geben. Dieses Jahr aber ist alles anders: "2021 ist das erste mal, dass wir zur wahl von uns selbst aufrufen." Jetzt müsste man sie halt nur noch wählen können.
2 Kommentare verfügbar
Stefan Dreher
am 16.09.2021