Ziel der Offensive sei es, "das Mörderpack auszurotten", sagte Recep Tayyip Erdoğan, nachdem das türkische Militär am 24. April begann, die irakischen Kandil-Berge mit Drohnen und Hubschraubern zu bombardieren sowie mit schwerer Artillerie zu beschießen. Dort, in diesem schwer zugänglichen Terrain, soll sich das Hauptquartier der PKK befinden, die von der Türkei und ihren geopolitischen Verbündeten als Terrororganisation eingestuft wird. Auch in der Bundesrepublik ist die kurdische Arbeiterpartei verboten. Allerdings werfen kritische Stimmen dem türkischen Staatsoberhaupt vor, den Kampf gegen den Terrorismus nur als Vorwand zu missbrauchen, sei es, um politische Gegner zu schwächen oder um sein Hoheitsgebiet zu erweitern.
Bereits im Frühjahr 2018 hatten sich die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags mit der Fragestellung auseinandergesetzt, ob sich die Türkei bei militärischen Operationen auf fremdem Territorium auf das Recht zur Selbstverteidigung berufen kann. Damals ging es um eine völkerrechtliche Bewertung der bewaffneten Angriffe auf kurdische Gebiete im Norden Syriens. Grundsätzlich könne eine Selbstverteidigung gegen Terrorismus legitim sein, heißt es in der Untersuchung. Im Fall der Türkei stehe die Argumentation allerdings auf "ausgesprochen 'tönernden' Füßen" und es bestünden "konkretere Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des militärischen Vorgehens" – insbesondere da die Operationen "zu einer dauerhaften Veränderung von Strukturen und Einflusszonen auf fremdem Staatsterritorium führen können".
Damals beteuerte Erdoğan, dass seine Armee "kein Blut von Frauen, kein Blut von Unschuldigen an den Händen hat und das wird auch nie passieren". Doch das ist selbstverständliche Propaganda, da noch kein Krieg ohne zivile Opfer geführt wurde – zumal sich, angesichts von gut 300.000 Menschen, die nach den Angriffen ihre Heimat verloren haben, der Verdacht aufdrängt, dass eine ethnische Säuberung der kurdischen Gebiete die eigentliche Absicht der türkischen Operationen ist.
Wenn es in der Geopolitik um humanitäre Werte ginge, die in jeder europäischen Sonntagsrede beschworen werden, um Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, müsste die deutsche Politik dankbar sein für jedes zivilgesellschaftliche Engagement, das sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg eines Despoten einsetzt, der massenweise Regimekritiker inhaftieren lässt und seine Republik in einen autoritären Unrechtsstaat transformiert. Doch als sich eine Delegation am 12. Juni in Richtung der betroffenen Gebiete aufmachen wollte, mit dem erklärten Ziel der friedlichen Verständigung, kam es ganz anders.
Nur die halbe Reisegruppe schaffte es bis Erbil
"Der deutsche Staat ist gut darin, so zu tun, als ob er nicht dabei wäre", sagt die Aktivistin Franziska Schulz. Aber im türkisch-kurdischen Konflikt nehme er nicht nur als Waffenlieferant einen aktiven Teil ein. Wie eine Einmischung aussehen kann, hat sie erst kürzlich aus nächster Nähe mitbekommen. Die Studentin aus Tübingen wollte sich zusammen mit 150 Menschen aus 14 Ländern ein eigenes Bild von der Lage im Nordirak verschaffen – und sie schaffte es immerhin bis nach Erbil, die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, was nur der Hälfte der Reisegruppe vergönnt war. Bereits am Düsseldorfer Flughafen intervenierte die deutsche Bundespolizei und hinderte 19 Menschen – darunter Cansu Özdemir, die Fraktionsvorsitzende der Hamburger Linken – an der Ausreise.
1 Kommentar verfügbar
Stefan Dreher
am 01.07.2021