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Heimkehr aus dem Maskenland

Heimkehr aus dem Maskenland
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Ausstiegsszenarien liegen vor, viele WissenschaftlerInnen sind mit dem komplexen Vorgehen befasst. Denn die große Herausforderung, es nicht zu übertreiben mit der Anpassungsbereitschaft und der sozialen Kontrolle zur Bewältigung der Coronakrise, steht erst noch bevor.

SWR-Redakteurin Kristina Böcker machte Ende März schon mal den Anfang: Sie kommentierte in den "Tagesthemen" mit und für die Maske: Ja, es sehe komisch aus, mit einem Mundschutz herumzulaufen, und sie habe "drei Tage gezögert". Nun aber trage sie den von ihren Kindern selbst genähten Mundschutz doch. Denn: "Wir verzichten gerade in einem erheblichen Ausmaß auf Grundrechte und auf große Teile des Wirtschaftslebens zugunsten des Gesundheitsschutzes." Da sei es nur noch ein "kleiner Schritt", jetzt auch noch Masken zu tragen. Wer will da widersprechen oder gar mit Fakten dagegenhalten? Erst recht, wenn die lieben Kleinen für Mama nähen.

Vor zwei Wochen hat Wissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) bereits erläutert, wie an der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, an Ausstiegsszenarien gearbeitet wird. Die inzwischen veröffentlichte Stellungnahme spricht für Kristina Böcker und eine eindeutige Sprache: mehr Tests, mehr Handy-Ortung und vor alle mehr Mund-Nasenschutz: "Eine schrittweise Lockerung der Einschränkungen sollte mit dem flächendeckenden Tragen von Mund-Nasen-Schutz einhergehen." Dies gelte "im gesamten öffentlichen Raum", heißt es weiter, "unter anderem in Betrieben, Bildungseinrichtungen und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr". Voraussetzung sei die flächendeckende Verfügbarkeit von schützenden Masken. Und sogar ein Plan zur Überbrückung von Versorgungsengpässen liegt schon auf dem Tisch: "Der Mangel sollte bereits jetzt durch selbst hergestellten Mund-Nasen-Schutz, Schals und Tücher überbrückt werden." Weitere Stellungnahmen werden folgen, etwa zu möglichen gesellschaftlichen Verwerfungen.

Skeptiker gelten schnell als Querulanten

Der Druck jedenfalls, der entstehen wird, lässt sich unschwer beschreiben: Viele werden arbeiten, einkaufen oder ins Fitnessstudio und erst recht in Schule und Uni wollen. Viele werden nicht nur Masken tragen, sondern auch andere dazu drängen. Wer da skeptisch bleibt, kritisch nachfragt oder womöglich am Ende nicht mitmacht, läuft Gefahr, als Besserwisser, Störenfried oder uneinsichtiger Querulant wahrgenommen und angegiftet zu werden, als jemand, der sich der geordneten Rückkehr in die Normalität in den Weg stellt. Dabei muss es erlaubt bleiben, nicht nur wenn es um die Grundrechtsprobleme beim Datensammeln geht, nach Fakten, Fakten, Fakten zu fragen. Selbst Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), spricht gerade mal davon, dass die übliche einfache Maskenvariante einen "gewissen Schutz" biete. Und fügt hinzu: Wissenschaftliche Nachweise gibt es keine.

Wieler, Veterinärmediziner und Mikrobiologe, nennt die dreilagigen Papierstreifen aus Vlies ("Wir haben noch keinen griffigen Namen") außerdem so, wie sie ursprünglich landläufig bezeichnet wurden: OP-Masken. Womit weitere Fragen aufgeworfen sind, die in Maskenländern oder solchen, die welche werden könnten, kaum gestellt werden. Zum einen ist die Ware eigentlich zur Einmalbenutzung vorgesehen. Und vor allem gibt der Weltmarkt nach dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage die Regeln vor: Wenn beispielsweise in Österreich für jeden Tag rund vier Millionen Stück eingekauft werden, treibt das den ohnehin schon hohen Preis in der globalisierten Welt weiter nach oben. EntwicklungshelferInnen warnen vor den Auswirkungen solcher Preissprünge für die Beschaffung in armen Ländern Afrikas oder Asiens.

Apropos Asien: Bisher war Diktatoren wie Chinas Präsident Xi und Demokraten in Südkorea oder Japan vorbehalten, sich in Grippezeiten oder bei katastrophal schlechten Luftwerten seit der Sars-Epidemie 2002 mit dem Mund-Nasen-Schutz volksnah und vorbildlich in der Öffentlichkeit zu zeigen. "Während asiatische Experten raten oder anordnen, Masken zu tragen, um sich sozial verantwortlich zu verhalten", hieß es noch Mitte März in einer kulturwissenschaftlichen Vergleichsstudie über kulturelle Traditionen, "empfehlen westliche Experten ebenfalls mit moralischer Inbrunst, keine zu kaufen und zu tragen, weil sonst das medizinische Personal, das sie unbedingt im Gegensatz zu den normalen Menschen benötigt, in Probleme geraten könnte, sich nicht ausreichend schützen zu können." Spätestens wenn sich die ExpertInnen der Leopoldina durchgesetzt haben, wird diese Erkenntnis Geschichte sein.

Masken helfen, Fehler zu vertuschen

Das bisher überzeugendste Beispiel für die Instrumentalisierung der emotionalen und emotionalisierenden Problematik lieferte Österreich. "Ein Schelm, der Böses dabei denkt", schrieb der Wiener "Standard" dieser Tage, als Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖPV) entschied, das ganze Land mit einer Diskussion über den Mund-Nasen-Schutz zu überziehen. Denn: In der Alpenrepublik strebte die Debatte um die Versäumnisse rund um Ischgl und andere Skigebiete einem neuen Höhepunkt zu. In einzelnen Tagesschritten legte der "Spiegel" Verfehlungen, Verstrickung und Vertuschungsmanöver dar. Seit allerdings die Masken Thema sind, dreht sich im Boulevard-Journalismus alles um die Frage, wie sie beschafft, verteilt und verwendet werden sollen. Ob und wie sinnvoll sie sind, gilt als Nebensache. Und die Causa Tirol ist praktischerweise aus den Schlagzeilen verschwunden.

Der Ausstieg

Vorsichtige Ausstiegsentscheidungen sollen nach Ostern fallen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der am 7. April in der teils virtuellen, teils realen Sitzung des baden-württembergischen Kabinetts zu Gast war, entwickelte schon mal eine Prioritätenliste. Am wichtigsten sei ohne Zweifel, sich den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen: "Wir müssen fragen, was muss sein, und wo sind die Risiken am größten." Wasen-Fans wird schmerzen, dass er das Cannstatter Volksfest in die zweite Kategorie reiht. Schon erkennbar ist, dass auch in Baden-Württemberg kleine Einzelhändler am ehesten wieder öffnen dürfen. Denn nicht nur der Ettlinger FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Jung beklagt – gerade mit Blick auf Ostern – irreparable Wettbewerbsverzerrungen und "einseitige Verbote", wie er in einem Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann schreibt. Woran sich aber angesichts der Entwicklung der Krise, kontert der Grüne, nichts ändern lässt. Und er machte deutlich, dass für alle Produktionsunterbrechungen die Unternehmen selber verantwortlich sind, weil die Politik in diesem Bereich gar nichts angeordnet hat. Also müssen Porsche und Bosch, Daimler oder Stihl über den Wiedereinstieg ebenso entscheiden. Mit und ohne Maske.  (jhw)

Überhaupt zeigt sich in mehreren europäischen Ländern, wie sich Gesellschaften verändern, wenn die vermeintliche Kleinigkeit auf dem Weg durch die Krise und wieder heraus von oben verordnet wird. In Tschechien verstehen viele Hilfsbereitschaft als die Fähigkeit und den Willen, Masken zu nähen. Der Gruppendruck steigt immer weiter, vor allem auf Frauen natürlich. In der Slowakei hat sich die neue Präsidentin Zuzanna Caputova schon Mitte März einen Mund-Nasen-Schutz nähen lassen, passend zum Kleid, das sie zu ihrer Vereidigung trug, ebenso wie Handschuhe, um wie es ausdrücklich hieß, für Schutzausrüstung auch im Alltag zu werben. Ganz so, als wüssten nicht wirklich alle, die sich mit Corona befassen, wie knapp Anzüge, Einmalhandschuhe oder Brillen sind und dass sie medizinischem oder anderem Fachpersonal vorbehalten bleiben müssen.

Die Slowakei ist übrigens, weitgehend unbeachtet von der europäischen Öffentlichkeit, bereits wieder zurück in Richtung Normalität. Seit Anfang April haben fast alle Läden wieder geöffnet. In bestimmten Bereichen gilt Handschuhpflicht, und Mundschutz muss beim Verlassen der eigenen Wohnung ausnahmslos getragen werden.

In solch einem Spannungsfeld wird sich die Gesellschaft in der Bundesrepublik ebenfalls bewähren müssen. Bisher sind Solidarität und Zusammenhang bemerkenswert, gerade angesichts von eklatanten Unterschieden beim Grad der Betroffenheit. So sind beispielsweise laut RKI in Bayern 22 Menschen auf 10.000 EinwohnerInnen infiziert, in Baden-Württemberg 19, in Mecklenburg-Vorpommern aber nur drei. Im Zuge der ersten Lockerungen wird sich zeigen, ob und wie solche Fakten die Realität bestimmen oder Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nicht doch wieder nach dem Motto "Mir san Mir" voranprescht und bisherige Überzeugungen über Bord wirft.

Gerade Söder steht für besonders wandelbar und vermittelt einen Vorgeschmack auf zu erwartende Brüche. Gerade noch hielt er wenig vom Mund-Nasen-Schutz, zumal allein Deutschland "am Ende Milliarden Stück brauchen würde". Das Stück übrigens für rund einen Euro auf dem Weltmarkt. In der Karwoche und per "BILD-Breaking-News" schwenkte er um: "Natürlich wird es eine Verpflichtung geben." Und die ersten Bilder, ganz nach Böckers Vorbild, vom wackeren Franken mit Mund-Nasen-Schutz werden sicher nicht lange auf sich warten lassen. Vielleicht sogar abgestimmt auf Jahreszeit und Janker, weil die Schule X gar nicht anders konnte als zu nähen für den Landesvater.


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3 Kommentare verfügbar

  • gesders
    am 08.04.2020
    Antworten
    wie beim katalysator: der EIGENE dreck wird gefiltert - fuer die anderen.
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 6 Stunden
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