Wie langmütig der Ministerpräsident mit seinem jeweiligen Koalitionspartner umgeht, ist spätestens seit den hektischen Tagen vor der Volksabstimmung über Stuttgart 21 im Herbst 2011 bekannt. Die SPD reizte die und den Grünen mit vielen Nadelstichen. Erst als der rote Fraktionschef Claus Schmiedel in der Pro-Kampagne gemeinsame Sache machen wollte mit CDU und FDP, rumste es zum ersten Mal richtig in der noch jungen Landesregierung. Kretschmann schwoll noch Monate später die Ader, wenn er auf das grobe Foul zu sprechen kam, das auch noch allen Vereinbarungen widersprach.
Noch ist die Stimmung, diesmal zwischen Grünen und Schwarzen, spürbar weniger aufgeheizt als vor acht Jahren rund ums S-21-Plebiszit. Dennoch sah sich der Regierungschef schon mal zu einem – seltenen – öffentlichen Tadel aufgerufen. "Ob es jetzt die klügste Entscheidung war, eineinhalb Jahre vor der Wahl eine Spitzenkandidatin zu benennen, will ich mal bezweifeln", so Kretschmann in einem Zeitungsinterview Mitte Dezember. Denn durch die Nominierung sei "unausweichlich ein Wahlkampfmodus" entstanden, in dem sich Susanne Eisenmann jetzt befinde. Das könne es aber nicht sein und er nur hoffen, "dass der Druck noch einmal etwas rausgeht".
Geschehen ist allerdings eher das Gegenteil. Altbekannte OffensivspielerInnen der CDU agieren, als säßen sie wieder auf Oppositionsbänken. Am vergangenen Freitag hat sich Baden-Württemberg in Berlin im Bundesrat bei der Abstimmung über ein hochumstrittenes Gesetz aus dem Hause von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) der Stimme enthalten. In Stuttgart greifen Nicole Razavi und Thomas Dörflinger zu schwerem Geschütz: Von einem "Offenbarungseid" sprechen die Landtagsabgeordneten, weil "unser Koalitionspartner im Land nicht bereit war, der Initiative des Bundes zuzustimmen, nach welcher der Bundestag große Infrastrukturprojekte unbürokratisch beschließen kann".
CDU-Spitzenkandidatin voll im Wahlkampfmodus
Dabei ist es alter und allseits geübter Brauch, dass regierungsinterne Uneinigkeit Stimmenthaltung in der Länderkammer zur Folge hat. Zudem ist entlarvend, wie unreflektiert die beiden Fachpolitikerinnen der CDU-Fraktion Umweltverbände und Initiativen ihrer Klagerechte berauben würden. Wie leichtfertig sie über verfassungs- und europarechtliche Bedenken hinweggehen. Und insbesondere wie sachdienliche Hinweise von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) geradezu routinemäßig unbeachtet bleiben.
Die Gäubahn, die Eisenmann gern in die Liste der Großprojekte per Gesetz aufnehmen lassen möchte, hat Baurecht zwischen Horb und Neckarhausen. Bund und Bahn bauen aber nicht, konnten sich lange Zeit nicht über die Finanzierung verständigen. Inzwischen ist klar, dass es mit dem ersten Abschnitt ab 2021 losgeht. Andere Abschnitte sind allerdings nicht einmal in der Planung. Die Aufnahme des Projekts in Scheuers Katalog der bisher sieben Schienen- und fünf Wasserstraßenbaumaßnahmen wäre also wenig zielführend: Der Bundestag könnte das Projekt zwar verabschieden, wenn das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz irgendwann wirklich Realität würde – nur beschleunigt wäre es damit noch lange nicht.
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