Thomas Strobl zieht einen alten Spruch besonders gern aus dem Zettelkasten, um seine Prioritäten bei der politischen Entscheidungsfindung zu illustrieren: "Erst kommt das Land, dann die Partei und dann die Person." Das Zitat, eigentlich von Erwin Teufel, ist gerade hochaktuell. Bernhard Vogel, einst Regierungschef in Rheinland-Pfalz und dann in Thüringen, begründet damit seine Unterstützung für Gespräche mit Bodo Ramelow. Denen sollte sich seine Partei "nicht versagen", zitiert die "Thüringer Zeitung" den 87-Jährigen, der aber zugleich eine Koalition ausschließt.
Aus Rheinland-Pfalz kommt auch CDU-Vize Julia Klöckner, die zu jenen ParteifreundInnen zählt, die schon der Gedanke an irgendeine Form der Kooperation zwischen CDU und Linken mit Grausen erfüllt. Schließlich propagiere letztere in ihrem Thüringer Wahlprogramm "die Rückkehr zum Sozialismus". Erschreckend sei, sagt sie gerade an die Adresse der mysteriösen Mitte der Gesellschaft, von der jetzt so viel die Rede ist, wie links und rechts "zwei Extreme auf fruchtbaren Boden fallen". Das müsse erst einmal in Ruhe analysiert werden, denn "ein paar Stunden danach eine komplette Theorie zu haben, das würde uns als Politiker und Sie als Journalisten überfordern".
Nicht wirklich: Die komplette Theorie zum Vorgehen der CDU ist so durchschaubar wie Plexiglas. In unregelmäßigen Abständen werden die immer gleichen Töne angeschlagen. Im Vertrauen darauf, dass in Vergessenheit geraten ist, wie geschmeidig nach der Wende die Überführung der dem DDR-Staatssozialismus anhängenden Schwesterparteien funktioniert hat. Und mit dem Kalkül, dass bei der Linken irgendwas hängen bleibt vom alten Hautgout der roten Socken. Selbst an einem evangelischen West-Import mit Gewerkschaftskarriere wie Bodo Ramelow. Dabei scheint der Zweck die Mittel zu heiligen, auch die Klöckners. Denn die Rückkehr zum Sozialismus steht gar nicht im Wahlprogramm der Linken.
"Womöglich nicht ganz dicht"
In den Programmen, sogar im 2011 in Erfurt verabschiedeten Grundsatzprogramm, finden sich statt dessen ganz andere Sachen. Solche, die CDUler, allen voran Mike Mohring, der Thüringer Landeschef und Auslöser der entlarvenden Aufregung, sofort unterschreiben könnten: "Unternehmerinnen und Unternehmer, die die Risiken der Selbstständigkeit tragen und in den bei uns überwiegend kleinen und mittleren Betrieben wirken, ermöglichen Beschäftigung, Ausbildung und Innovation. Sie brauchen Unterstützung beim Wachstum, weniger Bürokratie und Hilfe bei der Unternehmensnachfolge."
Nie wird der Begriff "Sozialismus" ohne das entscheidende Adjektiv "demokratisch" verwendet. Das unterschlagen CDU und FDP geflissentlich, immer in der Hoffnung, dass das Publikum den Bogen schlägt zum alten DDR-Sozialismus. Das wiederum soll die Gleichsetzung der "Linken" mit dem AfD-Landesverband rund um Björn Höcke rechtfertigen. Dabei wird in dessen Wahlprogramm, ein Beispiel von vielen, schwadroniert über die in Thüringen "günstigen Rahmenbedingungen", die eine "in Teilen linksextreme Landesregierung vorfindet, um über eine Veränderung des Staatsvolks ihrer ideologischen Wahnvorstellung einer multikulturellen Gesellschaft näher zu kommen".
Mohring will weiterhin Gespräche führen mit Ramelow. Einige schwarze Granden aus dem Norden und Westen finden das öffentlich gut. Manuel Hagel hingegen, Generalsekretär der baden-württembergischen CDU, hält alle, die "an dieser Stelle offen" sind, für "womöglich nicht ganz dicht". Es sei "grotesk", Gemeinsamkeiten mit der Linken zu suchen. Einer seiner vielen Kommentatoren widerspricht: "Wer lieber ein absolutes Chaos möchte, bevor man geschaut hat, ob man eine gemeinsame Lösung findet, ist wohl eher nicht ganz dicht." Bei aller Abneigung "gegen 'die Linke'", schreibt ein anderer, "so einen schlechten Job hat der Bodo jetzt auch nicht gemacht in Thüringen. Ähnlich wie Kretschi bei uns in BW".
CDU setzt auf Kampfparolen
Die Spitze in Baden-Württembergs CDU befeuert die andere Tonlage. "Ich habe für derartige machtpolitische Überlegungen keinerlei Verständnis", sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann. Die Linke stehe für Enteignungen und habe den Sozialismus im Parteiprogramm stehen – das widerspreche der Grundüberzeugung in der CDU. "Mir sträubt sich wirklich alles, wenn ich an eine Zusammenarbeit denke", ergänzt Thomas Strobl, "in ein paar Tagen feiern wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls – und dann darüber nachdenken, mit den SED-Nachfolgern zu paktieren?"
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Ruby Tuesday
am 03.11.2019