KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Nett, charmant und wenig trittsicher

Nett, charmant und wenig trittsicher
|

Datum:

Sie ist herzlich und freundlich, sie ist emsig, aber fremd geblieben in der Politik. Seit ihrem Blitzaufstieg 2016 schlingert Nicole Hoffmeister-Kraut als erste Wirtschaftsministerin des Landes durch viele der komplexen Aufgaben – mit fatalen Folgen. Nicht nur beim Megathema Wohnungsbau.

Ein Satz wie ein Upper-Cut: "Die Wirtschaftsministerin sekundiert." Das schreibt die "Stuttgarter Zeitung" zum nicht enden wollenden Streit um die Vergabe der Batteriefabrik durch Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Keine Neben-, sondern die Hauptrolle in der Berichterstattung über die zweifelhafte Standortfindung spielt CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann. Sie hält die eine Parteifreundin – die im Bund – für "nicht mehr tragbar, wenn sich die im Raum stehenden Vorwürfe bestätigen, worauf alles hindeutet." Und der anderen – der im Land – nimmt sie ungeniert die Butter vom Brot.

Monatelang hatte Nicole Hoffmeister-Kraut sich darum gemüht, dass der Südwesten den Zuschlag für die Fabrik bekommt. Ihr Haus erarbeitete ein in der Fachwelt hochgelobtes Konzept rund ums Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Ulm. Die Landesregierung wollte Grundstück und Gebäude zur Verfügung stellen und kurzfristig 100 Millionen Euro locker machen. Die Bundesregierung bezuschusst das Projekt sogar mit der fünffachen Summe, immerhin geht es um rund 300 Arbeitsplätze. Dann gab Karliczek dem westfälischen Münster den Vorzug, praktischerweise ein Standort in unmittelbarer Nähe ihres Wahlkreises, den allerdings Fachleute für den weniger geeigneten halten. 

Nicht einmal in ihrer Kritik daran darf Hoffmeister-Kraut selbstständig agieren. Denn entweder muss sie, naturgemäß und wie so oft, Winfried Kretschmann den Vortritt lassen – oder aktuell der Kollegin Eisenmann. Diese Hackordnung wird sich verfestigen in der CDU, je näher der Landtagswahlkampf rückt. Denn die Kultusministerin kann gar nicht anders, als im Bemühen um Aufmerksamkeit und zur Erweiterung des eigenen Themenspektrums auf ressortfremdem Terrain zu wildern. Geradezu zwangsläufig wird sie damit Hoffmeister-Kraut treffen, wegen ihren vielen Zuständigkeiten von A wie Arbeit bis Z wie digitale Zukunft. Denn: Wer wie Eisenmann demnächst das Land regieren will, muss Wirtschaftskompetenz an den Tag legen.

Als Beleg für die Gestaltungskraft seiner an den Kabinettstisch zurückgekehrten Partei hatte CDU-Landeschef Thomas Strobl am Ende der Koalitionsverhandlungen 2016 den Griff nach dem wieder eigenständigen Ressort gewertet wissen wollen. Zudem dieses "durch zusätzliche Kompetenzen deutlich gestärkt" worden sei. Dann präsentierte er Hoffmeister-Kraut, Mitglied der berühmten Balinger Waagen-Dynastie Bizerba, als "Sensation", als "die Fachfrau mit nationaler und internationaler Erfahrung" – eine Blitzbeförderung für die damals 43-Jährige, die zu diesem Zeitpunkt erst sieben Jahre Erfahrung in der Politik sammeln konnte.

Der erste Tritt ins Fettnäpfchen ließ nicht lange auf sich warten

Skepsis gegen die Personalie ist bis heute nicht ausgeräumt. Von einem Geburtsfehler spricht einer, der häufig mit Hoffmeister-Kraut zusammenarbeitet, weil sie eben gerade keine Unternehmerin sei, "sondern Erbin", und das führe zu einem anderen Blickwinkel. Erst 2009 tritt sie in die CDU ein und wird noch im gleichen Jahr Stimmenkönigin bei der Kommunalwahl in Balingen. Sechs Jahre später gewinnt sie überraschend, aber auch denkbar knapp im dritten Wahlgang die KandidatInnenkür für die Landtagswahl. Als "gut ausgebildete Frau der Wirtschaft" hatte sie sich der Basis vorgestellt, als Politikerin, die weiß, "wie man Menschen hinter sich bringt und Mehrheiten gewinnt". Der Wahlkampf zeigt, dass eine in der eigenen Region allseits bekannte Herkunft längst nicht alles ist. Mit einem Minus von 17 Prozent für ihre Partei und dem hauchdünnen Vorsprung von 0,4 Punkten vor den Grünen rettet sie das Direktmandat. Am späten Wahlabend ein erleichterter Stoßseufzer: "Ich freue mich auf meine Arbeit als Abgeordnete."

Vielleicht wäre es in ihrer ersten Legislaturperiode im Landtag dabei besser geblieben, gerade angesichts der zusätzlichen Kompetenzen, die die Union den Grünen abverhandelte. Verkehrsminister Winfried Hermann muss der Neuen am Kabinettstisch Zuständigkeiten beim Thema Infrastruktur abgeben. In ihrem "Regierungsprogramm 2016 bis 2021" hatte die CDU in Aussicht gestellt, "die Verschärfungen der Landesbauordnung, wie etwa die verpflichtende Einrichtung von Fahrradstellplätzen, rückgängig zu machen." Daraus geworden ist wenig.

Genauso wie aus dem Versprechen, das gesetzliche Arbeitnehmerrecht auf Bildungszeiten zurückzudrehen. Schlecht oder gar nicht beraten von all den schwarzen Politprofis um sie herum, holte sich die Ministerin mit Letzterem gleich nach Amtsantritt die erste ordentliche Abfuhr. "Wir wollen erreichen, dass sich der Bildungsurlaub auf betriebsbezogene Fortbildungen konzentriert", sagt sie, obwohl schon der schräge Begriff "Bildungsurlaub" dessen BefürworterInnen auf die Barrikaden treibt. Vor allem aber ist damals die Tinte unterm Koalitionsvertrag noch nicht trocken, der eine Novellierung in zwei Jahren vorsieht. Ein paar Wochen kämpft sie dennoch ihren aussichtslosen Kampf, dann fügt sie sich.

An Eifer mangelt es nicht

Sie habe nicht Nein sagen können, als ihr das Ministeramt angeboten wurde, erzählt sie nach den ersten Schrammen, bei einem Sommerfest ihres Hauses. Dann schiebt sie ein "gerade als Frau" hinterher. Stimmt, der Nachholbedarf in der CDU ist noch immer riesig – und entsprechend groß der Druck. Bis heute heißt es in der Landtagsfraktion, sie sei von Strobl nur geholt worden, "weil sie zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war." Eine "Quotenfrau ohne Quote" nennt sie einer der innerparteilichen Kritiker, die in der Deckung bleiben wollen. Auch offizielles Lob kann vergiftet sein: "Wir fühlen uns mit unseren Anliegen von Frau Dr. Hoffmeister-Kraut weit besser verstanden als von manchen Amtsvorgängern", attestiert ihr Südwestmetallchef Stefan Wolf zum ersten Jahrestag ihrer Ernennung. Wolf ist Parteifreund und weiß genau, dass seit dem Abgang des Reutlingers Hermann Schaufler in den Neunzigern kein Wirtschaftsminister im Land mehr der CDU angehört hat. Wieso also "manche", warum nicht "alle"?

Das Ressort war ein Vierteljahrhundert in der Hand von SPD oder FDP, was es doppelt schwer macht. Hausmacht sieht ganz anders aus. Und vor allem, ein weiterer Konstruktionsfehler, sämtliche Vorgänger der früheren Dressurreiterin mit Meistertiteln im Nachwuchsbereich waren zugleich stellvertretende Regierungschefs. Dennoch klagten sie gern über ihre von EU und Bund "eng beschnittenen Kompetenzen" (Walter Döring, FDP) eines Landeswirtschaftsministers. Dieser Mangel sei "durch Diensteifer nicht auszugleichen".

An Letzterem würde es nicht mangeln bei der ersten Frau im Amt. Unermüdlich bereist sie Stadt- und Landkreise, eröffnet Kongresse und Foren, verleiht Auszeichnungen, übergibt Förderbescheide, kümmert sich um den Mittelstand, um Start-ups und Frauen in MINT-Berufen, wühlt sich in komplexe Fragen von Künstlicher Intelligenz und Industrie 4.0, wirbt für Baden-Württemberg auf anderen Kontinenten, führt Gespräche, steht Allianzen vor. Dazu finde "gefühlt jede Woche ein Gipfel" statt, sagt ein Verbandsvertreter, "was die Zeit für inhaltliche und ergebnisorientierte Arbeit nur noch weiter begrenzt."

Wegbegleiter raten ihr, sich "endlich freizuschwimmen"

Trittsicher wirkt sie vor allem im Zwischenmenschlichen, sonst oft übertrainiert, manchmal verloren. Sie lässt sich schubsen und coachen, übt TV-Interviewbausteine ein, bekommt Sprechzettel in die Hand gedrückt, wo sie doch längst frei reden könnte. Wie an diesem Montag in Stuttgart-Giebel, nach einem Rundgang durch das Wohnquartier der Baugenossenschaft Neues Heim eG. Sie müsste nicht ablesen, was sie zum Thema zu sagen hat, tut es aber doch. "Alles würde stimmen", sagt einer, der sie durch die zahlreichen Treffen der Wohnraum-Allianz begleitet, "könnte sie sich nur endlich freischwimmen."

Das wiederum ist allerdings nicht gerade wenig verlangt, wollte die CDU im Wahlkampf doch den Wohnungsbau "kraftvoll anstoßen". Erfüllbar ist das aber kaum, wie auch die von Hoffmeister-Kraut selber präsentierten Zahlen von Prognos aus dem Jahr 2017 zeigen: Bis 2030 müssten demnach jedes Jahr rund 1500 sozial gebundene Wohnungen neu entstehen. In den vergangenen beiden Jahren waren es zusammen gerade mal tausend. Auch die Hoffnung, die sie in genossenschaftliches Bauen setzt, kann sich nicht erfüllen. In Giebel werden 70 Prozent der 335 Neubauwohnungen an Mitglieder vergeben, die in einem der nach und nach abgerissenen alten Blöcke lebten. Und dass der Begriff "bezahlbar" selbst direkt an der Stuttgarter Stadtgrenze noch lange nicht leistbar heißen muss, belegen die zehn Euro fünfzig kalt pro Quadratmeter. "Das funktioniert für eine junge Familie nur mit zwei Verdienern", sagt ein Genossenschaftsexperte am Tisch. Die Ministerin rühmt derweil die Einheiten als so schön, dass sie sogar selber einziehen würde.

Es ist schlechter Brauch in der CDU, Frauen, die anerkannt sind und erfolgreich, aus ihren Zusammenhängen zu reißen. Gerdi Staiblin war mehr als zehn Jahre Vorsitzende der Landfrauen, als Erwin Teufel sie 1996 zur Ministerin für Ländlichen Raum machte. Sie hat viel bewegt, mit dazu beigetragen, dass die Grünen heute sagen können, Teile der Forderungen im bayerischen Bienen-Volksbegehren seien in Baden-Württemberg längst erfüllt. "Auf eigenen Wunsch zog sie sich nach der Landtagswahl 2001 aus der Politik zurück", heißt es in einem dürren Lebenslauf. Nicht einmal ein Landtagsmandat mochte ihr ihre Partei zugestehen. Oder die Heilbronner Germanistin Johanna Lichy. Die hatte es zur CDU-Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat ihrer Heimatstadt gebracht, bis sie Frauenstaatsekretärin im Sozialministerium wurde – ebenfalls genau für eine einzige Legislaturperiode.

Die Zeiten sind andere geworden, und deshalb könnte gut sein, dass Hoffmeister-Kraut sich häutet und durchbeißt. "Sie agiert nicht wie ein Politprofi", urteilte Ex-Staatssekretär Dietrich Birk einmal über die Parteifreundin. Wohlwollend, versteht sich, aber nicht ohne Unterton. Solange Männer sich den nicht verkneifen, haben es Quereinsteigerinnen an der Spitze eines Ministeriums immer schwer – und in der CDU ohnehin.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • Michael Maier
    am 11.05.2021
    Antworten
    Sie ist eine ausgezeichnete Ministerin, die sich in schweren Corona-Zeiten teilweise erfolgreich für den Mittelstand stark macht und auch parteiintern Rückgrat zeigt. Das ist in der Politik leider sehr selten, gerade in der CDU. Beim Handling des Ministeriums dürfte es sehr helfen. Vielleicht hat…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:




Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 14 Stunden
Alles gut


Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!