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Radeln mit Andi

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Radfahrer sind todesmutig, sobald sie auf deutschen Straßen unterwegs sind. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will mit neuen StVO-Geboten nun zu ihrem Schutzpatron werden.

Eigentlich war nur etwas fürs Frühstück zu besorgen. Doch die Fahrt zum Bäcker wurde – mal wieder – zum Höllentrip. Bereits auf dem ersten Kilometer attackierte mich ein zähnefletschender Vierbeiner, dessen Herrchen seinen Liebling an der langen Leine hatte. Von wegen, der will bloß spielen. Auch ohne Biss sind solch tierische Begegnungen immer ein Sturzrisiko, verschärft durch den fatalen Katapulteffekt, der dem Radfahrer beim Verheddern in Hundeleinen droht. Auf einem „gemeinsamen Rad- und Fußweg“ kurz darauf das klassische Ausweichdrama: Ein Fußgängerpärchen reagiert auf meine StVO-konforme „helltönenden Klingel“ nicht und weicht erst in kritischer Kollisionsdistanz aus – die rechtsgehende Dame nach links und ihr linksgehender Begleiter nach rechts. Ergebnis: Vollbremsung.

Ob dieses Phänomen, dass aufgeschreckte Menschen in gegensätzliche Richtungen drängen, schon psychologisch ergründet wurde? Von diesem Paar gab´s statt Antworten nur Beschimpfungen: „Unverschämter Raser!“ Auf den letzten Metern trifft nochmals Glück auf Unglück: Ein Paketauslieferer, in sein Handy vertieft, übersieht das Verkehrszeichen 206 – achteckig, rot mit weißer Schrift. Von wegen „Halt! Vorfahrt gewähren.“ Der gute Mann rauscht ungebremst über die Kreuzung. Und last but not least öffnet sich in einer Parkbucht neben dem Radstreifen unvermittelt eine Autotür.

Andreas Scheuer ist jetzt auch Fahrradminister

Ortswechsel: In einem Youtube-Video radelt ein smarter Mann entspannt der Kamera entgegen. Kein Fußgänger kreuzt den Weg, weder rasen Pakettransporter durch die Szenerie, noch parken dort Autos, in deren Türen Radler krachen könnten. Das Set lässt vermuten, dass als Drehort ein abgesperrter Hinterhof gewählt wurde. Die lockeren Zurrgurte des schief sitzenden Schutzhelms legen nahe, dass sein Träger selten mal mit dem Rad unterwegs ist. „Ich bin Verkehrsminister und damit auch Fahrradminister“, outet sich der Hauptdarsteller als Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. In den folgenden anderthalb Minuten preist der CSU-Mann, was man dem vielfach als „Autominister“ titulierten nicht zutrauen würde: „Die größte Radreform seit 20 Jahren“.

Vor ein paar Wochen habe er auf dem nationalen Radverkehrskongress in Dresden zugesagt, die Straßenverkehrsordnung zu novellieren und entsprechende Vorschläge bis Pfingsten vorzulegen. „Versprochen – gehalten!“, klärt der behelmte Scheuer die Zuschauer über seine Vorlage von Anfang Juni auf. „Klare Regelungen“ sollen nun den Radverkehr stärken und dafür sorgen, dass „Radfahren zügig spürbar attraktiver und sicherer wird“. Schließlich sei das Rad gleichberechtigter Teil des Straßenverkehrs, „das muss sich auch in der Straßenverkehrsordnung StVO widerspiegeln.“ Da könnte man meinen, es folgen so etwas wie die zehn Gebote, die Deutschland zu einer glorreichen Radfahrnation machen sollen. Zumindest ein bisschen.

Reformbedürftig ist die StVO durchaus. Denn das im Jahr 1934 in seiner Urform als „Reichs Straßenverkehrs Ordnung“ erlassene Regelwerk atmet schon lange genug den Geist jener Zeiten, in denen Autos als schillerndes Zukunftsversprechen galten. Und in denen das Prinzip Freie Fahrt für freie Bürger Denken und Gesetzgebung deutscher Bundesverkehrsminister, viele davon mit bayerisch-christsozialen Wurzeln, prägten.

Die neue StVo ist zu lasch 

Dabei enthält die deutsche StVO-Historie allerlei Kurioses, wenn man aktuelle Entwicklungen und heutiges Wissen als Maßstab anlegt. So entfielen etwa mit der Novelle im Jahr 1953 sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen in der noch jungen Bundesrepublik. Bis zum 31. August 1957 durfte in geschlossenen Ortschaften wie auch außerhalb so schnell gefahren werden wie man konnte! Die Gnade der frühen Rasergeburt. Mit der Veränderung der gesellschaftlichen Sicht auf Mobilität und dem scheinbar selbst in Unionsköpfen angekommenen Klimawandel stieg offenbar der Adaptionsdruck auf Minister Scheuer, Verkehrsmittel wie das Fahrrad stärker in der StVO zu berücksichtigen.

Spätestens im kommenden Jahr sollen ein generelles Halteverbot auf Schutzstreifen, ein Mindestüberholabstand von 1,5 Metern für Kraftfahrzeuge, die Möglichkeit zur Einrichtung von Fahrradzonen und zur Anordnung von Überholverboten von Radfahrerenden sowie die Schrittgeschwindigkeit für rechtsabbiegende Lkw in der StVO stehen. „Wir werden nun damit auf die Länder zugehen, damit diese für den Radverkehr wichtigen Maßnahmen schnellstmöglich in Kraft treten können“, verspricht der Fahrradminister, mit Überschallgeschwindigkeit in die Gesetzgebungspedale zu treten.

Fahrradverbände und Verkehrssachverständige begrüßen die StVO-Novellierung zwar. Doch die Begeisterung hält sich in Grenzen. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) vermisst unter anderem größere Handlungsmöglichkeiten für Kommunen, dem Radverkehr mehr Platz im Straßenraum einzuräumen. Die Vorschläge des Ministers seien ein guter Anfang, „dennoch fehlt der große Wurf, der es Städten ermöglicht, den Platz zugunsten des Fahrrads neu aufzuteilen“, sagt ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork. Es gebe immer noch zu viele Hürden für die Einrichtung von geschützten Radwegen und Fahrradstraßen.

Vieles, was Scheuer jetzt plane, sei längst überfällig, sagt der Verband. Und manches zu zaghaft. So seien das generelle Halteverbot auf Schutzstreifen und die Erhöhung der Bußgelder ein überfälliger Schritt. „Höhere Bußgelder müssen aber auch für Radfahrstreifen und bauliche Radwege gelten, nicht nur auf Schutzstreifen“, fordert der Interessenverband, den Tatbestand weiter zu fassen.

„Knolle statt Knöllchen“

Um wie viel die Bußgelder steigen sollen, verrät der radelnde Scheuer bezeichnenderweise nicht. So ist Deutschland bis heute für Falschparker europaweit ein Schnäppchenparadies. Illegales Parken auf Geh- und Radwegen kommt mitunter preiswerter als Parkgebühren zu bezahlen: schlappe 20 Euro zahlen Falschparker. Genauso viel kostet es, den Wagen „schnell mal“ in zweiter Reihe abzustellen. Immer vorausgesetzt, man wird dabei erwischt. Denn der Kontrolldruck ist in vielen Städten zu schwach, wie Rad- und Fußgängerinitiativen beklagen.

Ganz anders die Situation in den Niederlanden, die bekanntlich als progressives Fahrradland gelten: Dort werden 90 Euro bei Geh- oder Radwegparken fällig. 220 Euro kostet es gar, das Fahrzeug in zweiter Reihe zwischenzuparken. Am rigorosesten gegen Geh- und Radwegparker gehen übrigens Schweden (114 Euro), Spanien (100 Euro) und die Schweiz (98 Euro) vor.

„Knolle statt Knöllchen“, fordert ein Bündnis aus zwölf Verbänden aus Umweltschutz, Verkehr, Fahrradindustrie, Verkehrssicherheit, Carsharing sowie für Menschen mit Behinderungen von Verkehrsminister Scheuer. Das Bußgeld für Falschparker müsse hierzulande noch in diesem Jahr auf mindestens 100 Euro erhöht werden – plus einen Punkt in Flensburg. Die gleichnamige Online-Petition unterstützen bereits über 32 000 Menschen.

Aus Sicht des ADFCs bedarf es zudem der Abschaffung des Begründungszwangs für manche Typen von Radverkehrsanlagen, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, der erleichternden Einrichtung von Fahrradstraßen, der Verpflichtung zur Einrichtung von Radwegen an allen Straßen über Tempo 30. Außerdem: Vorrang für die Einrichtung dieser Wege und Straßen vor Kfz-Parkplätzen.

„Minister Scheuer muss an einigen Stellen nochmal nachlegen – und schnell an das übergeordnete Straßenverkehrsgesetz ran. Dort muss er festschreiben, dass nicht mehr die Flüssigkeit des Autoverkehrs alleinige Priorität hat, sondern die Gleichstellung aller Verkehrsarten und das Ziel ‚Vision Zero’, also null Tote im Straßenverkehr“, sagt ADFC-Bundesgeschäftsführer Burkhard Stork. Es sei nicht mehr zeitgemäß, Klima, Umwelt und Gesundheit dem Primat des motorisierten Verkehrs unterzuordnen. Wahre Worte.

Die Stimme ist zittrig, die Kniee weich - „Vier Croissants und vier Brezeln bitte“, sage ich. Radfahren ist schön, macht fit und zufrieden, schont Umwelt und Klima. Aber: es ist lebensgefährlich. Das bestätigt die Statistik. Seit mehr als 20 Jahren ist die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland stetig gesunken. Von 8549 Getöteten im Jahr 1997 auf 3180 im Jahr 2017. Erst im vergangenen Jahr nahm die Zahl wieder zu. Knapp 100 Menschen mehr starben im Straßenverkehr. Der Grund: Die Zahl der tödlichen Radunfälle ist gestiegen. Während insgesamt weniger Autofahrer und Fußgänger getötet wurden, stieg die Zahl der toten Radler: 432 Menschen starben 2018 beim Radfahren. 50 mehr als noch im Vorjahr.

Ach ja, in einem weiteren Video bittet Fahrradminister Scheuer die „Experteninnen und Experten des Fahrradalltags“, Vorschläge und Ideen für die Zukunft des Radverkehrs in Deutschland zu unterbreiten. https://zukunft-radverkehr.bmvi.de/bmvi/de/home

Noch bis 30. Juni 2019 ist die Online-Beteiligung beim Nationalen Radverkehrsplan 3.0 möglich. https://zukunft-radverkehr.bmvi.de/bmvi/de/home/beteiligen


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2 Kommentare verfügbar

  • Beornnelm
    am 01.07.2019
    Antworten
    An den Regeln für Radfahrer sollte aber auch noch gewerkelt werden, vor Allem für die Raser in Fußgängerbereichen. Wenn ein Fahrrad bei ungebremstem Aufprall auf einen stehenden Pkw - auf dem Parkplatz eines Supermarktes - zentimetertiefe Beulen in Motorhaube und Kotflügel hinterlässt, möchte man…
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