Julius Evola überträgt, wie auch schon Ernst Jünger, dieses militärische Vorgehen auf politische Auseinandersetzungen und Kämpfe. Leben wir in einer "Epoche der Auflösung" und wissen wir, auf was die Zerstörungsprozesse gerichtet sind, nämlich die "bürgerliche Welt", die "bürgerliche Gesellschaft", dann gilt es nach Evola, diese Zerstörungsprozesse zu beschleunigen, auch wenn daraus keine Gewissheit über einen zu erringenden Sieg folgt. Akte der Gewalt, "direkte Aktionen", politische Morde und Terror erscheinen so als gerechtfertigte Mittel, um den ohnehin unausweichlichen Zerstörungsprozess zu beschleunigen. Und gerechtfertigt seien solche Mittel erst recht dann, wenn die Akteure, die "auserwählte Schar", sich selbst als "anders seiende Menschen" fühlen, sich "völlig außerhalb dieser Gesellschaft" wähnen und keine Forderung anerkennen, "sich in ein irgendwie geartetes, absurdes System einzufügen".
Doch halt! Genau dann nämlich, wenn sich terroristische Akteure in der Rechtfertigung von Gewaltakten so auf Evola berufen – und in Italien bezogen sich Ende der 1960er und in der ersten Hälfte der 1970er Jahre rechte, faschistische und linke Terrorgruppen rechtfertigend auf seine Schriften –, dann sagte Evola, solche direkten Gewalthandlungen habe er nicht gemeint. Denn in diesem Verständnis stünden die Akteure ja nicht außerhalb der Gesellschaft, die sie doch bekämpfen wollen, sondern seien immer noch verfangen in den Verhältnissen der Gesellschaft und deren politischem System. Seine Ausführungen seien meta-politisch gemeint und daher keine Handlungsanweisungen für politische Interventionen innerhalb des bestehenden politischen und gesellschaftlichen Systems.
Meta-Politik – in der Terminologie Evolas: Apolitea – meint kulturphilosophische und kulturpolitische Interventionen: Das Besetzen von Themenfeldern, das Uminterpretieren von Begriffen, die entdifferenzierende Zuspitzung von Problemen bis hin zu "fake news", das Entfachen ungezügelter Affekte (z. B. "thymotische Politik" (von altgriech. "Thymos", u.a. Zorn und Empörung): für die intellektuelle Schickeria vermittelt von Sloterdijk, für das Fußvolk von Marc Jongen) bis hin zum raunenden Gemurmel vom "eigentlichen Seyn", wie es seit Jahren etwa Botho Strauss vorführt. In diesen Bereich der Meta-Politik gehören aber auch esoterische Schriften, wie sie von Evola selbst verfasst und im Unterschied zu seinen politischen Arbeiten in Deutschland stärker rezipiert worden sind; etwa die "Metaphysik des Sexus" (1958), "Die Magie als Wissenschaft vom Ich. Theorie und Praxis des höheren Bewusstseins" (1955) oder "Das Mysterium des Grals" (1934). In diesen Schriften entwickelt Evola ein paganistisches, indogermanische Mythen verwendendes Weltbild. Sowohl gegen monotheistische Religionen und Theologien wie auch gegen atheistische Weltbilder (Sozialismus und Kommunismus) beschwört er hier organisch geschlossene und hierarchisch gestufte Ordnungen des Kosmos und des menschlichen Zusammenlebens. Zu diesen esoterischen und paganistischen Schriften gehört auch sein "Grundriss der faschistischen Rassenlehre" (1941). Denn mit Rasse ist bei ihm nicht eine bestimmte Ethnie oder ein bestimmtes Volk gemeint, sondern eine geistige Elite und Aristokratie, die als Einzelne in jedem Volk, zumindest jedem indoeuropäischen, gefunden werden könne – die Beschreibung der Entdeckung eines Jedi-Ritters hätte Evola in dieser Hinsicht bestimmt gefallen.
Die Nazis waren Evola nicht radikal genug
Evola war bekennender Faschist und war als solcher zumindest in Italien bekannt. Trotzdem wurde er auch von der aktionistischen Linken rezipiert und geschätzt. Um das verstehen zu können, ist ein Blick in seine Biographie hilfreich. Geboren 1898 als Giulio Cesare Andrea Evola gehörte er am Ende des Ersten Weltkrieges als Maler und Poet zum Kreis der Futuristen um Filippo Tommaso Marinetti, später dann zu den Dadaisten um Tristan Tzara. Aber schon Anfang der 1920er Jahre widmete er sich ausschließlich esoterischen Themen, sympathisierte mit dem Regime von Benito Mussolini und versuchte, wie andere Futuristen auch, politischen Einfluss in der faschistischen Bewegung zu gewinnen. 1931 knüpfte er, begeistert von Oswald Spenglers Schrift "Der Untergang des Abendlandes", Kontakte zu den "Konservativen Revolutionären" im Deutschen Reich, zur NSDAP und insbesondere zur SS, da er deren Ordensburgen als eine Möglichkeit der Ausbildung einer neuen Aristokratie verstand. Wie bei vielen Expressionisten im Deutschen Reich, die sich zunächst begeistert der NSDAP anschlossen, oder bei Futuristen, die anfänglich Mussolini unterstützten, setzte auch bei Evola sehr rasch Enttäuschung und Distanzierung ein. Diese Bewegungen und Regime seien nicht radikal genug in der Zerstörung der bürgerlichen Welt und könnten insbesondere die eigentlichen Ideen des Faschismus nicht umsetzen, befand Evola; eine Kritik, wie sie auch von Heidegger und Jünger geäußert wurde.
4 Kommentare verfügbar
Matthias Harre
am 03.07.2018