Wer lesen kann und will, ist im Vorteil. Das gilt auch für Wahlprogramme und die aktuellen Parteitagsbeschlüsse von Schwarzen, Roten und Gelben. Oder für Protokolle der Plenardebatten im Landtag. Wie an einer Perlenschnur reihen sich die Punkte aneinander, bei denen Kompromisse in schwarzrotgelben Koalitionsverhandlungen nahezu ausgeschlossen scheinen. Das Bildungszeitgesetz beispielsweise, das die SPD in der grün-roten Ära initiiert hat und auf das sie so stolz ist, wird von der FDP als "Bürokratiemonster" verächtlich gemacht, das sogleich abgeschafft werden muss.
Die Polizeireform, noch eine zentrale rote Errungenschaft der Jahre 2011 bis 2016, hat der FDP-Fraktionschef vor einem Jahr für offiziell gescheitert erklärt. Beim Frauenanteil an der Professorenschaft fallen die Liberalen sogar hinter die Union zurück: "Wir verfolgen das Ziel, dass bis zum Jahr 2021 ein Frauenanteil von mindestens 30 Prozent bei den Professuren erreicht wird", heißt es bei der CDU. Die FDP lehnt dagegen "starre Quoten und Zielvorgaben" ab. Die Sozialdemokraten wiederum verlangen per Programm nicht nur Quoten, sondern sogar "Sanktionen bei Missachtung".
Wie im Brennglas lässt sich die Unvereinbarkeit der Positionen in der Schulpolitik betrachten. Der Landesregierung hält der rote Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei regelmäßig vor, die Reformen der Vorgängerkoalition zurückzudrehen und abzuwürgen. "Die Grünen haben sich bildungspolitisch aufgegeben", so der Mannheimer Abgeordnete kürzlich im Landtag. Weil den "Fortschritts-Killern" im CDU-geführten Kultusministerium kein Einhalt geboten werde, will er künftig nur noch von "schwarz-grün" sprechen. Und mit diesen rückwärtsgewandten Schwarzen soll es trotzdem ein Dreierbündnis geben, das Winfried Kretschmann von der Macht vertreibt? SPD-Fraktionschef Andreas Stoch schließt den fliegenden Wechsel aus der Oppositionsrolle hin zu Schwarzen und Gelben nicht aus. Oder er tut bloß so, um für Unruhe zu sorgen.
Die Liberalen sind sofort dabei, mit ganz viel FDP drin
"FDP und SPD im baden-württembergischen Landtag sind grundsätzlich bereit, einen CDU-Kandidaten zum Ministerpräsidenten zu wählen und eine so genannte 'Deutschland-Koalition' zu bilden", war vor wenigen Tagen auf FAZ online zu lesen. Anlass dazu bot die Niederlage der CDU-Kandidatin Sabine Kurtz für den Posten der Landtagsvizepräsidentin im ersten Wahlgang. Der Satz elektrisierte viele LandespolitikerInnen, vor allem in der größeren Regierungsfraktion. Und in der kleineren hätten sich, so wird erzählt, etliche Volksvertreter auf die Schenkel geklopft. In der unionsinternen Gerüchteküche wurde kolportiert, eigene Abgeordnete hätten Kurtz das Ja verweigert, um diese Nein-Stimmen den Grünen in die Schuhe schieben und so die klimatischen Störungen zwischen den Koalitionären verschärfen zu können. Die waren offen zutage getreten, als die CDU-Fraktion das Versprechen einer Wahlrechtsreform bis 2021 so ungeniert brach, dass andere Regierungen daran unverzüglich kollabiert wären.
Rülke nahm die Steilvorlage, wenn es eine war, sofort auf: Voraussetzung für ein Dreierbündnis sei "die Umsetzung zentraler inhaltlicher Vorstellungen der FDP". Dazu gehörten keine Diesel-Fahrverbote, Entbürokratisierung für die Wirtschaft und eine Stärkung der beruflichen Bildung. Und dann schickte er gleich noch eine mit Zahlen versehen Prognose hinterher, wonach die Wahrscheinlichkeit, dass Grün-Schwarz die restlichen drei Jahre bis zum Ende der Legislatur hält, unter der 50-Prozent-Marke liege.
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