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Der Hasenfuß

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Zu Dreikönig malen FDP-Granden das immergleiche Zerrbild von einer Republik, die ächzt unter zu hohen Steuern und staatlicher Bevormundungswut. Mit seinem Nein zu Jamaika nährt Christian Lindner den Verdacht, dass er daran nicht einmal selber glaubt. Denn sonst hätte er mitregieren müssen.

Vier Jahre, vier Reden, eine Tonlage: Nur mit uns wird alles besser. Seit der Hauptmann der Reserve 2014 die Bretter der Stuttgarter Oper betrat, die seit vielen Jahrzehnten die liberale Welt bedeuten, hämmert er seinem Publikum diese Botschaft ein. "Nur wir sind die Partei der Unternehmenden", tönte der frischgebackene FDP-Chef vor vier Jahren in Stuttgart. Da wollte er Eindruck machen mit der Ankündigung, gerade ohne Bundestagsmandate werde die Große Koalition mit den besseren Konzepten gejagt: "Wir haben es in der Hand."

2015 gab er den immer gleichen Sermon von den Bedenkenträgern, die jede Tatkraft und jeden Optimismus im Keim ersticken, und von der Leistung, die sich wieder lohnen muss, zum Besten. Und hatte Weisheiten wie "Wir lieben Herausforderungen" im Tornister. Ein Jahr später ist – mit Blick auch auf die Landtagswahlen wenige Monate danach – viel vom dringend notwendigen Politikwechsel die Rede, der natürlich nur mit der FDP gelingen kann. Und 2017 redet ihr Chef sogar die wirtschaftlichen Erfolge in Deutschland klein als "Halluzination". Ganz anders natürlich die Partei unter seiner Führung – die sei ein "Problemlöser" und "Fortschrittsbeschleuniger der Politik".

Wenn er diesmal nach Stuttgart kommt, wartet eine spezielle Herausforderung auf den eloquenten Wuppertaler. Er muss sein Vorgehen an jenem 19. November in Baden-Württembergs Landesvertretung am Tiergarten so erklären, dass sein Publikum nachher wenigstens einigermaßen überzeugt ist davon, dass der Verzicht aufs Mitregieren seriös durchdacht und tatsächlich inhaltlich geboten war. Gar nicht erst aufkommen lassen darf seine Rede den Verdacht, da habe ein selbstverliebter Ehrgeizling nicht genügend patriotisches und moralisches Format gehabt, um sich ins Regierungsjoch zu bequemen.

Seit Lindners Abstinenzerklärung sind in der digitalen und der realen Welt ganze Folianten vollgeschrieben worden mit Berichten über die vier Sondierungswochen, über die Gespräche in großen und kleinen Kreisen. Und über zwischenmenschliche Details, etwa wie sich FPD-VerhandlerInnen daran störten, dass CDU-Kanzleramtsminister Peter Altmaier mit fast allen Grünen am Tisch auf Du und Du steht. Oder wie den WortführerInnen der anderen drei Parteien erst nach und nach dämmerte, wie verschrumpft die Sachkompetenz der FDP nach den vier Jahren ohne Bundestagsmandate daherkam.

Wie wurde binnen 24 Stunden aus dem Ja ein Nein?

Für eine zentrale Info könnte Lindner beim heurigen Dreikönigstreffen persönlich sorgen: Was da eigentlich passiert ist zwischen dem frühen Sonntagabend, als Generalsekretärin Nicola Beer vor laufenden Kameras noch verkündet durfte "Die FDP würde Ja sagen", und dem Nein des Vorsitzenden um 23 Uhr 47. Schließlich schrieb er keine 24 Stunden später in einem Mitgliederbrief: "Es hat sich gezeigt, dass die vier Partner keine gemeinsame Idee zur Gestaltung des Landes und keine gemeinsame Vertrauensbasis erreichen konnten."

Dabei hatte der studierte Politikwissenschaftler, der schon mit 17 die Liberalen Schüler in NRW anführte, die Blaupause gerade hinter sich. Nach der Wahl in Düsseldorf zierte sich die FDP, angeblich, wie Lindner selber wenig plausibel berichtet, weil noch am Wahlabend versucht worden sei, "uns sofort und bedingungslos für eine Koalition mit der CDU zu vereinnahmen". Von wem, lässt er im Dunkel. Dann trifft er Armin Laschet zufällig, postet ganz nach dem Motto "Digital first, Bedenken second" ein Smiley, und einen Monat danach ist der Koalitionsvertrag unter Dach und Fach. Trotz der anfänglich großen Skepsis des Chefverhandlers, die er ausdrücklich nicht als bloße Taktik missverstanden sehen wollte.

Ein gewieftes Kerlchen, für das sich der frühere Generalsekretär hält und das er auf seine Weise auch ist, hätte Nektar saugen müssen aus den Verhandlungserfahrung in Düsseldorf und mit einer präzisen Strategie in die Gespräche in Berlin gehen können. Selten war Peer Steinbrücks Spruch "Hätte, hätte Fahrradkette" angebrachter. Wenn nicht doch die These stimmt, die Karten des früheren Unternehmensberaters seien von Anfang an gezinkt gewesen und zu überschaubar seine Lust, unter Angela Merkel zu dienen.

CDU-Unterhändler können jedenfalls umfangreich auflisten, wie weit die Union der FDP in den letzten Verhandlungstagen und -stunden entgegenkam. In allen internen Gesprächen mit der Kanzlerin, berichtet ein Eingeweihter, sei es nie um Kompromisse mit den Grünen gegangen, "sondern immer nur um die Frage: Was können wir noch für Lindner tun?"

Gründlich belegt ist dazu sein Anspruch, möglichst oft und viel allein auszuhandeln. Vom aus Brüssel nach Berlin gewechselten Außenpolitik-Experte Alexander Graf Lambsdorff wird erzählt, er habe "ein unfreiwilliges Schweigegelübde" abgelegt, jedenfalls "oft mit hochrotem Kopf dagesessen und auf jeden Wortbeitrag verzichtet". Beer wiederum sei vor der Türe, in den regelmäßigen Statements für die Medien, "deutlich gesprächiger gewesen als dahinter", erzählt ein CDUler, der sarkastisch als "großartigen Höhepunkt" der Sondierungen beschreibt, wie die Generalsekretärin ganze Passagen aus dem eigenen Wahlprogramm verlas, als ob sie erwartete, die kämen eins zu eins in einen Koalitionsvertrag.

Plötzlich will Lindner doch wieder irgendwie mitspielen

Dieses Wahlprogramm lebt. Mehr noch: Auf der so farbenfroh in Himbeer, Gelb und Himmelblau gestalten Internet-Seite der Bundespartei ("Wir glauben, dass es anders geht.") wird weiterhin der Eindruck erweckt, eigentlich wollten die Liberalen doch gerne mitregieren. Und Linder selber lässt sich mit Merksätzen zitieren wie "Weiter arbeiten für ein modernes Land: Mut braucht Veränderung".

Schon im Vorfeld von Dreikönig 2018 werden zudem programmatische Versatzstücke früherer Reden recycelt. "Politik für die Mitte muss wieder zur Staatsraison in Deutschland werden", forderte Lindner auf Dreikönig 2017 und positionierte die FDP als "Partei der Mitte". Die FDP wolle in der nächsten Zeit ihren Standort als Partei der Mitte definieren, sagt er zum Jahreswechsel 2017/2018. Denn die Mitte "war verwaist während der vergangenen vier Jahre", als die FDP nicht im Bundestag saß. Dabei hatte er doch 2014 versprochen, genau diese vier Jahr zu nutzen als "neue Stärke der FDP". Noch nie sei ihre "Unabhängigkeit größer gewesen, um das eigene Profil zu schärfen". Wozu er damals die Aufgabe zählte, den Ruf abzustreifen, allein für Besserverdienende da zu sein.

Der liberale Auftrieb, mit seiner Tradition seit 1866, wird also der erste öffentliche Stimmungstest werden, wie Lindners Verweigerung tatsächlich ankommt. Zwar gehört wenig Fantasie zu der Prognose, dass die allermeisten der regelmäßig 1200 oder gar 1500 BesucherInnen der Führungsriege den Rücken werden stärken wollen. Die spannenden, weil tonangebenden und einflussreichen Multiplikatoren sitzen zwischen den Partei-Granden in den ersten fünf bis sieben Reihen.

Oder aber eben auch nicht. Von etlichen heimischen Mittelständlern ist bekannt, wie sauer sie sind. Reinhold Würth, der Schrauben-König, nannte das Scheitern von Jamaika eine "grandiose Blamage für unser Land" und erwartet, dass demnächst "CSU und FDP die gesalzene Quittung der Wähler erhalten werden".

In ungezählten Jahresrückblicken führt Lindner die Liste der "Verlierer 2017" an. "Selbstbefindlichkeit und Image der Eigenmarke sind wichtiger als politische Verantwortung, sexy Poster und coole Posts wichtiger als zügiges Anpacken, Kragenaufknöpfen wichtiger als Ärmelhochkrempeln", schreibt der Start-up-Experte und Publizist Andreas Barthlemess, der die Liberalen regelmäßig unter die Lupe nimmt. Und der solcherart Kritisierte selber stellt am letzten Tag des alten Jahres – wieder einmal – "ein Erneuerungsprojekt für die nächste Dekade" in Aussicht, "das sich davon inspirieren lässt, was Macron in Frankreich macht", sagte er.

Das klingelt so manchem Sondierer in den Ohren. Bei den Diskussionen darüber, was da eigentlich geschehen ist und was Lindner wirklich vorhat, kristallisierten sich zwei Denkmodelle heraus: Mittelfristig könne es einen Rechtsruck der FDP geben, dank markiger Worte wie aktuell nach der Tötung eines 15-jährigen Mädchens im pfälzischen Kandel zur Abschiebung unbegleiteter Jugendlichen. Er möchte einen neuen Flüchtlingsstatus einführen, dem kein Asyl mehr zu Grunde gelegt wird, sondern die Ankommenden in "Erstaufnahmelagern" halten, um in "flotten Verfahren" über ihre Zukunft zu entscheiden.

"Integration", sagt er, als wolle er die Aufnahmeprüfung in den stramm rechten "Cannstatter Kreis" seiner Partei damals in den Neunzigern bestehen, "ist doch nicht Aufgabe der deutschen Gesellschaft, sondern die Forderung und Erwartung, die wir an die richten, die zu uns kommen." Und gerne nutzt er solche Gelegenheiten, etwa in Jahresabschluss-Interviews, gleich auch noch, um der Kanzlerin eine mitzugeben: Ihre Entscheidung, im Herbst 2015 die Grenzen zu öffnen, sei unverantwortlich gewesen. Das klingt regelmäßig verdächtig nach AfD, von der er sich doch angeblich hart abgrenzen möchte.

Eine zweite Karrierevariante des liberalen Messias im Fraktionsvorsitz könnte sein, aus seiner Partei eine Bewegung zu machen, nach dem Vorbild des extravaganten Franzosen. Die dafür nötigen Entertainer-Qualitäten hat er längst bewiesen. Allerdings auf einem ganz anderen Felde. Und auf dem konnte er sogar die manchmal mit übertriebener Lockerheit überspielten Verklemmtheiten oder die versuchte Selbstüberhöhung – siehe schwarz-weiße Plakate – ablegen. Bei der Verleihung des 67. Ordens wider den tierischen Ernst singt Lindner im Februar 2017 Milvas "Hurra, wir leben noch". Gekonnt, mit einer Prise Selbstironie und zur Begeisterung eines überraschten und fast aus dem Häuschen geratenden Publikums: "Wie stark ist der Mensch? Wie stark?/In der Not hilft weder Zorn noch Lamentieren/Wer aus lauter Wut verzagt und nichts mehr tut, der wird verlieren." Was auf längere Sicht politisch alles andere als ausgeschlossen ist.


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