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Buddha im Blazer

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Angela Merkel kann sich mittlerweile kapitale Schnitzer ohne Imageschaden leisten. Auf dem CDU-Landesparteitag in Reutlingen hat sie bar jeder Detailkenntnis eine heikle Personalfrage mitentschieden. Den Ärger ausbaden müssen andere. Während die Kanzlerin aufgeräumt dem Wahlerfolg am 24. September entgegenschwebt.

Was ist nicht alles geschrieben worden über die junge Frau, die den Fall der Mauer in der Sauna verpasste und sich alsbald als "Kohls Mädchen" in Bonn immer weiter nach oben schlich, bis sie ihren Förderer stürzte und sämtliche Konkurrenten aus dem Wege zu räumen begann. Viel Phantasie gehört nicht dazu, sich vorzustellen, wie sie am Wahlabend in einem roten, grünen, blauen oder ganz andersfarbigen Sakko – 77 an der Zahl sollen es nach dem berühmten Blazer-Power-Plakat insgesamt sein – vor den Kameras steht und gewohnt uneitel Fragen nach den Gründen für den klaren Sieg beantwortet. Mehr oder weniger als One-Woman-Show.

Die große und traditionsreiche Südwest-CDU kann sich jedenfalls kaum zugutehalten, der vierten Kanzlerinnenschaft besonders förderlich gewesen zu sein. Risse und Gräben ziehen sich durch die Partei. Gruppen und Grüppchen führen ihr abgeschottetes, sprachloses Eigenleben und bekämpfen vornehmlich den Rest der christlich-demokratischen Welt zwischen Main und Bodensee. Und dann auch noch die Bundesvorsitzende instrumentalisieren! Sie mischte sich ein in eine Kampfkandidatur, schwächte die Landtagsfraktion. Typisch fürs Klima aber, wie zügig ausgerechnet der mit mickrigen 82 Prozent bestätigte Parteichef Thomas Strobl als Schuldiger am amateurhaft wirkenden Auftritt der Kanzlerin ausgemacht wurde. Sie selber scheint unantastbar. "Mudda oder Buddha?", fragte die "Heute-Show". Eine Mischung davon wohl irgendwie, mächtig, in sich ruhend – und ein bisschen skurril.

Das geht schon los mit diesem Deutsch der Physikerin aus dem Osten. Keine Rede ohne ein halbes Dutzend Präpositionsfehler und sonstige Tapsigkeiten, die immer wieder aufs Neue klarmachen: Mit unserer Muttersprache steht "Äinschie" auf Kriegsfuß. Zwischen ihren rednerischen Fähigkeiten und denen des Parteifreunds Norbert Lammert liegen Meilen. Allen juvenilen Haifischkragenträgern, die in ihrer Partei nach oben schielen, würde die schmerzliche Abwesenheit jeglicher Eloquenz als ernstes Karrierehindernis angekreidet. Der gebürtigen Hamburgerin mit der FDJ-Sprachsozialisation wird selbst das verziehen. Mehr noch: Ihr Singsang ist Kult, Comedians beiderlei Geschlechtes überschlagen sich bei Nachahmversuchen. Stilistisch bleibt sie unerreicht. "In der DDR konnte man bemerken, wie bei einer Beschränkung der Freiheit die gesamte Ausdrucksstärke des Menschen abnahm", sagt sie einmal in einer Regierungserklärung.

Überhaupt muss, wer sich dem Phänomen Merkel nähert, das Publikum betrachten. Der respektlos-liebevolle Spitzname "Mutti" kommt nicht von ungefähr. Auch Mütter machen vieles falsch und sorgen trotzdem im Regelfall für jene Wohlfühlatmosphäre, die Ängsten die Schärfe nimmt, Sorgen verblassen und die Zukunft in hellerem Licht sehen lässt. Irgendwie, und das kommt in jeder Umfrage zum Vorschein, wähnen viele BundesbürgerInnen das Land bei ihr in guten Händen, mit und ohne Raute. Hinzu kommt die boomende Wirtschaft, mit den quartalsweise eintreffenden Nachrichten von den üppig sprudelnden Steuereinnahmen. So heftig, dass die Gralshüter der Schuldenbremse in Reutlingen genauso wie die Traditionalisten akzeptierten, wenn die Kanzlerin den familien- und bildungspolitischen Markenkern der CDU zurechtrückt und für alle Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz in Aussicht stellt.

Die Aussage, dass "wir akzeptieren müssen, dass es Elternhäuser gibt, in denen Kinder nicht genügend Chancen bekommen", hätte genauso gut von Martin Schulz stammen können, ihrem bedauernswerten Mitbewerber. Und Merkel kommt die Erkenntnis ohnehin reichlich spät, was aber in den eigenen Reihen erst recht nicht schadet. Kritik, wenn überhaupt, im hintersten aller Hinterzimmer, daran, dass sie rechts Platz lässt für die "Alternative für Deutschland", dass trotz starker Ränder die politische Mitte dank ihrer tätigen Hilfe überbesetzt ist wie eine Stuttgarter S-Bahn zur Stoßzeit. Denn gerade im Gedränge sticht heraus, wer auf sich aufmerksam macht – zum Beispiel als mächtigste Frau der Welt.

Die kann fürsorglich wirken, Überlegenheit zeigen ohne Arroganz, Interesse ohne Heuchelei, Anteilnahme ohne Eifer. Natürlich überzeugt Merkel den Vater dreier Kinder aus Apolda nicht, der zur Primetime in einer der ungezählten Wahlsendungen wissen will, wer "die Deutschen vor Überfremdung schützt". Natürlich wird er ihrem Appell nicht folgen, doch stolz darauf zu sein, dass so viele Menschen auf der Welt nach Deutschland wollen. "Wir sind die Profiteure der Globalisierung in vielfältigster Weise", sagt sie, "da müssen wir auch Aufgaben annehmen, die aus der Globalisierung erwachsen." Aber sie bekommt erstens viel Applaus im Studio und zweitens die Chance, draußen an den Fernsehschirmen einen weiteren Puzzlestein zu setzen im Gesamtkunstwerk.

Noch so ein Mirakel, dass die Spontaneität über die vielen Jahre im Rampenlicht nicht abhandengekommen ist. Die Regierungschefin pfeift im Fußballstadion die Marseillaise mit, weil sie sie ja schlecht singen kann. Sie entringt Hermann Grohe vor einem Millionenfernsehpublikum die Mini-Deutschland-Fahne, als der am Wahlabend 2013 triumphieren will. Sie hat die ausdrucksfähigen, beweglichen Mundwinkel wie eine Stummfilm-Diva, gibt sogar in heiklen Situationen zu, etwas nicht zu wissen, und verzichtet – Präpositionsschwäche hin oder her – auf irgendein nichtssagendes Geschwurbel: "Bevor ich mir hier was zusammenradebreche."

Solche Tugenden machen ihre Renten-, Sozial-, die Wirtschafts- oder Umweltpolitik nicht gerechter und nicht weitsichtiger. Allerdings sind die großen Teilen des Wahlvolks angesichts des galoppierenden Desinteresses an konkreter Politik ohnehin böhmische Dörfer, Fakten zählen viel weniger als Sympathien und die Eindrücke beim Ferngucken und Posten. Das Geschäft ist mühsam und unbeliebt und die Zeit knapp, die übrigbleibt, wenn alles andere getan ist. Wer von den vielen Jammerern mochte sich schon auseinandersetzen mit der kurzen Halbwertszeit der Euro-5-Norm, als Autohäuser analog oder digital mit saftigen Rabatten zum Kauf eines Diesels warben? Wer redet, frei von allem Wissen, die Sozialsysteme schlecht? Wer hat sich ziemlich genau vor vier Jahren verführen lassen von den Aufwieglern, die die durchgerechneten, deutlich gerechteren Steuerpläne von SPD und Grünen in die Tonne traten?

Doch manchmal ist es beruhigend und bequem, die unaufgeregte Frau am Berliner Spreebogen zu wissen. Eine, die das Geschäft erledigt; die einer ganzen Generation das Gefühl gibt, irgendwie auch für Gleichberechtigung zu sein; die das Kind nochmals vier Jahre schon so schaukeln wird, dass es nicht hart aufschlägt. Und wenn Rechtsnationalisten selbstgebastelte Galgen durch Dresden tragen, in zig Netzkommentaren so brillante Einfälle wie "das Merkel" oder "Ferkel" produzieren, oder wenn die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel die Kanzlerin nach ihrer Amtszeit "vor ein ordentliches Gericht" stellen will, dann muss man und frau ausnahmsweise tatsächlich an ihrer Seite stehen.


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4 Kommentare verfügbar

  • Andreas Lotter
    am 14.09.2017
    Antworten
    Bei diesem Beitrag muß man Kotzen! Gut das ich Kontext kein Soli-Abonnemont mehr spende, besonders wegen dem allerletzten Satz, welcher dem Schreiber früher oder später noch aus dem Halse wieder heraus kommen wird, wenn vielleicht auch erst nach dem Abgang der so hochgelobten aus dem Kanzleramt,…
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