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Antisemiten unter sich

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Elf Wochen vor der Bundestagswahl ist die AfD im Umfragetief. Alice Weidel und Alexander Gauland machen jetzt auf seriös und mahnen vernünftige Oppositionsarbeit an. Ihre Parteifreunde im baden-württembergischen Landtag tun das genaue Gegenteil.

Der Rechtsruck der AfD bestehe nur in Claudia Martins Phantasie, posaunte Lothar Maier, damals noch baden-württembergischer Landeschef, im vergangenen Dezember, als die Erzieherin aus Walldorf Fraktion und Partei verließ. Inzwischen kann nicht nur die Dissidentin jede Menge Belege anführen dafür, wie richtig sie lag und liegt. Jüngstes Beispiel ist der angekündigte Ausschluss des Stuttgarter enfant terrible Heinrich Fiechtner aus der Fraktion. Laut Martin war er jedenfalls in der Zeit ihrer Zugehörigkeit der letzte in der Fraktion, der intern regelmäßig den Mund aufmachte, wenn ihm etwas nicht passte. "Jetzt hat die alte AfD-Fraktion endgültig das Zepter in der Hand."

Mit "alter AfD-Fraktion" meint die gebürtige Bautzenerin die Truppe derer, die Jörg Meuthen vor einem Jahr im Antisemitismus-Streit nicht in die Abspaltung Alternative für Baden-Württemberg folgen wollten. Aus guten Grund, wie Martin meint, denn Antisemitismus sei – "allen Beteuerungen zum Trotz" – bis heute ein "großes ungelöstes Problem". Die einen stünden dagegen nicht auf und die anderen inhaltlich ohnehin an der Seite von Wolfgang Gedeon. Zu besichtigen ist das ganz einfach im parlamentarischen Alltag: Aus den Reihen der Rechtsaußenopposition gibt es immer wieder Applaus für Gedeons Zwei-Minuten-Auftritte. Diese Redezeit steht allen fraktionslosen Abgeordneten zu jedem Debatten-Thema zu, und der Allgemeinmediziner, der in seinem Singener Wahlkreis mit 15,7 Prozent der Stimmen gewählt wurde, macht davon gern Gebrauch. Gedeon und diverse AfD-Abgeordnete gehen auch ohne erkennbare Scheu gern miteinander essen im Landtag. Schließlich ist man ja nach wie vor Parteifreund – das Ausschlussverfahren gegen den irrlichternden Amateurhistoriker verlief im Sande.

Und selbst offizielle Einladungen erreichen den 70-Jährigen, der in der Antisemitismus-Debatte immer weiter nachlegt. Zum Beispiel in einem sechs Monate alten Aufsatz unter dem Titel: "Wird die AfD eine zionistische Partei?" Das sei keine Alternative, schreibt Gedeon, und "identisch mit Merkels prozionistischer 'Staatsräson' und ein Kotau vor dem westlichen System". An der Antisemitismus-Zionismus-Frage werde "sich weisen, aus welchem Holz die AfD geschnitzt ist". Man dürfe das Kernthema "nicht unter den Teppich kehren, sondern wir müssen es, wenn wir unserer historischen Aufgabe gerecht werden wollen, als entscheidende Herausforderung unserer Politik begreifen – nicht irgendwann, sondern jetzt".

Keine Grenzen in der AfD

Erst kürzlich hatte er einen Auftritt vor der Pforzheimer AfD, als einer der "profundesten Kenner und Analytiker der Schriften der amerikanischen Strategen – von Kissinger bis Brzezinski, von Friedman bis Barnett – sowie der Putin'schen Machtpolitik", wie Kreissprecher Bernd Grimmer rühmte. Aus der SPD und vor allem von FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kam heftiger Protest, was die rechten Reihen aber erst recht schloss. Rülke erinnerte daran, dass Gedeon die Ermordung von Millionen Juden als "gewisse Schandtaten" relativiert und die Opfer beleidigt habe mit der Bezeichnung des Holocaust als einer "Zivilreligion des Westens". Diese Einladung, erkannte Rülke richtig, sei eine Schande.

Die Dissidentin, fraktionslos wie Gedeon und vermutlich bald auch Fiechtner, der vor dem Rausschmiss steht, hat eine plausible Erklärung: Es fehle in der Landtagsfraktion an "jeder Form der Führung". Es würden keine Grenzen definiert und keinerlei Wert auf konstruktive Oppositionsarbeit gelegt. Und Meuthen habe im Prozess der Wiedervereinigung der beiden Fraktionen "alles aufgegeben, was zur Spaltung geführt hat". Zur Erinnerung: Vor einem Jahr hatte der Kehler Professor für Verwaltungsrecht die von ihm geführte Fraktion verlassen, weil in mehreren Abstimmungen und Probeabstimmungen die notwendige Zweidrittelmehrheit für Gedeons Ausschluss nicht erreicht worden war. 13 der 23 AfD-Abgeordneten folgten ihm. Bedingung und Basis für den erst nach monatelangen Verhandlungen erzielten Friedensschluss war dann eine neue Satzung, deren Präambel, wie Meuthen sagt, "definitiv und unwiderruflich" festhalte, "dass in unserer Fraktion eben für Rassismus, Antisemitismus keinerlei Platz ist (...). Anders hätte man diese Wiedervereinigung nicht vollziehen können".

Martin erinnert sich, wie hinter verschlossenen Türen um das Existenzrechts des Staates Israel gerungen wurde. Und dass der Satz "Wir bekennen uns zum jüdischen Leben und zur jüdischen Kultur in Deutschland" schlussendlich keine Aufnahme in die Erklärung fand. Inzwischen ist sie als Fraktionslose auf ihrem Platz in der letzten Reihe ungewollt in direktem Kontakt mit Wolfgang Gedeon und Stefan Räpple, die räumlich nur wenig getrennt von ihr sitzen. Räpple hat nicht nur den zitierten Satz nicht unterschrieben, er handelt sich auch immer wieder Ordnungsrufe ein. Im März wurde er sogar aus dem Plenarsaal gewiesen, nachdem er unentwegt und entgegen parlamentarischem Brauch die erste Rede einer Abgeordneten der Grünen gestört hatte.

Keine Einzelfälle

Das Gesamtbild der Rechtsaußentruppe geht nach Martins Erfahrung über Einzelfälle aber weit hinaus. Unerträglich und menschenverachtend sei das, was sie an Kommentaren unterhalb der Lautstärke von Zwischenrufen mitbekomme. Und zwar so sehr, dass sie immer wieder eine ihrer in 22 Jahren antrainierte Erzieherinnenfähigkeit aktiviere: "Ich muss nicht alles hören." Ihre Buchidee, die sie gleich nach dem Austritt vor Weihnachten wälzte, hat sie nicht aufgegeben, aber weiterentwickelt. Denn erst jetzt, mit einigem Abstand, werde ihr Manches klarer und der Blick auf die AfD "noch schärfer". Sie schreibe "ohne Druck".

Wie sehr gerade Räpple Beleg für den Rechtsdruck der Fraktion im Allgemeinen und Meuthens im Besonderen ist, zeigt auch ein Bericht der "Frankfurter Rundschau" (FR) vom vergangenen Oktober, also aus der Zeit nach dem Zusammenschluss. Räpple, der Bildungs- und Wissenschaftsexperte seiner Fraktion, der sich selber als "zertifizierter Hypnose-Therapeut" vorstellt, hatte damals als Gast der AfD in Nürnberg Gedeon verteidigt: Es sei, zitiert ihn die FR, heute "nicht mal mehr möglich zu fragen, ob sechs Millionen Juden in den KZ umgekommen sind oder ob es nicht vielleicht doch nur viereinhalb Millionen waren". Eine Abgrenzung von solchen und anderen Äußerungen gab es laut Claudia Martin nie: "Wir haben Beschlüsse gehabt, aber niemand hat sich darum gekümmert, wenn nicht nach diesen Beschlüssen gehandelt wurde." Und beim Thema Antisemitismus gelte wie so oft "einfach eine eigene Definition": Die Rechte in der AfD gebe nicht nur vor, "was richtig und was falsch, sondern welche Äußerungen antisemitisch sind und welche nicht". Mit "vernünftiger und konstruktiver Oppositionsarbeit" habe auch das nicht zu tun.

Auf 66 Seiten hat das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, die "Parlamentarische Praxis der AfD in den deutschen Landesparlamenten" untersucht. "Alles in allem sind 177 AfD-Abgeordnete von insgesamt fast drei Millionen Wählerinnen und Wählern in die Parlamente gewählt worden", schreiben die Autoren. Im September "könnte die AfD die erste rechtspopulistische Partei im Deutschen Bundestag seit 1949 werden". Herausgearbeitet ist unter anderem, dass einerseits "learning on the job" bei AfD-Abgeordneten lange dauert und andererseits ohnehin ein Desinteresse daran besteht, geltende Regeln einzuhalten: "Vieles deutet auf die Instrumentalisierung der parlamentarischen Bühne für die Mobilisierung der eigenen Echokammern im Netz hin."

Was in der AfD zählt: die rechte Gesinnung

Die Arbeit im Plenum werde "weniger zur konstruktiven Kontrolle der Regierung genutzt als vielmehr als Bühne für Protest und Provokation, die über Social-Media-Kanäle gestreut werden können". Sie richte sich "nicht in erster Linie gegen die Regierung, sondern als populistisches Moment gegen alle 'Altparteien', gegen das Establishment, und neben die gezielte Provokation tritt die Absicht, sich von den etablierten Parteien zu distanzieren, sich von ihnen abzusetzen, zuweilen sich auf deren Kosten zu profilieren – im Plenarsaal klassisch analog, digital in den sozialen Medien". Claudia Martin formuliert es so: Da gebe es eine Filterblase, die die einen "nicht mehr verlassen können und die anderen gar nicht verlassen wollen".

Die Auswahl der parlamentarischen Mitarbeiter verstärkt diese Tendenz noch. "Da geht es in erster Linie nicht um Erfahrung oder Fähigkeiten", berichtet die Abgeordnete aus den Rhein-Neckar-Kreis, "sondern vor allem um die Rekrutierung aus den eigenen Reihen." Und natürlich um die richtig Gesinnung. Die FAZ hat erst kürzlich über die <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik sein-name-ist-hase-4321.html internal-link-new-window>"zweifelhafte Vergangenheit" mehrerer Beschäftigter in der Stuttgarter Landtagsfraktion berichtet. Beispielsweise über die Kontakte zu österreichischen Rechtsextremisten und speziell über Meuthens neuen Pressesprecher Michael Klonovsky. Ein Mann mit turbulenter Vita: In der DDR Chefredakteur, dann Focus-Redakteur, zuletzt in Unfrieden geschiedener Berater von Frauke Petry und deren Ehemann Marcus Pretzell. Inhaltlich passe Klonovsky "auf jeden Fall gut zur hiesigen AfD", <link http: keinealternative.blogsport.de ein-kritisches-portraet-von-michael-klonovsky external-link-new-window>urteilen die Internet-Wächter von "Keine Alternative" und zitieren reichlich einschlägiges Schriftgut. 

In der Beurteilung der allgemeinen politischen Stimmung durch die Forschungsgruppe Wahlen liegt die AfD gerade noch bei fünf Prozent. Zu Jahresbeginn waren es 13. Auch nach dem jüngsten Baden-Württemberg-Trend hat sich die Partei seit sie im Landtag sitzt im Südwesten fast halbiert. "Wir sind auf der Entscheidung von Angela Merkel, die Grenzen zu öffnen, in den Landtag geschwommen", sagt Martin, die schon 2013 in die damals noch von Bernd Lucke geführte Partei eingetreten war. Von der Spaltung der Fraktion habe sie eine "ideologische Klärung" erwartet, in der Wiedervereinigung habe sich der Rechtsruck manifestiert. Außer Fiechtner – der selbst alles andere als ein Mann der bürgerlichen Mitte ist – habe sich gegen diese Entwicklung niemand stemmen wollen. "Das ist wie in der Küche, wenn ein Topf auf das Ceranfeld knallt und das Ceranfeld zersplittert", sagt sie. Vernünftige Menschen würden das Ceranfeld reparieren, die AfD aber habe den Topf weggeworfen im Glauben, das sei die richtige Reaktion. Martins Hoffnung: dass "ausreichend viele Wähler am 24. September genau das erkennen". 


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1 Kommentar verfügbar

  • Wolfgang Zaininger
    am 13.07.2017
    Antworten
    Kein Wunder kommt bei der rechten Truppe nun auch Fiechtner unter Beschuss, bemühte der sich doch immerhin durch Besuche in der Hospitalstraße um gute Beziehungen zu Israelitischen Religionsgemeinschaft, als Gedeon schon Anhänger in der Fraktion der AfD für seinen anti-semitischen Mist fand.
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