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Das große Löschen

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Im Schatten der Ehe für alle hat der Bundestag deutlich schärfere Regeln für soziale Netzwerke verabschiedet. Hassäußerungen und Falschmeldungen müssen zügig gelöscht werden. Kritiker sehen die Meinungsfreiheit im Internet bedroht.

Es war lange eine der besonders kontroversen Gesetzesinitiativen der Bundesregierung. Bei ihrem Beschluss im Bundestag Ende Juni aber löste sie nur noch einen Sturm im Wasserglas aus. Grund waren weniger die Korrekturen, auf die sich die schwarz-rote Koalition kurz vor knapp noch geeinigt hatte, als vielmehr die noch kurzfristiger vorgeschaltete Debatte über die Ehe für alle, die schier die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf sich zog. Das direkt im Nachgang verabschiedete<link https: www.bundestag.de dokumente textarchiv kw26-de-netzwerkdurchsetzungsgesetz external-link-new-window> Gesetz gegen Hassäußerungen und Falschmeldungen im Internet wanderte so unter den Radar vieler Beobachter.

Dabei hat es der Vorstoß mit dem schwergängigen Titel "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" in sich. Damit droht eine "wahllose Löschorgie" auch legitimer Beiträge in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, YouTube und Co. sowie anderen Online-Foren. Darüber ist sich eine breit aufgestellte Allianz für die Meinungsfreiheit einig. Zu dem Bündnis hatten sich während des Gesetzgebungsverfahrens unter anderem digitale Branchenverbände wie Bitkom und eco, Presseorganisationen, der Chaos Computer Club, der Verein Digitale Gesellschaft, Stellen der freiwilligen Selbstkontrolle sowie die CDU- und SPD-nahen Gruppen C-Netz und D64 zusammengeschlossen.

Zahlreiche Rechtsexperten hatten den Regierungsentwurf bei einer parlamentarischen Anhörung ebenfalls als verfassungs- und europarechtswidrig gebrandmarkt. Hauptsächlicher Stein des Anstoßes: Die betroffenen Plattformen werden gezwungen, "offensichtlich rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen". Sind dafür keine tauglichen Beschwerde- und Säuberungsmechanismen vorgesehen, drohen den Unternehmen erkleckliche Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro. Die Gesetzesbegründung hellt nicht wirklich auf, was unter die Bestimmung fallen soll. Derlei Beiträge seien daran zu erkennen, heißt es dort nur, dass zur Feststellung der Strafbarkeit keine vertiefte Prüfung stattfinden müsse.

Im Zweifelsfall wird gelöscht werden

Was dies in der Praxis nun nach der Übergangsfrist von Oktober an bedeuten dürfte, machte Arnd Haller, Leiter der Rechtsabteilung bei Google für Nord- und Zentraleuropa, jüngst auf einer Konferenz gegen Hass im Netz klar. Innerhalb der Tagesfrist "kann man nicht sonderlich lange juristisch prüfen, sondern muss bestimmte Parameter vornehmen", verdeutlichte der Konzerjurist. Die Ansage werde so lauten: "Im Zweifelsfall löschen wir." Nur wenn bei der in der Kürze der Zeit möglichen "provisorischen Sichtung" erkennbar sei, dass es sich bei einer inhaltlichen Eingabe um eine "Quatschbeschwerde" handle, "werden Inhalte stehen gelassen". Auch Fehlentscheidungen würden so "massiv zunehmen".

Konkret hat Google laut Haller beispielsweise das umstrittene Satirevideo Jan Böhmermanns gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bisher zunächst trotz darin enthaltener deftiger Äußerungen auf YouTube belassen, bis gerichtlich geklärt worden sei, ob darin rechtswidrige Inhalte enthalten sind. Der Insider ließ keinen Zweifel daran, dass ein solcher Beitrag künftig unverzüglich entfernt werde. Einen Beschwerdeanspruch, wie ihn etwa der Bundesrat über eine "Clearingstelle" ins Spiel gebracht hatte, sehe auch der überarbeitete Gesetzentwurf nicht vor. Dies bedeute angesichts der drohenden schweren Sanktionen: "Ende der Geschichte."

Für Haller steht so außer Frage: "Dieses Gesetz produziert einen Kollateralschaden an der Meinungsfreiheit." Er erinnerte daran, dass hinter strafbewehrten Hassbeiträgen eben Straftäter stünden. Die Netzwerkbetreiber könnten deren Delikte "nur unsichtbar machen für die Allgemeinheit". Eigentlich sei es nötig, "an die Verursacher heranzugehen". Anfragen von Ermittlern bezögen sich aber nur zu einem "verschwindend geringen Anteil" auf "Hate Speech", überwiegend gehe es um Eigentumsdelikte wie gestohlene Telefone. An Falschmeldungen, die das Gesetz ebenfalls erfasst, könne man generell "nicht mit der Keule des Rechtsstaats ran".

Netzwerkbetreiber können die Entscheidung über nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte zwar laut der letztlich angenommenen Gesetzesform an eine Art freiwillige Selbstkontrolle wie beim Jugendmedienschutz abgeben. Eine solche "anerkannte Einrichtung der regulierten Selbstregulierung" muss staatlich zugelassen sein und wird vom Bundesamt für Justiz überwacht werden, was nicht gerade für die eigentlich erforderliche Staatsferne spricht. Die Betreiber sollen auch selbst für die Prüfinstitution zahlen, für die aber nur ein unscharfer Rest weniger besonders komplexer Fälle bleiben dürfte – etwa in den Kategorien Beleidigungen und Verleumdungen. Diese stellen aber selbst die Gerichte immer wieder vor große Herausforderungen.

Justizministers Prestigeprojekt mit "handwerklichen Mängeln"

Insgesamt gehen die Verbesserungen von CDU/CSU und SPD an dem Prestigeprojekt von Bundesjustizminister Heiko Maas nicht weit genug. Berufliche Netzwerke, Fachportale, Online-Spiele und Verkaufsplattformen bleiben außen vor. Eine Schwelle von mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern in Deutschland soll verhindern, dass Startups durch das Gesetz in ihrer Entwicklung behindert werden.

Gestrichen haben die Regierungsfraktionen eine Klausel, wonach die Betreiber sämtliche auf den Plattformen befindliche Kopien illegaler Inhalte ebenfalls unverzüglich entfernen und dafür weitgehende Filter installieren hätten müssen. Der neue zivilrechtliche Auskunftsanspruch bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen, mit dem Betroffene die Identität von Nutzern abfragen können, wird zumindest unter Richtervorbehalt gestellt.

Die Gegner des Vorhabens sind damit nicht zufrieden. "Das Ergebnis ist ein mit heißer Nadel gestricktes Regelwerk, das schwerwiegende handwerkliche Mängel aufweist und außerdem gegen das Europarecht verstößt", <link http: deklaration-fuer-meinungsfreiheit.de external-link-new-window>moniert der Verein Digitale Gesellschaft. Eine echte Verbesserung für die Strafverfolgung stelle nur die Pflicht für soziale Netzwerke zur Einrichtung einer Kontaktstelle im Inland dar.

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) bezeichnete es als bedauerlich, dass die Volksvertreter im Hauruckverfahren entschieden hätten. Die vielfach geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken habe der Gesetzgeber nicht ausgeräumt. Der Verband appellierte an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), diese schweren Einwände zu berücksichtigen und das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Dieser Ruf dürfte aber genauso ungehört verhallen wie die zuvor vorgebrachte massive Kritik, dass mit den neuen Regeln die Kommunikationsfreiheit als elementare Säule der Demokratie ausgehebelt und Zensur Tür und Tor geöffnet werde.


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4 Kommentare verfügbar

  • Charlotte Rath
    am 11.07.2017
    Antworten
    Ist die Zensur erst mal von der Leine gelassen ...
    "Während des G20-Gipfels hat die Bundesregierung 32 Journalisten die Akkreditierung entzogen"
    http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-07/g20-gipfel-journalisten-akkreditierung-auslaendischer-geheimdienst-datenschutz
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