Tatsächlich waren ihre Einlassungen, anders als sie glauben lassen wollte, keiner Relativierung zugänglich. "Die Bundeswehr hat ein Haltungsproblem und sie hat offenbar eine Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen", tönte sie in dem Interview, das noch immer <link https: www.zdf.de politik berlin-direkt berlin-direkt-clip-4-144.html external-link-new-window>in der Sender-Mediathek zu finden ist. Schnitte, weggefallene Passagen, unterdrückte Präzisierungen? Nichts davon gab es. Eine Episode, die viel über von der Leyen sowie den Grad der Entfremdung zwischen ihr und den Soldaten aussagt. Wobei die Überforderung der Ministerin strukturell begünstigt wird.
Denn die Metamorphose der Bundeswehr hält an. Gerade als einstige Massen- und Panzerarmee zur Landesverteidigung auf asymmetrische Kriegführung ausgerichtet worden, muss sie wieder so umgebaut werden, dass sie künftig – und erstmals seit Gründung – für beide Konfliktszenarien taugt. Der kürzliche Rückkauf einiger bereits veräußerter Leopard 2 markiert dabei nur den Anfang. Wobei vor allem repariert und weniger erworben wird: Bedeutende Teile der deutschen Streitkräfte sind heute in einem schlechteren Zustand als im Mai 1945. Die Ausrüstung ist vielfach veraltet, teilweise unbrauchbar.
Hinzu kommt ein verändertes soldatisches Selbstverständnis. Durch die Auslandsmissionen ist der Troupier alter Prägung zum Zukunftsmodell geworden. Ihm und nicht der geschmeidigen, lediglich mit politischen Minenfeldern vertrauten Generalität gilt der Respekt der Truppe. Die Aussetzung der Wehrpflicht hat die Streitkräfte nach außen wirkmächtiger Multiplikatoren und nach innen eines starken Korrektivs beraubt. Das begünstigt Verirrungen und Exzesse, die selten, aber stets schlagzeilenträchtig sind.
Defizite auf allen Ebenen
Denn der mit Grundgesetz und ZDV, der "Zentralen Dienstvorschrift", bewaffnete Wehrdienstleistende konnte allzu forsch auftretenden Vorgesetzten mit beiläufigem Hinweis auf den Wehrbeauftragten zum Rückzug in die Ausgangsstellung zwingen. Weil Dienstzeit wie eigene Karrierehoffnungen im Regelfall von vornherein limitiert waren, durfte er widerständiger sein als mancher Offizier oder Unteroffizier, dessen Laufbahn von Bewertungen abhing. Die Ministerin hat diese Mechanismen und Strukturen bis dato, das muss aus ihrem Handeln abgeleitet werden, nicht verstanden. Sie blickt auf das Ressort wie ins Grab ihrer Illusionen.
Fachliche Defizite gesellen sich dazu. Auch in der Debatte um die Traditionspflege der Bundeswehr sind sie zu konstatieren. Was sie bei Standortbesuchen hört und sieht, kann sie deshalb nicht immer bewerten. In der Aula der Marineschule Mürwik glorifiziert ein Seestück des Malers Claus Bergen den Endkampf der "Bismarck", bei dem am 27. Mai 1941 durch die verantwortungslose Führung von Flottenchef Günther Lütjens – Stunden zuvor hatte er von Bord des manövrierunfähigen und auf sich allein gestellten Schlachtschiffes noch eine Ergebenheitsadresse an Adolf Hitler gerichtet ("Wir kämpfen bis zum Letzten im Glauben an Sie, mein Führer, und im felsenfesten Glauben an den deutschen Sieg!") – mehr als 2000 Soldaten sinnlos geopfert wurden.
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David Sohn
am 08.06.2017