Ein Sprecher der Bahn, der namentlich nicht genannt werden will, sagt dazu auf Rückfrage der Redaktion, dass es beim Tunnelvortrieb keine gesetzliche Regelung diesbezüglich gebe: "Insofern kann es auch zu keiner Überschreitung eines zulässigen Grenzwertes kommen." Eine bestechende Logik: Wo keine Vorschrift, da keine Messung, da kein Problem. Unstrittig ist allerdings, dass die Explosionen mindestens in einem Radius von rund 300 Metern hörbar sind, und der Schall durch die Röhrenstruktur des Tunnels noch verstärkt wird. Gerade nachts wird das zur Zumutung, klagen nicht nur Kampe und Bender.
Nach Auskunft der Bahn sei es üblich oder gar unverzichtbar, beim Tunnelvortrieb rund um die Uhr zu sprengen. "Das ist weltweiter Standard", lässt ein Sprecher wissen. Denn die Baustellen jedes Mal über Nacht zu sichern, würde einen riesigen Aufwand und enorme Zusatzkosten bedeuten. Im Albabstiegstunnel, ebenfalls in Bauherrschaft der Bahn, ist allerdings genau das geschehen: Um die Anwohner zu schonen, wurde bei den Bauarbeiten im Ulmer Lehrer Tal zwischen 22 Uhr und 6 Uhr nicht gesprengt. Und auch im Fildertunnel gab es gerade erst zur Osterzeit Ruhe: Zwischen Gründonnerstag und Ostermontag wurden keine Sprengungen durchgeführt, nach Absprache mit der Evangelischen Landeskirche. Die hätte sich zwar laut Sprecher Oliver Hoesch noch "weitergehende Ruhezeiten gewünscht, als jetzt zugesagt wurden", aber immerhin habe man eine "pragmatische Lösung" gefunden.
Kompromisse kann die Bahn anscheinend nicht verkraften
Ulrich Ebert zeigt sich enttäuscht von den Kirchen, die laut dem Anwalt einfordern könnten, wenigstens die Sonn- und Feiertagsruhe konsequent einzuhalten. "Bei S21 will sich aber keiner die Finger verbrennen. Obwohl schon der ganze Handschuh brennt." Die Osterruhe bei Ulm zeigt jedoch: Auf Sprengungen zu Unzeiten zu verzichten ist technisch nicht unmöglich, sondern allenfalls ökonomisch unerwünscht. "Geld geht vor Gesundheit", ärgert sich Ebert und vermutet: "Die Bahn ist so dermaßen hintendran mit ihrem Zeitplan, dass sie das Projekt jetzt umso rücksichtsloser vorantreiben muss." In bestem Beamtendeutsch erklärt der Bahnsprecher damit im wesentlichen übereinstimmend, beim Albabstiegstunnel in Ulm habe es – offensichtlich im Gegensatz zum Fildertunnel – "ausreichend Zeitreserven" gegeben, "um eine Reduzierung der Vortriebsleistung durch Restriktionen im Nachtzeitraum zu verkraften". Für Degerloch hingegen gilt wohl weiterhin: Keine Kompromisse.
Die Konsequenzen treffen die Anwohner. Laut Benders Hausarzt sind durch die nächtlichen Sprengungen Schlafrhythmus und -qualität des 74-Jährigen massiv gestört, in Folge träten "erhebliche Konzentrationsstörungen" auf, auch in Verbindung mit einer erhöhten Sturzgefahr. "Der Kaffee nutzt da auch nichts mehr", sagt Bender. Er gibt noch Erste-Hilfe-Kurse für die Malteser, wo er nun seit fast sechs Jahrzehnten ehrenamtlich arbeitet. Immer häufiger musste er in den vergangenen Monaten krankheitsbedingt ausfallen. Kampe, Ebert und Bender bereiten nun eine zweite Anzeige bei der Staatsanwaltschaft vor. Diesmal geht es nicht nur um Ruhestörung, sondern um Körperverletzung. Da es sich hierbei nicht mehr um eine Ordnungswidrigkeit handelt, müsste die Behörde eigenständig ermitteln. "Das ist unsere letzte Hoffnung", sagt Kampe. "Wobei ja auch die Staatsanwaltschaft ihre Bügeleisen hat."
13 Kommentare verfügbar
Marla Mayering
am 26.04.2017Versteckte S21Kosten und was alles wichtiger ist als Kinder...
".....ein neues, großes Elefantendomizil für eine ganze Herde. Der Grund für die räumliche Veränderung: unter dem künftigen Elefantenstandort wird kein Tunnel für Stuttgart 21 gebohrt. Die Dickhäuter reagieren nämlich empfindlich…