Gerade in der Bildungspolitik sind zu viele Schwarze allerdings geübt darin, sich gegen Realitäten zu stemmen und Stimmungen zu schüren. Als Noch-Kultusminister Andreas Stoch (SPD) dieser Tage die – nach drei Jahren Expertenarbeit abgeschlossene – grün-rote Bildungsplanreform förmlich auf den Weg brachte, funktionierten die alten Mechanismen sofort. Gerade so, als gäbe es keine Koalitionsverhandlungen. Ex-Staatssekretär Georg Wacker spielte wieder einmal über Bande mit der FAZ. Und die berichtet vom "großen Ärger in der baden-württembergischen CDU". Wacker, der sich durchaus zutraut, in einer Kiwi-Koalition Stochs Nachfolge anzutreten, nennt den Bildungsplan "unausgereift" und verlangt "echtes gymnasiales Lernen schon von der fünften Klasse an". Vorerst, findet er außerdem, sollten die Unterrichtsgrundlagen nicht gedruckt werden. Obwohl er weiß, dass der Termin dafür seit 2014 feststeht, rügt er die Inkraftsetzung als "äußerst unfreundlichen Akt", das Thema werde sich auf dem Weg zu einem gemeinsamen Koalitionsvertrag noch als "harte Nuss" erweisen.
Seit fünf Jahren entfacht die CDU künstlichen Gegenwind gegen die von Sozialdemokraten und Grünen im Wahlkampf 2011 versprochenen und dann nach und nach umgesetzten Veränderungen. Von den ewigen Falschmeldungen, das Gymnasium solle abgeschafft werden, bis zu der pauschalen und notorisch wider besseres Wissen geäußerten Kritik, die amtierende Landesregierung habe "die Axt an unser erfolgreiches, differenziertes System gelegt", von der Verunglimpfung der Lehrerbildungsreform ("Einheitslehrer") bis zur Titulierung der Gemeinschafts- als "Einheitsschule". Was zwar mit der Wirklichkeit im Unterricht überhaupt nichts zu tun hat, dafür aber Assoziationen an öde Gleichmacherei wecken soll.
Der Landesverband aus dem Südwesten war es auch, der 2011 bei dem Programmparteitag in Leipzig die Verwässerung der Beschlüsse erzwang. In den Führungsgremien hatten die von der Merkel-Vertrauten und -Stellvertreterin Annette Schavan erarbeiteten Leitlinien zur "Bildungsrepublik Deutschland" eine breite Mehrheit bekommen. "Die Schlagzeile ,Bundes-CDU schafft die Hauptschule ab' ist eine Katastrophe", stellte sich Strobl dagegen und missbilligte es als Zumutung, das dreigliedrige System zu demontieren. Schavan hingegen propagierte das Zwei-Säulen-Modell der unionsgeführten Regierungen in Sachsen, Thüringen oder Schleswig-Holstein als "Erfolgsrezept, weil zur Wirklichkeit in Deutschland gehört, dass nur noch zwei Prozent der Eltern für ihre Kinder einen Platz in der Hauptschule wollen".
Denkblockade nicht gelöst
Baden-Württemberg lernt von Ost- oder Norddeutschland? Niemals, schimpften am lautesten die Bildungspolitiker in der Landtagsfraktion und weigerten sich, Konsequenzen aus dem schmerzlichen Machtverlust zu ziehen. Erstritten wurde in Leipzig eine Bestandsgarantie für Hauptschulen dort, "wo dies dem Elternwillen entspricht". Der Parteitag verwarf jedoch eine aus Baden-Württemberg verlangte Festschreibung der dreigliedrigen Struktur, "die sich bewährt hat und – wo immer möglich – als Vorbild dienen soll". Die in dieser Forderung zum Ausdruck kommende Denkblockade ist bis heute nicht gelöst. In ihrem Programm zur Landtagswahl 2016 versprach die CDU, das Rad in der Bildungspolitik wieder zurückzudrehen. Auch deshalb hat sich die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doro Moritz, in einem Schreiben an Strobl und Wolf gewandt mit der Forderung, die unter Grün-Rot begonnenen Reformen fortzusetzen und auszubauen.
6 Kommentare verfügbar
Katrin Komm
am 23.04.2016