Wahrscheinlich wissen die meisten derer, die eigene Befindlichkeiten und das Streben nach Macht über alles stellen, gar nicht, wer Franz Josef Degenhardt war. Der 2012 verstorbene Liedermacher und RAF-Verteidiger verspottete in seiner Ballade "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" bürgerliche Borniertheit und krampfhaftes Festhalten an überkommenen Gesellschaftsbildern. Das muntere Lied stammt aus den Sechzigerjahren und ist wieder von erschreckender Aktualität. Ausgerechnet jene Kräfte, die so viel Wert legen auf ihre Verdienste für das Land, verweigern sich dem Gemeinwesen, weil ihre Wunschkoalition keine Mehrheit hat und sie ihre ganz eigenen Interessen verfolgen.
Allen voran der CDU-Kreisverband Stuttgart. Der will einen Mitgliederentscheid schon vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Partei, die alle Direktmandate in der Region gewann und die Schwarzen in der Landeshauptstadt auf gerade noch 22 Prozent drückte. Die Stuttgarter wollen damit jede Chance auf Grün-Schwarz zunichte machen. "Weil es überhaupt kein Verständnis an der Basis gäbe, mit den Gegnern von gestern morgen gemeinsame Sache zu machen", sagt einer. Und weil es bei der CDU "keine Figur mit Strahlkraft" gebe, die die Mitglieder von "Kiwi" überzeugen könnte. Der Spitzname für die bundesweit bisher einmalige grün-schwarze Partnerschaft stößt zahlreichen Unionisten bitter auf: In der Frucht, sagen sie, gebe es doch bloß ein paar schwarze Kerne.
Die WählerInnen werden für dumm verkauft
Diese Geisteshaltung ist schon schlimm genug. Noch schlimmer allerdings, dass die Wähler und Wählerinnen doppelt für dumm verkauft werden sollen. Auf einmal reden alle über Inhalte, an denen jetzt alles zu messen sei, sagen Guido Wolf und Hans-Ulrich Rülke, die Spitzenkandidaten von CDU und FDP, unisono. Dabei will sich das schwarz-gelbe Lager einfach nicht in die Erkenntnis fügen, dass dieses Wahlergebnis als Auftrag an den amtierenden Ministerpräsidenten zur Regierungsbildung gedeutet werden muss. Vor allem die Liberalen stülpen ihrem Nein die seltsame Begründung über, es gebe ja kaum Schnittmengen mit den Grünen.
Was nicht stimmt. Natürlich könnte ausgelotet und getestet werden, könnte die FDP auf Positionen beharren, andere fallen lassen, Kompromisse eingehen, Stolpersteine ausklammern – kurzum: verhandeln, so wie sie das ohne Zögern mit der CDU täte, hätte die am Sonntag gewonnen. Sie will aber nicht. Rülkes Liberale wollen nicht spielen mit den Schmuddelkindern, die in ihren Augen noch immer nicht salonfähig sind, obwohl sie doch Birkenstocksandalen, selbst gestrickte Pullover und Revoluzzerattitüde längst abgelegt haben.
17 Kommentare verfügbar
Schwabe
am 20.03.2016O-Ton Winfried Kretschmann ziemlich direkt nach seiner Machtübernahme 2011 "Wir sind eine bürgerliche Partei".
Egal wie es kommt, es wird immer eine bürgerliche Koalition geben. Übrigens kann man dies auch an der praktizierten Politik ablesen.