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Ein Solitär

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Den verstorbenen Peter Conradi kennt unser Autor seit Jahren. Nicht nur als SPD-Genossen, sondern auch als Kämpfer gegen Stuttgart 21. Dabei habe sich Conradi vom abgehobenen Einzelgänger zum unanfechtbar aufrechten Demokraten gewandelt.

Pflegeleicht war er gewiss nicht. Doch unverwechselbar. Und das nicht nur wegen seiner (sicherlich auch selbstverliebten) Gewohnheit, bei keinem seiner öffentlichen Auftritte gleichsam als Erkennungsmerkmal auf seine Fliege zu verzichten – sondern viel mehr, weil mit ihm eine Persönlichkeit ihre Meinung zu äußern pflegte, wie sie sich heutzutage auf dem breiten Feld der demokratischen Politik allenfalls noch als Solitär finden lässt.

Kaum jemand hat öfter und intensiver als Peter Conradi mit seiner Partei gehadert, ja im Krach gelegen. Trotzdem hat er ihr bis zum Schluss und seit mehr als 55 Jahren treu angehört: der SPD. Nicht nur einmal haben viele seiner Weggenossen, so auch ich, ob seiner eigenwilligen Halsstarrigkeit den Kopf geschüttelt. Mehr als das: Hie und da hat er sie zur Weißglut getrieben, sie haben sich gefragt, warum sie sich das eigentlich von einem ständigen Unruhestifter wie ihm gefallen lassen sollen – oder warum er nicht von sich aus geht.

Beispiele fielen mir zur Genüge ein. So zuletzt, als er meinte, gut beraten zu sein, sich bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart öffentlich gegen die Kandidatin der eigenen Partei und für den Kandidaten einer anderen Partei auszusprechen. Ein weiteres Mal im Zusammenhang mit der ominösen "Agenda 2010" eines eher nassforschen Bundeskanzlers, als er verkündete, fortan seine Mitgliedschaft ruhen zu lassen, und zwar so lange, bis die Partei wieder zur Vernunft – sprich: der seinen – zurückgekehrt sei.

Aus dem Wege ging er jedenfalls keinem Streit. Nicht nur mit den eigenen Freunden, sondern noch viel lieber mit politischen Gegnern, denen er von Fall zu Fall nicht nur ihren Sachverstand, sondern auch ihr soziales Engagement oder gar ihr Verantwortungsbewusstsein abzusprechen pflegte. In dieser Hinsicht war er ein in der Wolle gefärbter Architekt, tief davon überzeugt , dass Bauen mehr sein muss als die Befriedigung der Profitinteressen von sogenannten Investoren, dass Bauen ohne das Bewusstsein der damit verbundenen Verantwortung für das gemeine Wohl seinen Namen nicht verdient. Zum Bannerträger dieser existenziellen Verpflichtung wurde er schließlich, von den einen hochgeschätzt, von den anderen hämisch herabgesetzt, während der Auseinandersetzung um Stuttgart 21.

Dabei ließ er sich in keinem Augenblick dazu verleiten, mit an den Haaren herbeigezogenen Scheinargumenten oder unbewiesenen Vermutungen gegen das Vorhaben (oder andere) zu polemisieren. Als Mitglied der von Heiner Geißler geleiteten Schlichtungskommission baute er vielmehr unbeirrt auf sachliche Vernunft – vergebens.

Inzwischen weiß jede und jeder, wie weit sich die verantwortlichen Akteure bei der Bahn und in der Politik mit dem Projekt vergaloppiert haben. Die wenigstens geben das zu, weil es in der Tat keinen Weg mehr gibt, der an den mit Irrtümern und Täuschungen gespickten Anfang zurückführen könnte. Die Bundeskanzlerin hat seitdem schon mehrfach am eigenen Leibe und als Folge eigenen Handelns erfahren müssen, wie viel einfacher es zu sein scheint, den Ruf des eigenen Landes als europäischer Musterstaat zu verspielen, als den Mut und die Führungskraft aufzubringen, aus guten Gründen ein schlecht geplantes europäisches Eisenbahnprojekt abzublasen.

In den gängigen Nachrufen war alles andere aus dem langen Leben von Peter Conradi schon zur Genüge nachzulesen: seine Kandidatur im Oberbürgermeister-Wahlkampf 1974 gegen Manfred Rommel, seine 25-jährige Mitgliedschaft im Bundestag, seine Jahre als Präsident der Bundesarchitektenkammer und sein vielfältiges bürgerschaftliches Engagement (nicht zuletzt als Mitinitiator des Neuen Montagskreises im Stuttgarter Theaterhaus). Seit Stuttgart 21 hatte er sich jedenfalls mit einem Mal vom abgehobenen Einzelgänger, bis zu seinem Tode in den charakteristisch angepassten Stuttgarter Printmedien allenfalls noch mit einem mitleidig-süffisanten Lächeln wahrgenommen, zu einem unanfechtbar aufrechten Demokraten gewandelt – zu einer mit Ausnahme der unbelehrbaren Dummköpfe allseits geachteten, ja respektierten Persönlichkeit.

Angetrieben hat ihn bei alle dem immer wieder unbezähmbare Wut: Wut über ungerechte Behandlung, über die Verweigerung gleicher Chancen für alle, über das eigensüchtige Verhalten von Trägerinnen oder Trägern politischer Ämter, über das Fehlen von Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl. Dann aber gab es kein Halten: Er musste den Mund aufmachen, musste sich wehren – koste es, was es wolle!

Dass Peter Conradi zudem persönlich ein warmherziger, dem Gesprächspartner vorbehaltlos offen zugewandter und empfindsamer Mensch war, gehört nicht hierher. Vergessen werden darf es dennoch nicht, wenn wir an ihn zurückdenken und dabei zugleich unsere bewährte Mitstreiterin bei Kontext, seine Frau Petra Bewer, im Sinn behalten. Würden uns Menschen wie er nicht so selten geschenkt – den Feinden einer lebendigen, offenen, streitbaren und zugleich dem gemeinen Wohl verpflichteten Demokratie würde es sehr viel schwerer fallen, ihr widerliches Unwesen zu treiben.


Edzard Reuter ist seit 1946 Mitglied der SPD, er kennt und schätzt den verstorbenen Genossen Peter Conradi seit Jahren. Seit 2011 ist Reuter, der ehemalige Vorstandschef der Daimler-Benz AG, Vorsitzender des Beirats im Verein für ganzheitlichen Journalismus, der Kontext herausgibt.


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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Boettel
    am 16.03.2016
    Antworten
    Wieder einer der letzten Aufrechten in der SPD, die von uns gegangen sind. Zumindest ist ihm das desaströse Ergebnis der SPD bei der Landtagswahl erspart gebleiben.

    Ich hatte vorher gehofft, ihn beim nächsten Treffen der SPD-Mitglieder gegen S21 wieder zu sehen. Seine Analysen und Stellungnahmen…
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