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Wahlnacht-Geflüster

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Der Superwahlsonntag hat die Programme gekapert. Unsere Autorin hat sich durchgezappt. Über die Petrysierung des deutschen Fernsehens und erste schüchterne Heiratsangebote in der Nacht der Nächte.

ARD. 17.30 Uhr. Baden-Württemberg sitzt gespannt vor der Glotze. "Alles ist Gift, nur die Dosis entscheidet die Wirkung. Wenn man 'nen Sack Kartoffeln isst, ist man auch tot", sagt Winfried Kretschmann in einem zusammengeschnittenen Vorspann der ARD-Sondersendung zum Wahlabend. Mit diesem Kommentar über Schwarzwälder Schinken im "Bundesland der Tüftler und Denker" wird der grüne Spitzenkandidat und Ministerpräsident bundesweit vorgestellt. Das toppt nur sein Herausforderer Guido Wolf, der dabei gefilmt wird, wie er am Morgen fast seinen Wahlzettel samt Umschlag in die Urne geworfen und damit eine ungültige Stimme abgegeben hätte. Super Typen. Super Bundesland. Super Start in den "Super-Wahlabend".

18.03 Uhr. Schalte zur Grünen-Wahlparty in der Stuttgarter Staatsgalerie. Ein Teenager wirft mit offenem Mund den Kopf in den Nacken und kompensiert mit herzhaftem Gähnen seinen Sauerstoffmangel. Dann Jubeltrubel. Geschafft! Wir sind wieder Kretschmann. Nach kurzer Ektase Ruhe im Karton. Man bangt um den roten Koalitionspartner. Schnitt zur CDU-Beerdigung in den Ratskeller. Hängende Mundwinkel. Ausschließlich Männer im Bild. 18.10 Uhr. Schnitt zu Moderator Jörg Schönenborn. Die ersten Hochrechnungen ploppen auf dem Bildschirm auf, und der Landtagswahlsinn 2016 nimmt seinen Lauf. Grüne 32,1 Prozent. SPD 12,8 (Schönenborn: "Das tut richtig weh!"). AfD 12,5 Prozent. Die Bombe ist geplatzt.

Gerlinde Kretschmann klatscht minutenlang wie ein Honigkuchenpferdle mit roten Bäckchen, als sie bei der Schalte auf die Grünen-Sause neben ihrem Mann steht. Doch länderübergreifend werden sich in den folgenden vier Stunden TV-Wahlberichterstattung nur die AfDler freuen. "Ihr habt zu Recht geklatscht und die Grünen zur stärksten Kraft gemacht", sagt Winfried Kretschmann, als er endlich zu Wort kommt. Gerlinde Kretschmann wird's ganz heiß, weg mit dem Schal. Eine Regiestimme aus dem ARD-Off erklärt den verblüfften ZuschauerInnen, dass sie "komplett auf der anderen Seite des Raumes stehe" – Tonprobleme. Schnitt zu Brigitta Weber ins Studio Mainz, die "Frau, äh, tschuldigung, Herrn Petry" von den rheinland-pfälzischen Grünen ein Statement abringen will. Webers Versprecher kommt nicht von ungefähr. Als die AfD um 18.35 Uhr in Baden-Württemberg 13,1 Prozent hat, prägen manisch-fröhliche Rechtspopulisten das Bild des Wahlabends. Weitergezappt.

Carglass repariert auch in der Wahlnacht

Während sich Guido Wolf (CDU) auf n-tv mit seinem abendprägenden "Grün-Rot ist abgewählt"-Mantra die Wahlschlappe schönredet, brüllt der AfD-Spitzenkanditat André Poggenburg nach einem Schnitt nach Magdeburg, dass jetzt der "kleine Mittelstand" gefördert werde. Der n-tv-Moderator Heiner Bremer philosophiert derweil darüber, was Mama Merkel bloß über die abgestunkene CDU am Morgen danach sagen wird. Dann erst mal Werbung: "Carglass repariert. Carglass tauscht aus." Weitergezappt.

"Das ist das AfD-Gefühl! Endlich wieder zusammen zu stehen!", schreit Frauke Petry in einer ersten Stellungnahme auf N24 in völlig verzerrter Tonqualität. Volksempfänger-Feeling straight outta Berlin. Neben ihr steht eine diesmal nicht getortete Beatrix Amelie Ehrengard Eilika von Storch. "Stellen Sie sich nur mal vor, wo das Ergebnis gelegen wäre, wenn wir eine halbwegs sachliche Berichterstattung gehabt hätten", sagt Petry mit pochender Halsschlagader. Schnitt ins N24-Studio, wo Gastkommentator Michel Friedman auf seinen Einsatz wartet. "Die Wölfe haben ihren Schafspelz im Wahlkampf sogar ausgezogen und offen ihre menschenfeindlichen Politik propagiert", sagt das entsetzte CDU-Mitglied, das Anfang der Nullerjahre als "Paolo Pinkel" auf Koks mit Prostituierten koalierte. Schnell werden vom Moderator noch alle möglichen Landtagskoalitionen dreier Bundesländer wie auf Speed durchdekliniert, dann füllt Frauke Petry mit verbissener Miene wieder das Bild: "Es ist wishful thinking von Merkel, dass die AfD nach der Migrationskrise wieder in der Versenkung verschwindet." Weitergezappt.

Auf Phoenix werden André Poggenburgs Freudenschreie auf Gebärdensprache übersetzt. Im Kopfkino schleicht sich die Fantasie ein, dass der wild gestikulierenden Gebärdensprecherin die Mittelfinger entgleisen. Weitergezappt.

Auf Euronews, CNN, Aljazeera, Russia Today und dem türkischen Sender TRT kümmert man sich wenig um die drei Landtagswahlen. Während das deutsche Fernsehen petrysiert ist, gibt es andernorts größere Probleme. "Breaking News" zu den Terroranschlägen an der Elfenbeinküste und in Ankara beherrschen das Programm. Lediglich eine durchlaufende Bauchbinde weist auf allen Sendern darauf hin, dass "Merkels Konservative in zwei von drei Landtagswahlen verlieren". Nur Euronews gönnt seinen ZuschauerInnen als einziger ausländischer Sender in der Bauchbinde noch den Zusatzhinweis, dass die Deutschen Merkel für ihre Flüchtlingspolitik bestrafen – mit einem großen Votum für die "anti-immigration alternative for germany". Weitergezappt.

"Gruselig und beschämend"

Im SWR-Studio stehen mittlerweile alle männlichen baden-württembergischen Spitzenkandidaten am Koalitions-Orakel-Tisch. Alle sichtlich gerädert, bis auf den dauergrinsenden Jörg Meuthen von der AfD. Nils Schmid bedauert mit Augenringen bis zum Boden "den bitteren Tag für die SPD". Der Kretschminator scheint nie blinzeln zu müssen und macht mit krächzender Stimmt klar, dass er mit der AfD nix zu tun haben will. Auch Guido Wolf fällt es stimmlich schwer, sein Mantra ("Grün-Rot ist abgewählt") abzuspulen. Auch wenn alle Kerle sichtlich abgeschafft sind, wird mit letzter Kraft Potenz suggeriert. Keine Wassergläser weit und breit. Kollektives Husten.

Den "Ehe-Anbahnungen" am Tisch steht Meuthen entspannt gegenüber. Zwar will niemand die AfD heiraten, doch Meuthen fantasiert sich munter in den Bundestag und freut sich auf eine "vitale Oppositionspolitik". Hans-Ulrich Rülkes erstarkte FDP wiederum ist auf dem Heiratsmarkt einigermaßen begehrt, einer Ampelkoalition erteilt der FDP-Häuptling aber gleich mal eine Absage. Auch als Kretschmann erneut ankündigt, mit ihm "reeeeden" zu wollen, bleibt Rülke hart und meidet Augenkontakt: Keine Ampel? "So ist es." Hust, räusper, hust. Schalte in die einstige SPD-Hochburg Mannheim, wo SPD-Chef Wolfang Katzmarek von "blankem Entsetzen" gepackt ist, als klar wird, dass Rüdiger Klos von der AfD ein Direktmandat erobert hat. In der SWR-Statistik kann er "leider nicht mit Bild" gezeigt werden, weil Klos dem SWR die Rechte an seinem Bild verweigerte. Vom "blanken Entsetzen" zu den "First Ladies" ins neue Schloss.

Gerlinde Kretschmann freut sich "ganz, ganz arg" für ihren Mann. Hätte sich jedoch wieder Grün-Rot in der Regierung gewünscht. Nils Schmids First Lady Tülay ist trotz Schlappe "stolz auf die vielen Wahlkämpfer, die uns geholfen haben". Hans-Ulrich Rülkes Frau, Karin Kropp, ist in Feierlaune und findet es "gruselig und beschämend", dass ihr Wohnort Pforzheim eine AfD-Hochburg ist. Und Barbara Wolf? Die scheint wenig berührt und spult obligatorisch ab, dass sie sich das CDU-Ergebnis besser gewünscht hätte. Gäbe es sichtbare Denkblasen wie im Comic, würde bei Frau Wolf "Was juckt's mich denn" stehen. Schnell wieder zurück ins SWR-Studio, wo jetzt Beiträge aus dem Internet interpretiert werden. Twitter-User "@Vodermann" fordert die FDP auf, "Grünes Licht für die Ampel" zu geben, "die liberale Kraft wird für #mehrfreiheit benötigt". Dass der User mit dem Cannabis-Blatt als Profilbild dabei eine besondere Freiheit im Sinn haben dürfte, scheint der Social-Media-Beauftragten des SWR zu entgehen. Lustig findet sie dann doch ein süßes Katzenbild und den Namensvorschlag eines Users für eine Grün-Schwarz-Regierung: Kiwikoalition. Weggezappt.

Gegen 22 Uhr schaltet das ZDF noch mal nach Sachsen-Anhalt, hier sind Freudentränen geflossen. "Ich hab vor Glück geweint – wie nach dem Mauerfall. Die zweite Wende passiert jetzt hier", wimmert AfD-Sympathisant Holm Gerlach mit Tränen in den Augen und Deutschland-Fahne um den Hals fast herzzerreißend auf der Wahlparty der Rechtspopulisten. Um 22.03 Uhr ist Kretschmanns Stimme dann vollends hinüber. Mit letzter Kraft stellt er im ZDF-"heute-journal" fest, dass das vorige Bündnis "Kür" war. "Jetzt kommen Bündnisse, die sind Pflicht." "Was werden sie denn tun, um möglicherweise Grün-Schwarz – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – hinzubekommen im Ländle?", fragt Christian Sievers forsch. "Ja, einfach mit ihnen reeeeden", erklärt Kretschmann. Sievers: "Das reicht schon?" Kretschmann: "Ja, so fängt doch alles an. Was soll man den sonst tun außer reeeden?" Für heute ist erst mal genug geredet. Wasser trinken. Ausgezappt.


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