Aus Sicht von EU-PR-Chef Lutz Güllner sind die Verhandlungen auf diesem guten Weg. Gerade auch was Transparenz betreffe. "Jede Position wurde vorher mit den Mitgliedsstaaten abgesprochen", betonte er. Was die einzelnen Mitgliedsstaaten ihrer Bevölkerung kommunizierten, sei Aufgabe der jeweiligen Regierung, schob Güllner den Schwarzen Peter weiter. Schließlich habe man sämtliche Verhandlungstexte veröffentlich: "Alles finden Sie im Netz, jeder kann alles schwarz auf weiß nachlesen." Güllners Beteuerung kommentierte das Publikum mit Gelächter. Schließlich hatte die Kommission ihre Positionspapiere erst auf öffentlichen Druck veröffentlicht. Und letztlich sind sie Absichtserklärungen und noch lange kein Vertragstext, wie TTIP-Kritiker betonen.
Güllner sieht die Bringschuld der Kommission erfüllt und attackierte die inzwischen <link https: stop-ttip.org de external-link-new-window>gut drei Millionen Unterzeichner einer europaweiten "Stop TTIP"-Initiative. So gebe es beispielsweise keine Debatte über das derzeit ebenfalls auszuhandelnde Freihandelsabkommen mit Japan. "Bei TTIP reibt man sich an Buchstaben, über den Handel allgemein, das Verhältnis zu Amerika und an den europäischen Institutionen", erklärte er. Bei einem Handelsvolumen von jährlich 750 Milliarden Euro mit den USA, umgerechnet täglich zwei Milliarden Euro, sei TTIP ein enorm wichtiges Abkommen für die Staatengemeinschaft. "Selbst kleinste Fortschritte, etwa bei den Zöllen, bedeuten große Veränderungen", betonte er. Dabei seien die Amerikaner eigentlich dankbare Verhandlungspartner: "Es gibt nicht viele Partner in der Welt, die ähnliche Vorstellungen wie wir Europäer haben."
Ängste? Unberechtigt!
Kein Grund zur TTIP-Panik sieht auch Daniel Caspary, CDU-Abgeordneter im Europarlament, dessen konservative Mehrheit sich vor Kurzem hinter TTIP gestellt hatte. "Wir sind in der Lage, das Abkommen zu kontrollieren", versicherte der Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Internationalen Handelsausschuss. Die Abgeordneten würden Vertragsinhalten, die Schutzstandards gefährdeten oder die Daseinsvorsorge Investoren überließen, nie zustimmen. Ängste seien auch im Kultur- und Medienbereich unberechtigt. "Der Gemeinderat vor Ort entscheidet weiterhin, ob ein kommunales Theater bezuschusst wird", bekräftigte er. Auch würden die EU-Parlamentarier keine Änderungen am Finanzierungssystem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks akzeptieren.
Im Übrigen sei TTIP nur eines von vielen Handelsabkommen, mühte sich Caspary das Streitthema zu relativieren: "Auf EU-Ebene existieren 1400 Abkommen, Deutschland selbst hat 140 bilaterale Verträge geschlossen." Viele der Verträge enthielten Investitionsschutzklauseln, die in Streitfällen die aktuell bei TTIP heftig kritisierten Schiedsgerichte vorsehen. Warum die Vorbehalte dennoch riesig sind, hat für Caspary weniger sachliche Gründe. "Es sind offensichtlich Kräfte dabei, die Bevölkerung zu verunsichern", betonte er. Und empfahl Zurückhaltung: "Wir sollten es mit der Transparenz nicht übertreiben. Die Bürger sollten nicht Zugang zu geheimen Verhandlungstexten, sondern zu verständlichen Informationen bekommen."
Damit punkteten Güllner und Caspary aber offenbar kaum. Bei den Wortmeldungen waren die TTIP-Kritiker deutlich in der Mehrheit. Viele betonten die Unterschiede in Lebens- und Wirtschaftsbereichen. "In den USA ist akademische Bildung eine Handelsdienstleistung, und Studierende werden als reine Konsumenten gesehen", betonte Astrid Beckmann. In Deutschland stehe Bildung jedoch in gesellschaftlicher Verantwortung, was den Zugang aller zu ihr sichern solle, so die Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz der pädagogischen Hochschulen. Für Beckmann ein unüberbrückbarer Gegensatz: "Bildung ist aus den TTIP-Verhandlungen herauszunehmen."
Einwände gab auch Verdi-Landeschefin Breymaier zu Protokoll. Zwar nehme die EU-Kommission inzwischen die Bedenken von Gesellschaft und Bürgern auf. Doch grundsätzliche Fragen seien nicht ausgeräumt. "Ich habe ein gewaltiges Problem damit, dass ein Investor einen Staat verklagen kann, sobald er nicht genug verdient", kritisierte sie den geplanten Investitionsschutz. Auch sei der Verhandlungstisch einseitig besetzt. "Die Wirtschaft sitzt offenbar mit am Tisch, Verbraucherschützer und Gewerkschafter aber nicht."
Ein gutes Handelsabkommen dürfe nicht nur den Abbau von Handelshemmnissen zum Ziel haben. Die Sicherung und Verbesserung von Arbeitnehmerrechten und Sozialstandards gehörten zwingend mit auf die Agenda, betonte auch der DGB-Landesvorsitzende Nikolaus Landgraf. Die Gewerkschaften erwarteten, dass sich "ein angeblich so wegweisendes Abkommen wie TTIP an den grundlegenden Normen der internationalen Arbeitsorganisation ILO" orientiert. "Die USA haben sechs von acht ILO-Kernarbeitsnormen noch nicht ratifiziert. Es kann nicht angehen, dass sich eine Wirtschaftsmacht wie die Vereinigten Staaten nicht zum Recht auf Vereinigungsfreiheit bekennen", kritisierten Breymaier und Landgraf.
"Es geht nicht nur um Bremsbeläge"
Gegensätze betonte auch Cornelia Tausch vom Vorstand der Verbraucherzentralen. Beim Verbraucherschutz gelte in Europa das Vorsorgeprinzip, in den USA dagegen das Nachsorgeprinzip. Dieser unterschiedliche Ansatz eröffne US-Unternehmen den Klageweg. "Ich sehe nicht, wie sich beide Schutzprinzipe bei TTIP verheiraten lassen", so Tausch. Grundsätzliche Kritik übten Kirchenvertreter und Globalisierungsgegner. "Wenn wir nur immer schauen, was gut für uns ist, dann ist das angesichts der derzeitigen Lage zynisch und unverantwortlich", spielte Attac-Vertreter Alexander Schauenburg auf die aktuellen Flüchtlingsströme an.
"Es geht nicht nur um Bremsbeläge, sondern um zwei Welten, die meilenweit auseinanderliegen", nannte die BUND-Vorsitzende Dahlbender den unterschiedlichen Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen und Lebensmitteln als Beispiel. Sie befürchtet, dass europäische Schutzstandards schleichend ausgehöhlt werden könnten. "Wir starten mit einem TTIP light und bekommen anschließend die Dinge, die wir nicht wollen." Möglich werde dies durch die sogenannte kooperatorische Regulation, die neue Gesetze und Verordnungen künftig von der Zustimmung des jeweils anderen Handelspartners abhängig macht. TTIP-Kritiker sehen darin eine Gefahr für die Demokratie, da die Klausel die Entscheidungsspielräume der Parlamente schwäche, während Konzerne und Wirtschaftsverbände an Einfluss gewinnen würden.
15 Kommentare verfügbar
Manfred Fischer
am 10.10.2015Ich gehe mal von einer theoretischen Annahme aus, dass sich in dem Beirat Kritiker und Unkritische die Waage halten. Was aber dann, wenn, wie im obigen Artikel von Frau…