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"TTIP wird kommen"

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Ein halbes Jahr hat SWR-Journalist Tilman Achtnich zu TTIP recherchiert. Für seine TV-Doku über das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, Mitte Mai in der ARD ausgestrahlt, hat er mexikanische Bauern, amerikanische Arbeiter und deutsche Mittelständler besucht.

Glaubt man den Protagonisten von TTIP, dann wird das Freihandelsabkommen zwischen Europa und USA segensreich sein. Viele neue Jobs, mehr Wohlstand für alle – jährlich 500 Euro pro deutschem Haushalt, statistisch gesehen. Tilman Achtnich misstraute den Versprechungen der Befürworter aus Wirtschaft und Politik früh. Zu einem Zeitpunkt, als das Megavertragswerk in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, und es europaweit zu ersten Demonstrationen und Unterschriftenaktionen dagegen kam.

"Im vergangenen Sommer habe ich das Thema für die Chefredakteur-Konferenz in der ARD eingereicht", erzählt der Journalist und Filmautor über das "Making of ..." seiner Dokumentation, die den Titel "Wohlstand für alle – Was bringen Freihandelsabkommen?" trägt. In Verdi organisierte Medienschaffende hatten den preisgekrönten Dokumacher eingeladen, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Zu erzählen gab es viel, auch weil zwischen der ersten Idee und dem Sendetermin fast ein Jahr lag und jede Menge Recherchearbeit. "Der Beitrag sollte über die Chlorhühnchengeschichte hinausgehen, ich wollte einen größeren Fall finden", blickt er zurück. TTIP beschränke sich nicht auf die Haltbarmachung von Hühnerfleisch, auf gelbe oder rote Autoleuchten oder die deutsche Buchpreisbindung. Das anvisierte Abkommen tangiere viel mehr, nämlich nahezu alle Wirtschafts- und Lebensbereiche dies- und jenseits des Atlantiks.

Sechs Monate recherchierte Achtnich. "Es gärt in mir, während auf Papier der Berg an Fakten weiter wächst", schildert er, wie sich sein Film entwickelte. Er entschied sich, nicht nur Befürworter und Gegner von TTIP aus Deutschland und den USA zu Wort kommen zu lassen, sondern wollte auch beispielhaft zeigen, welche Folgen ein früheres großes Abkommen hatte. Achtnich sah sich das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) genauer an, das im Jahr 1994 auch auf starkes Drängen des damaligen demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft trat.

In der Doku lässt Achtnich amerikanische Autoarbeiter aus der Umgebung Detroits zu Wort kommen, deren Arbeitsplatz durch NAFTA nach Mexiko verlagert wurde. Das SWR-Team fuhr nach Ciudad Juarez, der mexikanischen Grenzstadt, in der die neuen Fabriken entstanden, die heute die Detroiter Autoteile produzieren. Achtnich sprach mit einem mexikanischen Fabrikarbeiter, "der drei Tage arbeiten muss, um das zu verdienen, was die amerikanischen Arbeiter in einer Stunde verdienen", wie es im Film heißt.

Die mehr als dreiwöchigen Dreharbeiten führten das SWR-Team auch in ein mexikanisches Dorf, wo Kleinbauern erzählten, wie NAFTA ihnen die Lebensgrundlage raubte. Die Zuckerkooperative ging pleite, weil der große Nachbar den Kontinent mit billigerem Maissirup überschwemmt. Selbst Tomaten und Zwiebeln lassen sich auf heimischen Märkten kaum zu angemessenen Preisen verkaufen. Die Hoffnung der Campesinos hängt nun an den verfallenen Kolonialgebäuden der Kooperative. "Dort könnte ein Luxushotel entstehen und neue Jobs", schilderten sie dem deutschen Filmteam ihre Vision. Ein Investor ist bis heute nicht in Sicht. "Ich war total überrascht, wie präsent NAFTA nach mehr als zwanzig Jahren noch bei den mexikanischen Kleinbauern war. Es ist bis heute ein Thema auf der Straße", beschreibt der Journalist seine Eindrücke, die er bei den Betroffenen des viel gepriesenen Handelsabkommens gewann.

Drei Wochen dauerte der Schnitt, rund 80 000 Euro kostete der 45-minütige Beitrag. "Das ist viel Geld für eine Dokumentation", sagt Achtnich. Und fast nichts im Vergleich zum "Musikantenstadl", der 1,2 Millionen Euro Produktionskosten verschlingt, merkt ein Zuschauer an. "Es gab keinerlei Einflussnahmen, was der Film inhaltlich transportieren soll", bestätigt der Autor. Die einzige Maßgabe sei Ausgewogenheit gewesen. "Und die gibt es immer." 

"Der Film kam auf alle Fälle gut an, was alle Zuschauerreaktionen zeigten", betont der Autor. Auch die Einschaltquote lag im oberen Bereich. Kritik äußerten viele der begeisterten Zuschauer dennoch: am späten Sendeplatz. Der Filmautor selbst nimmt's gelassen. "Seit Jahren wurden Dokumentationen auf immer unattraktivere Sendeplätze verschoben. Mit dem Montagstermin um 22.45 Uhr kann ich leidvoll damit leben", sagt er.

Daneben sei die deutsche Gesellschaft hinsichtlich der Wissenstiefe zu TTIP total gespalten, glaubt Achtnich: "Viele wissen nichts über das geplante Abkommen, wenige sind dagegen sehr gut informiert. Und dazwischen gibt es nichts, was TTIP von anderen umstrittenen Themen unterscheidet." Dabei sei das Informationsangebot nicht nur im Fernsehen groß, wo beispielsweise die ARD eine TTIP-Themenwoche sendete. Auch Zeitungen berichteten regelmäßig über die Verhandlungen, "man könnte sich regelrecht daran totlesen". Nichtsdestotrotz bleibe die Frage: Wer liest das alles, und versteht es auch jeder? "Das Thema ist schwer zu durchdringen", meint Achtnich, "da tun sich Politiker als auch wir Zeitungsleser schwer damit." Im Übrigen habe es keinerlei Reaktionen auf seinen Beitrag seitens derjenigen gegeben, die das Abkommen derzeit verhandeln oder später auch beschließen müssen. "Politiker halten sich in solchen Fällen meistens zurück."

Trotz der europaweiten Kritik an TTIP werde das Freihandelsabkommen beschlossen, prognostiziert Achtnich. "Es wird kommen", sagt er.


Tilman Achtnich arbeitet seit 1982 als Journalist, zunächst im Hörfunk, seit 1985 im Fernsehen des SWR. Viele seiner Filme sind prämiert worden. Die TTIP-Doku kann in der <link http: www.daserste.de information reportage-dokumentation dokus videos die-story-im-ersten-wohlstand-fuer-alle-was-bringen-freihandelsabkommen-100.html _blank>ARD-Mediathek angeschaut werden.


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9 Kommentare verfügbar

  • Stefan
    am 07.07.2015
    Antworten
    Zuerst hat die USA es mit Mc Donalds probiert und ist den Europäern nicht Herr geworden. Dann haben sie die Abneigung gegen die UdSSR und Nachfolger geschürt, hat aber auch nicht gereicht. Einen Krieg gegen ein unterentwickeltes Land geführt wegen Massenvernichtungswaffen und eigentlich ging es ums…
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