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Immer auf Achse für die Bürger

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Die Stuttgarter Gemeinderäte wollen mehr Geld. Die Kritik vonseiten der Verwaltung und in den Medien ist teils harsch. Doch manche Räte betreiben ihr Ehrenamt fast wie einen Vollzeitjob. Zum Beispiel die Stadträtin Maria Hackl.

Manche Debatten dauern länger als nötig. Es ist Montag, vor dem Rathaus demonstrieren die S-21-Gegner, im Rathaus fordert der Stadtjugendring mehr Einbindung bei den Ganztagsschulen, eingeladen hat die SPD-Fraktion. Der Geschäftsführer des Verbands erklärt, dass die Schulen künftig beim Stadtjugendring wegen Angeboten anfragen sollen. Von der SPD heißt es, dass sich Schulleiter über mehr Initiative von den Vereinen freuen würden. So geht das wohl schon eine halbe Stunde. "Wir drehen uns im Kreis", sagt SPD-Stadträtin Maria Hackl in ihrem bayrischen Dialekt. 

Es ist 18.40 Uhr. Nach weiteren zehn Minuten ist das Thema im Rathaus beendet. Zuvor ging es um Probleme beim Runden Tisch gegen rechts, davor um den Wunsch nach einem Jugendverbandshaus. Dies ist der dritte Termin Hackls an diesem Tag im Dienste des Bürgers. Am Mittag informierte sie sich über die Belange von behinderten Menschen, am Nachmittag über Bestattungen von bedürftigen Menschen. Jetzt also über Angebote für die Jugend. Der Feierabend winkt in ungefähr einer halben Stunde.

Die Stuttgarter Stadträte fordern aktuell eine höhere Aufwandsentschädigung. Schließlich sei die Arbeit in den vergangenen Jahren deutlich umfangreicher geworden, argumentieren sie. 1600 Euro statt 1200 Euro monatlich, so lautete der erste Vorschlag. Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) befürchtete Vermittlungsschwierigkeiten, man müsse immerhin bedenken, dass dies ein Ehrenamt sei. Nun hat sich die Mehrheit der Räte auf 1500 Euro geeinigt.

Manche Stadträte shoppen während den Sitzungen

Doch welche Bezahlung ist angemessen für ein Ehrenamt mit einer 30-Stunden-Woche und der Verantwortlichkeit für einen Milliardenhaushalt? Was ist der Gesellschaft eine engagierte Vertretung der eigenen Interessen wert? Es gibt in Stuttgart Stadträte, die in Sitzungen lieber auf ihrem Tablet im Netz shoppen. Es gibt Stadträte, die in Ausschüsse gehen, ohne eine Vorlage gelesen zu haben. Aber es gibt auch solche, die viel Zeit investieren, um informiert und kompetent entscheiden zu können. 

Maria Hackl ist schwer zu übersehen, schwer zu überhören – und schwer zu ignorieren. Erstaunlich bei einer Größe von 1,37 Meter. "So steht es in meinem Pass, ich glaube, ich schrumpfe schon im Alter", sagt die 54-Jährige mit ihrer durchdringenden Stimme, "ich war schon immer klein, aber frech." Stunden vor dem Treffen mit dem Stadtjugendring läuft Hackl mit schnellen Schritten – kurze, schwarze Haare, roter Schal, schwarze Lederjacke über dem roten Pullover – zur Stadtbahn-Haltestelle am Ostendplatz.

Das Stadtratsmandat als ausfüllendes "Hobby"

Es ist Montag, 12.15 Uhr, und ihr Arbeitstag ist offiziell bereits vorbei. Hackl ist Jugendhilfereferentin bei der Caritas der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Nun wendet sie sich ihrem "Hobby" zu, wie sie selbst sagt: SPD-Stadträtin in Stuttgart. In der Bahn auf dem Weg ins Rathaus trifft sie auf Mitarbeiter der Stuttgarter Straßenbahnen, Hände schütteln, Küsschen links, Küsschen rechts. "Das Amt für öffentliche Ordnung ist doch ein Drecksladen", poltert einer sofort los. Es geht um den Stadtteil Plieningen, ein Parkverbot im Ortskern, das nicht kontrolliert wird. Hackl weiß Bescheid, sie ist zuständig für den Bezirk.

Seit 15 Jahren ist Maria Hackl Stadträtin der SPD in Stuttgart. Sie ärgert sich über die Reaktionen auf die Forderung nach einer höheren Aufwandsentschädigung, vor allem den Vergleich mit anderen ehrenamtlich tätigen Menschen. "Ich trau mich zu sagen, dass kein Ehrenämtler 40 Stunden die Woche unterwegs ist." Mit dem Fußballtrainer, der einige Male in der Woche seine Sportgruppe betreut und mehrere Hundert Euro Aufwandsentschädigung nicht versteuern muss, will sie nicht gleichgestellt werden.

"Von Montag bis Freitag sagt dir der Kalender, wo du abends bist." Samstags und sonntags sei sie ebenfalls als Stadträtin unterwegs. Sie ist Mitglied im Krankenhausausschuss, im Sozial- und Gesundheitsausschuss sowie im Internationalen Ausschuss, außerdem im Frauenhausbeirat und im Aufsichtsrat der Messe. Als Betreuungsstadträtin ist sie regelmäßig in den Bezirksbeiräten von Birkach-Plieningen und Degerloch. Für die Sitzungen im Rathaus bekommt sie 60 Euro, für die des Aufsichtsrats 102 Euro plus 1020 Euro im Jahr.

Alle anderen Termine soll die Aufwandsentschädigung abdecken. Aktuell erhält Hackl pauschal 1200 Euro plus 300 Euro als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Im Schnitt erhält sie an die 300 Euro an Geld für Sitzungen im Monat. Allerdings muss sie 200 Euro an die Partei abgeben. Die verbleibenden im Schnitt 1600 Euro muss sie versteuern – da sie allein lebt, in der höchsten Steuerklasse. Rund 1000 Euro bleiben übrig.

Politikwissenschaftler sieht Stadträte unterbezahlt 

Die "Jahresversammlung aller Schwerbehinderten, Gleichgestellten und Minderbehinderten der Stadtverwaltung und des Klinikums Stuttgart" steht für Hackl bei ihrem "Hobby" als Erstes auf dem Tagesplan. Zweieinhalb Stunden geht es um die Situation von behinderten Menschen im öffentlichen Dienst sowie Tipps für die Gesundheit im Beruf. Auf der Tagesordnung reihen sich Begrüßung, Grußwort, Bericht, Berichterstattung aneinander. Die Sitzung im großen Sitzungssaal des Rathauses ist nicht öffentlich.

Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling findet die Diskussion über die Aufwandsentschädigung ungehörig. "Die Neiddebatte ist fehl am Platz. Wenn die Stadträte einen anständig vertreten sollen, dann muss man sie auch anständig bezahlen", sagt Wehling. "Was in Stuttgart besonders stört, ist, dass der Aufwand für eine Tätigkeit im Stadtrat dem Aufwand eines Landtagsmandats entspricht – nur dass man nicht so viel Geld bekommt."

Münchener Abgeordnete stehen besser da

Die Landtagsabgeordneten von Baden-Württemberg verdienen aktuell 7290 Euro als Entschädigung für ihre hauptamtliche Tätigkeit. Hinzu kommen noch vierstellige Beträge für Reisen und Büroausgaben sowie für die Altersvorsorge. In dieser Höhe müssten die Stadträte nicht entlohnt werden, sagt Wehling. Aber als Orientierung könnten die Beträge dienen. Schließlich wolle man nicht nur Kandidaten anziehen, die sich einen beruflichen Vorteil vom Amt versprächen – oder sich in zig Aufsichtsräten engagierten, um sich dort für ihre Arbeit als Stadtrat bezahlen zu lassen. In München erhalten Stadträte als Aufwandsentschädigung 2459 Euro plus Sitzungsgelder.

"Ich will nicht jammern", sagt Hackl. Immerhin kann sie als Stadträtin "mitgestalten, etwas bewegen": "Ich bin überzeugt, dass Strukturen Verbesserungen schaffen." Gut gemachte Gesetze würden den Menschen das Leben erleichtern, beispielsweise würden barrierefreie Gebäude nicht nur "dem Rolli-Fahrer helfen, sondern auch dem Rollatoren-Geschwader und den Kinderwagenschieberinnen". Auch über die bessere Gestaltung eines Spielplatzes oder die Sicherung eines internationalen Mädchentreffs freut sie sich noch nach Jahren.

In der "Kostbar", einem Glaskubus hinter dem Rathaus, trifft sich Hackl am Nachmittag mit dem Bestatter Helmut Ramsaier. Der 66-Jährige und die Stadträtin sitzen beide am Runden Tisch Friedhofskultur. Ramsaier informiert Hackl mit seiner ruhigen Stimme über Sozialbestattungen. Es geht um Holzkreuze, Särge und Musik bei der Beerdigung – und die Kosten dafür. Es geht dabei auch um die Bestimmungen des zwölften Sozialgesetzbuches. "Man muss nicht Jurist sein", sagt Hackl, "aber zu jedem Handwerk gehört, dass man die entsprechenden Vorschriften kennt." Ramsaier bezeichnet die geforderten 1600 Euro für die Stadträte "als Klacks", allein schon angesichts der Themenvielfalt.

Hackl stammt gebürtig aus Ostbayern, wuchs auf einem Bauernhof auf und studierte Soziologie, Politik und Wirtschaft. Als sie nach ihrer Promotion Anfang der 90er-Jahre nach Stuttgart kam, war sie schon Mitglied der SPD. 1999 trat sie bei der Kommunalwahl für den Stadtteil Degerloch an, wo sie bis heute lebt. Damals startete sie mit einer Fraktion von 15 Räten, heute sind es noch neun.

Beruf und Mandat ergänzen sich inhaltlich

Ihre Tätigkeit bei der Caritas hat Hackl vor ein paar Jahren heruntergefahren, wegen ihres Stadtratmandats. Jahrelang hat sie es mit Freistellungen versucht, irgendwann hat sie lieber auf 25 Stunden reduziert, arbeitet drei Tage nur bis mittags. "Ich schieße mir sozialversicherungspflichtig ins Knie mit der Teilzeittätigkeit." Ihre Rentenansprüche wachsen nur bedingt. Inhaltlich ergänzen sich ihre Arbeit und ihr "Hobby" bestens. Immerhin kümmert sie sich im Stadtrat um soziale Themen – wie im Beruf auch. Bei der Caritas setzt sie sich unter anderem für die Einbindung von behinderten Menschen in Regelschulen ein oder für die Sprachförderung im Kindergarten.

Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle sagt über Maria Hackl: "Sie gehört zu den Engagierten, aber sie ist nicht die Spitze." Die Fraktionsvorsitzenden hätten sicherlich die höchste Arbeitsbelastung. Wölfle sieht den Kompromiss von 1500 Euro als Pauschale für die Räte als "ein Vorgehen mit Augenmaß". Die Gemeindeordnung von Baden-Württemberg lege die Stadtratstätigkeit nun einmal als Ehrenamt fest.

0,06 Prozent des Etats als Aufwandsentschädigung

"Es ist auch eine Ehre, für die Bürger zu arbeiten", sagt Wölfle, der früher selbst Fraktionsvorsitzender der Grünen in Stuttgart und Landtagsabgeordneter gewesen ist. Pro Jahr hat die Stadt Stuttgart laut Verwaltung rund 1,5 Millionen Euro für die Aufwandsentschädigungen der Räte angesetzt. Bei einem Gesamthaushalt von gut 2,5 Milliarden Euro entspricht dies ungefähr 0,06 Prozent.

Was den Arbeitsaufwand der Stadträte angeht, sieht Wölfle allerdings Diskussionsbedarf. "Wir haben sehr viele Ausschüsse", sagt der Bürgermeister. Natürlich müsse der Gemeinderat der Verwaltung auf die Finger schauen, aber es sei doch "die Frage, ob es die Menge und die Intensität braucht". Wenn es für die Stadträte schon nicht mehr Geld gibt, dann zumindest weniger Arbeit.


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11 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 24.11.2014
    Antworten
    Bravo Ulrich Frank, Schorsch, Kornelia und Liane - aus meiner Sicht!
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